Dienstag, 30. Mai 2023

Als regierte in Deutschland die Automobile Steuerzahlerpartei

Süddeutsche Zeitung hier  26. Mai 2023  Kommentar von Meredith Haaf

Wenn schon die UN mahnen, Klima-Aktivisten besser zu schützen, dann läuft etwas falsch: Die Politik muss sich bei diesem Konfliktthema endlich etwas Besseres einfallen lassen als Abwertung und Razzien.

Vor dreißig Jahren gab es mal kurz die Automobile Steuerzahlerpartei (ASP), sie hatte in München zeitweise sogar einen Sitz im Stadtrat und kämpfte für die Rechte der Autofahrer in Deutschland. Damals wurde viel über die ASP gelacht, wegen ihres skurril anmutenden Radikalismus im autofreundlichsten Land der Welt. Schon 2002 machte sie den Laden dicht, aber obwohl heute im Bund und in vielen Ländern die Grünen regieren, steht der Geist der Autofahrer- und Steuerzahlerpartei in robuster Blüte, wie diese Woche zu beobachten war: Eine schlecht begründete Großrazzia gegen die "Letzte Generation", diese überschaubare Vereinigung junger Menschen, die gewaltfrei gegen Autoverkehr kämpfen? ASP-hafter kann es kaum werden.

Der Umgang der deutschen Politik und Justiz mit der forschen Fraktion der Klimaschützer hat sich in den letzten Monaten so radikalisiert, dass sich nun selbst die Vereinten Nationen dazu äußern: "Klima-Aktivisten - angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen - (...) müssen geschützt werden, und wir brauchen sie jetzt mehr denn je", lässt der UN-Generalsekretär ausrichten. Man sollte meinen, ein Land, in dem ein sozial-liberal-grünes Bündnis regiert, hat eine solche Mahnung nicht nötig. Man sollte meinen, ein solches Bündnis hat politische Angebote für die vielen jungen, aber auch älteren Menschen, die besorgt, wütend und verängstigt sind wegen des Fortschreitens der wissenschaftlich belegten Klimakrise.

Denn ja, zuletzt lehnte eine große Mehrheit der Deutschen die Methoden der "Letzten Generation" ab. Zugleich geben aber auch 52 Prozent an, Angst vor den Folgen des Klimawandels zu haben. Immer mehr Menschen wissen auch, dass sie diese Folgen schon jetzt spüren und von ihnen eingeschränkt werden. Diese Sorgen und Nöte sind echt, es geht dabei nicht nur um Heizungsumbauten, und sie betreffen insbesondere junge Menschen existenziell. Sie verdienen genauso politische Fürsorge wie die Nöte von Mittelstandsfirmen angesichts der Rezession.

Offenbar glaubt man, radikale Klimaschützer durch konsequente Abwertung beherrschen zu können

Umso erstaunlicher ist es, wie dürr die politischen Reaktionen auf die Razzia ausfallen, gerade bei den Grünen. Offenbar glaubt man, der radikalen Unzufriedenheit Herr werden zu können, indem man sie so konsequent marginalisiert, wie man es etwa im Umgang mit den "Querdenkern" erfolglos getan hat. Also wertet der Bundeskanzler die Straßenblockaden als "bekloppt" ab. Und die Innenministerin erklärte kürzlich, der Rechtsstaat lasse sich nicht "auf der Nase herumtanzen". Mehr von oben herab geht kaum.

Dabei sind die Klimaschützer - die überall nur noch abfällig Klimakleber genannt werden - nicht destruktive Kräfte, die mit Gewaltfantasien gegen die staatliche und öffentliche Ordnung hetzen. Tatsächlich setzen sie sich dafür ein, ein staatlich festgelegtes Ziel zu erreichen - die 1,5-Grad-Grenze. Sie nerven dabei, sind oft selbstgerecht. Aber dass sie sich immer häufiger von Mitbürgern verprügeln lassen müssen, dass sie für ihre Aktionen in Teilen absurd hohe Haftstrafen aufgebrummt bekommen, zeigt, dass sie in ihrem - immer noch legitimen - Engagement der Unterstützung bedürfen. 

Und es zeigt, wie abgrundtief schlecht das gesellschaftliche Großkonfliktthema Klima gerade moderiert wird. Diese Moderation ist Kernaufgabe der Politik. Es ist höchste Zeit, dass sich jemand endlich dieser Herausforderung annimmt.

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