Mittwoch, 19. April 2023

Wissings Antiklimakurs stößt auf Gegenwehr von Umweltschützerinnen und ‑schützern

RND hier Frank-Thomas Wenzel  18.04.2023

links: Unterschriftenaktion der Fridays for future  hier

Bundesverkehrsminister Volker Wissing.

Der Verkehrsminister will den Autobahnbau beschleunigen, aber beim Klimaschutz bremsen. Die Umwelthilfe setzt auf ein Gerichtsverfahren, das die Bundesregierung in Zugzwang bringen könnte. Ein Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen könnte massive CO₂‑Einsparungen bringen.

Der Verkehrsminister macht Ernst. Volker Wissing (FDP) will 145 Projekte zum Ausbau von Autobahnen forcieren. Er gibt den betroffenen Landesregierungen gerade einmal bis Ende nächster Woche Zeit, um zu den Vorhaben Stellung zu nehmen. Damit eskaliert er den Konflikt mit den Grünen und steigert die Verärgerung bei Umweltschützerinnen und Umweltschützern. Bereits Anfang der Woche war klar geworden, dass der Freidemokrat von einem eigentlich vorgeschriebenen Sofortprogramm für mehr Klimaschutz im Verkehr nichts wissen will.

Die Ampelkoalition hatte sich Ende März darauf geeinigt, Engstellen auf den Fernstraßen in beschleunigten Verfahren zu beseitigen. Laut Verkehrsministerium sollen knapp 1000 neue Autobahn-Kilometer gebaut werden – um weniger Staus und flüssigen Verkehr zu erreichen.

Grünen-Minister und der Autobahnbau

Für die Umweltorganisation BUND hingegen würde die Umsetzung der Projekte vor allem bedeuten, dass „sogar noch mehr Treibhausgase ausgestoßen werden“, sagte BUND-Verkehrs­experte Jens Hilgenberg dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). Der Ausbau auf teilweise zehn Spuren werde die Verkehrsprobleme nicht lösen. „Die Landesregierungen müssen sich den Betonfantasien von Herrn Wissing verweigern und dürfen keine Projekte anmelden, ansonsten machen sie sich der Beihilfe zu Natur- und Klimazerstörung im großen Stil schuldig.“

Das Brisante an der vom Koalitionsausschuss beschlossenen Abfrage der Landesregierungen: Die Schwerpunkte für den Ausbau liegen unter anderem in Hessen, Baden-Württemberg und NRW. In allen drei Bundesländern sind Grünen-Minister für den Verkehr zuständig. Die werden nun kurzfristig gezwungen, hopp oder top zu mehr Fahrspuren zu sagen, wobei in Hessen in diesem Jahr auch noch Landtagswahl ist. Grünen-Chefin Ricarda Lang hatte bereits nach dem Koalitionsausschuss angedeutet, es sei „sehr wahrscheinlich“, dass nicht alle der Autobahnprojekte beschleunigt gebaut werden.

BUND und Greenpeace hatten kürzlich eine Studie vorgelegt, derzufolge bei solchen Vorhaben einerseits durch die notwendigen Baustoffe (Beton, Asphalt, Stahl) mehr Treibhausgase in die Luft geblasen werden. Der gleiche Effekt entstehe dadurch, dass Verkehr auf die Straße verlagert werde und es zu mehr Fahrten von Pkw und Lkw komme. Andererseits würden Baumbestände und Moore und damit CO₂‑Speicher zerstört.

Rechtswidriger Freispruch für Wissing?

Für Hilgenberg und andere Umweltschützer stehen Wissings aktuelle Autobahnpläne in einer Linie mit der Art und Weise, wie der Minister generell mit dem Klimaschutz umgeht. Der Expertenrat für Klimafragen hatte am Montag festgestellt, dass der Verkehrssektor die selbst gesteckten Ziele der Bundesregierung im vorigen Jahr weit verfehlt hat. Gleichwohl will das Verkehrsministerium erst einmal die Füße stillhalten und bekommt dafür Unterstützung vom Kanzleramt, das Wissing von der Verpflichtung für ein Sofortprogramm, das jetzt normalerweise kommen müsste, freigestellt hat. Begründung: Das Klimaschutzgesetz soll „zeitnah“ novelliert und ein ressort­übergreifendes Sofortprogramm dann auf den Weg gebracht werden.

