Sonntag, 23. April 2023

"Das langsame Sterben des Klimaschutzgesetzes"

Susanne Götze im  SPIEGEL-Klimabericht 21.04.2023  hier

Es ist das einzig wahre Vermächtnis der sonst desaströsen Klimapolitik der Merkel-Ära: das Klimaschutzgesetz. Beschlossen hatte es die Große Koalition im September 2019, während zur gleichen Zeit bei dem größten Klimastreik Deutschlands rund 1,4 Millionen Menschen protestierten. Ein historischer Moment – für das deutsche Klimarecht und die Klimabewegung.


Nachdem im April 2021 – ausgelöst durch eine Verfassungsbeschwerde – noch nachgebessert worden war, hatte Deutschland schließlich ein scharfes Schwert für die Klima-Justitia geschaffen. Wer hätte damals gedacht, dass die Ampelregierung, deren Kanzler mal ein Klimakanzler sein wollte, das Ganze wieder abstumpft?

Bisher müssen einzelne Minister ein Klimaschutzsofortprogramm vorlegen, wenn in ihrem Bereich Klimaziele verfehlt werden – in diesem Jahr waren es wiederholt Verkehr und Gebäude. Künftig aber soll die Bundesregierung insgesamt nachsteuern, falls sich in zwei aufeinanderfolgenden Jahren abzeichnet, dass das Klimaziel für 2030 verpasst wird. Die Sofortprogramme sind also Geschichte, das Klimaschutzgesetz ist weiter ausgehöhlt . Einige Juristinnen halten die angedachten Änderungen sogar für verfassungswidrig . Die Bedenken sind berechtigt.

Ist das Klima – oder kann das weg?

Die Frage nach dem Cui-bono ist banal: Die FDP hat kein Interesse an angeblich »planwirtschaftlichen« Vorgaben, und sie besetzt nebenbei das Verkehrsministerium. Das hat sein Jahresziel 2022 um neun Millionen Tonnen CO₂ verfehlt (zum Vergleich: Der innerdeutsche Flugverkehr stößt zwei Millionen Tonnen pro Jahr aus). Minister Volker Wissing will trotzdem Autobahnen bauen und deshalb die lästigen Auflagen loswerden. Kurz nachdem der Expertenrat für Klimafragen am Montag  die Regierung dafür kritisiert hatte, erklärte ein Sprecher von Wissings Ministerium, es seien ab sofort keine Sofortprogramme mehr nötig. Denn bis zur Abgabefrist des Programms Mitte Juli werde das Gesetz schon längst reformiert sein.

Und dann stärkte noch der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner der FDP den Rücken – nicht den Wissenschaftlern. Später relativierte er seine Aussage zwar, woraufhin die Grünen eine Klarstellung vom Kanzler erbaten. Die steht jedoch aus.

Selbst wenn es so ein Programm noch einmal gibt, ist mittlerweile klar: Langfristig werden sie abgeschafft. Der Expertenrat für Klimafragen mahnt deshalb, wenigstens den Budgetansatz zu erhalten, also nicht nur auf das Klimaziel 2030 hinzurechnen, sondern die Jahresemissionen zu berücksichtigen. Auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten »die tendenzielle Schwächung der Ressortverantwortung« für problematisch. Deutschlands Klimaziele für 2030 sind laut den Experten ohnehin schon gefährdet.

Klimarettung aus Brüssel

Das alles könnte ziemlich deprimierend sein, wenn es nicht die Europäische Union gäbe. Die gute Nachricht ist: Die FDP ist eine nationale Partei, und gegen die »Planwirtschaft« aus Brüssel (Ironie wieder aus) kommt auch sie nicht an. Denn immer noch gilt: Gemeinschaftsrecht hat Vorrang. Die Ziele des europäischen Green Deal stehen über denen Deutschlands. Berlin muss sich also unterordnen – egal wer national gerade an der Macht ist. Selbst eine AfD könnte daran nicht viel ändern. Es sei denn, sie träte aus der EU aus.

Dennoch ist es bedauerlich, dass die deutsche Öffentlichkeit kaum etwas von den echten Klimafortschritten aus Brüssel mitbekommt. Ein wenig beachteter historischer Moment war etwa die Nacht zum 18. Dezember 2022, als Europaparlamentarierinnen und Vertreter von EU-Kommission und Mitgliedsländern gegen zwei Uhr applaudierten und sich in die Arme fielen. Man hatte sich auf eine Verschärfung des EU-Emissionshandels geeinigt.

In dieser Woche bestätigte das EU-Parlament nun diesen Beschluss offiziell. Bisher müssen Energieproduzenten und Industrie in der EU CO₂-Rechte erwerben (eine Tonne CO₂ entspricht einem Zertifikat). Die EU verteilt oder versteigert diese. Ein Emissionsdeckel gibt dann vor, wie viel CO₂ sie maximal ausstoßen dürfen. Diese erlaubte Menge sinkt im Lauf der Jahre, es wird also immer teurer, CO₂ auszustoßen.

