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Süddeutsche Zeitung Vera Schroeder 31.3.23
SZ Klimafreitag <klimafreitag@newsletter.sueddeutsche.de>
Selbst uns Journalisten kommt die Klimakrise manchmal wie ein riesiges, kaum zu durchschauendes Knäuel vor, das aus immer neu dazu kommenden und miteinander wild verknüpften Fäden besteht, neue Studien, neue Theorien, akute Wetterereignisse, Unsicherheiten, Prognosen, Zusammenhänge mit anderen Großkrisen, politischen Logiken, Lobby-Interessen. Den Überblick behalten? Überaus anstrengend bis unmöglich.
Das Ergebnis unserer journalistischen Entwirrungsversuche: Viele verschiedene Geschichten allein in den vergangenen Tagen, in denen es zum Beispiel um den Volumenverlust des arktischen Meereises seit 2007 geht, oder das milliardenschwere Aktionsprogramm, mit dem die Bundesregierung auch Moore retten will. Wir berichten über die Weltwasserkonferenz und erklären weiter, was der in der vergangenen Woche erschienene neue Bericht des Weltklimarats zu bedeuten hat.Alle diese Geschichten erläutern wichtige und gar nicht mal so kleine Details aus dem Knäuel – und dennoch fragen auch wir uns ab und an, wie sehr sich unsere Leserinnen und Leser neben all den Einzelfäden nach Überblicksstücken sehnen: Was sind die wichtigsten Fragen zum Klimawandel, um die es derzeit geht? Und wo stehen wir im großen Transformationsprozess, den die Klimakrise uns abverlangt?
Als einen geradezu erleuchtenden Überblick möchte ich Ihnen die neueste Folge des SZ-Podcasts „In aller Ruhe“ ans Herz legen, in der meine Kollegin Carolin Emcke mit dem Präsidenten des Umweltbundesamtes Dirk Messner über die Klimakrise spricht. Eine Art „Wenn Sie eine Geschichte zum Thema konsumieren wollen, nehmen Sie diese hier“-Folge, in der es zum Beispiel um die Kaskaden globaler Krisen geht. Und warum es ein Problem ist, dass über Klima-Transformation bisher im Wesentlichen in einer Art aseptischem Raum nachgedacht wird.
Es geht aber auch um die Tatsache, dass wir als Gesellschaft zwar die Abkehr von den fossilen Energien eingeläutet haben – aber noch nicht verstanden haben, welche Geschwindigkeit dabei notwendig ist. Und wie problematisch das mit dieser Geschwindigkeit ist, wenn man bedenkt, wie lange Menschen brauchen, um sich an strukturelle, aber auch moralische Veränderungen grundsätzlich zu gewöhnen. Messner zitiert den Nobelpreisträger Daniel Kahneman, wonach wir beim Wahrnehmen und Weltsortieren zu 85 Prozent automatisiert auf gelernte Denkmuster zurückgreifen – und uns nur zu 15 Prozent wirklich mit neuen Argumenten, Erkenntnissen, Studien (sprich: den Einzelfäden im Knäuel) auseinandersetzen können. Für die Klimatransformation, so Messner, müssten wir aber an die automatisierten Muster ran und diese im Grunde komplett neu weben. Das braucht Zeit – die wir nicht haben.
Dass das eineinhalbstündige Gespräch trotz dieses riesigen Dilemmas insgesamt eher Hoffnung macht als schlechte Laune, liegt an der neugierigen Grundhaltung der Diskutierenden und ihrem Blick auf die Chancen, die in alledem auch stecken. Dirk Messner bezeichnet sich selbst als „notorischen Nachhaltigkeitstransformationsoptimisten“. Ein Wort, das wohl nur die deutsche Sprache hergibt. Und eine Haltung, die gut tut, weil mit ihr aus der Klimakrise eine Fortschrittsbeschreibung werden könnte.
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