Aber wenn ein Sektor die verbindlichen Vorgaben nicht einhalte, müsse nach aktueller Rechtslage ein Sofortprogramm innerhalb von drei Monaten vorgelegt werden, betont Hilgenberg: „Herr Wissing muss seine Hausaufgaben machen, das ändert auch die potenzielle Änderung des Klimaschutzgesetzes nicht.“ Andere Umweltorganisationen schlagen ebenfalls Alarm. Auch Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), hält den Freispruch des Kanzleramts für rechtswidrig. Er setzt auf ein bereits laufendes Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Medienberichten zufolge dürfte eine Entscheidung demnächst kommen. Die Bundesregierung könne dann dazu verdonnert werden, sehr kurzfristig ein wirklich wirksames Sofortprogramm für den Verkehrssektor auf den Weg zu bringen, sagte Resch dem RND.

Eckpunkte für zusätzliche Maßnahmen wurden bereits im Koalitions­ausschuss besprochen: Das wichtigste Vorhaben ist ein CO₂‑Aufschlag auf die Lkw-Maut. Ein großer Teil der Einnahmen soll für Investitionen in das Schienennetz verwendet werden. Ansonsten konnte man sich auf eine Reihe eher unverbindlicher Projekte einigen. Viel ist von strombasierten Kraftstoffen die Rede, die im industriellen Maßstab wohl aber erst in vielen Jahren hergestellt werden. Und es geht um mehr Ladesäulen für E‑Autos oder um Carsharing mit batterieelektrischen Pkw.

Ob das reicht? Unter Umweltschützenden ist die Skepsis groß. Denn die Abweichung des Verkehrssektors von den Sollwerten ist enorm: 139 Millionen Tonnen CO₂ hätten es laut Klimagesetz 2022 eigentlich sein dürfen, tatsächlich waren es fast 149 Millionen Tonnen. Und für dieses Jahr liegt der Zielwert bei nur noch 133 Millionen Tonnen. Der Expertenrat hat ferner hochgerechnet, dass bis 2030 eine gigantische „Erfüllungslücke“ von insgesamt 261 Millionen Tonnen CO₂ zusammen­kommen wird, wenn nicht massiv nachgebessert wird.

Tempolimit oder Strafsteuer für Verbrenner

Was helfen kann, zeigen zahlreiche Studien. So hat die Brüsseler Denkfabrik Transport & Environment (T&E) gemeinsam mit dem hiesigen Dachverband der Energiebranche (BDEW) bereits im Sommer 2022 ein Papier vorgelegt. Schwerpunkt sind Pkw, die für weit mehr als die Hälfte der CO₂‑Emissionen des Verkehrssektors verantwortlich sind. Zwei Drittel aller Neuzulassungen laufen auf Firmenwagen, die häufig auch privat genutzt werden. „Im Vergleich zu anderen Ländern ist Deutschland eine Steueroase für Verbrennerdienstwagen“, sagt T&E-Experte Stef Cornelis. Die Nutzerinnen und Nutzer müssen monatlich lediglich ein Prozent vom Bruttolistenpreis als geldwerten Vorteil beim Finanzamt ausweisen. Hier müssen laut T&E erheblich höhere Sätze angesetzt werden.

Für eine Kfz-Steuer, die sich am CO₂‑Ausstoß orientiert, machen sich unter anderem der BUND und die Denkfabrik Agora Verkehrswende stark. Beide Organisationen fordern zudem Bonus-Malus-Systeme bei Autokauf: Wer einen PS‑starken Verbrenner erwirbt, muss eine Art Zusatzsteuer zahlen. Die Einnahmen aus dieser Steuer werden genutzt, um klimafreundliche Autos zu subventionieren. Die Umwelthilfe setzt indes auf Geschwindigkeits­beschränkungen: 100 km/h auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen und Tempo 30 innerorts. Resch: „Das lässt sich mit einer einfachen Behörden­verordnung zügig umsetzen.“ Der Effekt sei enorm. Allein durch die Begrenzungen mit 100 und 80 km/h könnten mehr als elf Millionen Tonnen CO₂ jährlich eingespart werden.

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