Die Parlamentarier haben Beachtliches beschlossen: Bislang war eine CO₂-Reduktion bis 2030 um 43 Prozent im Vergleich zu 2005 vorgesehen. Diese Zielvorgabe wird mit der Reform auf 62 Prozent verschärft. Außerdem wird die Vergabe kostenloser Zertifikate schrittweise eingestellt. Klingt technisch, ist aber bahnbrechend. Bereits seit rund anderthalb Jahren ist eine Explosion des CO₂-Preises zu beobachten. Er ist von 24 Euro pro Tonne Ende Oktober 2021 auf an die 90 Euro gestiegen, mit Spitzenwerten von mehr als 100 Euro im Februar. Dieser Trend dürfte sich nun verstärken.

Steigende CO₂-Preise und ideologische Hürden

Alle anderen Bereiche sind in der EU über die Lastenverteilung geregelt. Sie legt fest, wie viel jedes Land in welchem Sektor einsparen muss. Wichtig: Diese Ziele existieren parallel zu den nationalen Vorgaben.

Damit es auch bei Verkehr und Gebäuden vorangeht, werden diese Sektoren ab 2027 in einen zweiten Emissionshandel für Brenn- und Treibstoffe aufgenommen (ETS2). Damit sollen auch in diesen Bereichen klimaschädliche Emissionen europaweit einen Preis bekommen. Das wurde ebenfalls diese Woche von den EU-Abgeordneten beschlossen.

Die Reaktion des Bundeswirtschaftsministeriums: Wer jetzt noch eine Öl- oder Gasheizung einbauen will, sollte sich dies gut überlegen, denn ab 2027 werde deren Betrieb teurer.

Allerdings ist der Preis zu Beginn gedeckelt und soll bei 45 Euro liegen. Dieser zweite Emissionshandel ist also längst nicht so ehrgeizig wie der für Energie und Industrie. Ob er etwa beim Verkehr überhaupt eine Klimaschutzwirkung hat, ist umstritten: Das Umweltbundesamt hat bereits verschiedene Preisszenarien durchgerechnet  und kommt zu dem Schluss: Selbst wenn die Preise recht zügig steigen würden (was sie wahrscheinlich nicht tun), seien noch »weitere Instrumente zusätzlich zum CO₂-Preis notwendig«.

Spätestens in den 2030er-Jahren jedoch könnte es CO₂-Preise von 200 bis 300 Euro die Tonne geben, schreibt das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change  (MCC). Die Bevölkerung sollte das wissen, warnen die Forscher, und mit Förderprogrammen und Anreizen schon jetzt darauf vorbereitet werden.

Preise allein führen die Verkehrswende allerdings nicht herbei. In der »Spritkrise« nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine stiegen die Preise etwa beim Diesel um 40 Prozent. Damals stellte mein Kollege Arvid Haitsch  bereits fest: »Am Verkehr auf Deutschlands Straßen hat sich allem Ärger zum Trotz nicht viel geändert.« Eine andere Studie, die er zitiert, erklärt interessanterweise: Dass Preise nichts am Verhalten ändern, könnte auch in der deutschen »tiefgründigen kulturellen Identifikation mit Autos« liegen.

Es braucht also deutlich mehr als nur ein Preissignal – aus sozialen sowie ideologischen Gründen. Und es ist an den EU-Mitgliedstaaten, den ETS2 nun mit Maßnahmen zu flankieren. Der Ausbau von öffentlichem Nahverkehr und Fahrradwegen wäre da zum Beispiel eine hervorragende Idee.

Gehaltsabzüge für die FDP-Spitze?

Übrigens: Im Worst Case – Wissing bleibt weiter stur, das Klimagesetz ist komplett zahnlos und die Ampel macht weiter so kraftlos Klimapolitik – wird es richtig teuer. Hält sich Deutschland nicht an die EU-Klimaziele, muss es kompensieren. Die Regierung wurde bereits für ihre verfehlten EU-Klimaziele in den Jahren 2013 bis 2020 zur Kasse gebeten und musste im Oktober vergangenen Jahres Emissionsrechte zum Ausgleich im Wert von mehreren Millionen Euro (!) kaufen. Schuld war natürlich der Verkehrs- und Gebäudebereich.

Am Ende müssen wir also alle die fossilen Launen der FDP bezahlen. Da wäre es doch mal eine Idee, diese Strafzahlungen prozentual direkt vom Gehalt oder den Rentenansprüchen der FDP-Führungsspitze, Herrn Wissings oder Herrn Lindners, abzuziehen. Was meinen Sie?

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