Dienstag, 16. Mai 2023

Auch in den Garten hält die Achtsamkeit Einzug

Slow Gardening  hier  Patrizia Messmer 10.04.2023

Schneckengift, Spritzmittel, hochkonzentrierter Dünger: Das Gärtnern war bei vielen bisher eine eher invasive Angelegenheit. Nun wird auch bei der Gartenarbeit mehr Bewusstsein gepredigt.

Sie waren bis anhin immer eher Schlachtfeld als Ruhe-Oase, die gepflegten Privatgärten in Einfamilienhausquartieren und Schrebergärten. Mit Chemie wurde vom Geziefer bis zum Kraut im grossen Stil ausgerottet, was nicht beliebte. Die Natur bürgerlich-konform zurechtgeschnippelt und -gegiftelt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Schliesslich ging es ja beim Hobbygärtnern gar nicht so sehr um die Symbiose Mensch - Natur, sondern mehrheitlich um Darstellung und Ertrag.

Von Schotterwüsten bis zu Riesengemüse-Wettbewerben wurde in den Privatgärten so sehr nichts dem Zufall überlassen, dass sich das Parlament vor zwei Jahren gezwungen sah, den exzessiven Pflanzenschutzmittel-Verbrauch der Hobbygärtner einzuschränken.

Doch seit ein paar Jahren formiert sich eine neue Bewegung unter den Gartenfans: Schädlinge werden nicht mehr grossflächig vergiftet, vielmehr werden Nützlinge gefördert, die Schädlinge ganz natürlich verdrängen. Unkraut – viel zu diskriminierend! –heisst heute Beikraut oder Wildkraut und wird nicht mehr mit Herbiziden weggeätzt, sondern von Hand gesammelt und zu Salat, Suppe oder Pesto verarbeitet und gegessen. Der Nützling sind in diesem Fall wir selbst. Ganz im Sinne des amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson, der einst sagte: «Unkraut ist eine Pflanze, deren Tugenden noch nicht entdeckt wurden.»

Das Ansetzen der olfaktorisch an ein Verbrechen grenzenden Brennnessel-Jauche (bis vor einigen Jahren in Frankreich sogar noch verboten) gehört heute unter den Hobbygärtnern zum guten Ton. Künstliche Dünger wurden verbannt. Und statt exotischer Sträucher oder in Gewächshäusern grossgezogener Setzlinge werden nun Sellerie und Zucchetti selbst angesät und behutsam in den Saatschalen auf dem Fenstersims gehegt, bevor sie gross genug sind, um ins Beet gepflanzt zu werden.

Welches wiederum natürlich nicht mehr grob mit der Gartenfräse umgegraben, sondern ganz non-invasiv durch die sogenannte No-Dig-Methode angelegt wird. Es ist der neuste Trend unter den achtsamen Hobbygärtnern. Der wohl bekannteste Kopf dahinter ist der Brite Charles Dowding. Die Praktik kommt ganz ohne Eingriff in das sensible Ökosystem Boden aus: Auf dem zukünftigen Beet wird ein Karton ausgelegt und darüber Komposterde aufgeschichtet.

Nach ein paar Wochen ist der Karton abgebaut und der Boden darunter nackt – ganz ohne Störung der Mikroorganismen, und mühsames Jäten von Unkraut fällt auch noch weg. «No Dig» ist also nicht nur achtsam, sondern auch ziemlich arbeit- und zeitsparend. Kein Wunder, hat Dowding nun schon sein zwölftes Buch herausgebracht. Bis zu 200 000 Menschen schauen ausserdem seine Youtube-Videos, und auf Instagram folgen ihm 400 000 Menschen.

Wohltuend für Natur und Mensch

Das achtsame Gärtnern gründet in der Slow-Gardening-Bewegung: Statt auf schnellen Ertrag wird auf Biodiversität gesetzt, die Natur muss nicht mehr nur liefern, sie darf sich auch wieder frei entfalten. Angelehnt an die Slow-Food-Bewegung, geht es um mehr Nachhaltigkeit und Bewusstsein, um das Miteinander mit der Natur und nicht mehr nur um eine reiche Ernte oder die perfekte Rasenkante. Wieder mehr Bullerbü statt Schaugarten.

Als Begründer der Bewegung gilt – ironischerweise – ein Mann mit dem Namen Felder Rushing. Der Gärtner aus Mississippi predigt schon seit den 1980er Jahren in seiner Radio-Show und Büchern für mehr Geduld im Beet. Ökologisches Gärtnern im Einklang mit der Natur.

Das tut übrigens auch uns Menschen ganz gut! Nur schon das Betrachten von Pflanzen soll helfen, Stress abzubauen und unser Wohlbefinden zu steigern. Kein Wunder, wurden während der Pandemie die Gartencenter plötzlich regelrecht überrannt. Dabei wäre die positive Auswirkung des Gärtnerns auf die Psyche schon länger bekannt gewesen: Schon die alten Ägypter sollen psychisch kranken Menschen zu Gartenspaziergängen geraten haben. Und später wurde das Gärtnern zum Beispiel bei traumatisierten Soldaten aus dem Vietnam- und Korea-Krieg zur Unterstützung bei der Behandlung ihrer Traumata eingesetzt. Ja, mittlerweile ist Gartentherapie sogar eine anerkannte Therapieform in der Psychologie. Dass mit dieser Ressource nun auch achtsam umgegangen wird, war so gesehen der logische nächste Schritt.

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