Sonntag, 23. April 2023

Energiepolitik und Rhetorik: Wir sind da ganz offen

 hier  23. April 2023  Von Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung

Energiepolitik und Rhetorik: Man kann die Zukunft nur gestalten, wenn man in die Vergangenheit reist: Christopher Lloyd und Michael J. Fox in "Zurück in die Zukunft".

In der Debatte um Atomkraftwerke, Gasthermen und Verbrenner wird der Begriff "Technologieoffenheit" zur Chiffre. Was das wirklich heißt? Weiter so!

Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, HAW, ist ein Anwärter für den Oscar in der Sparte "Bestes adaptiertes Drehbuch". Allerdings stammt das Drehbuch aus dem Jahr 1980. Das ist das Jahr, in dem Jean-Paul Sartre stirbt, eine Partei namens "Die Grünen" geboren wird und in dem man Karottenhosen trägt. Die Karottenhosen sind inzwischen wieder da, sie heißen Mom Jeans. Sartre ist nicht wieder da.

Das Drehbuch heißt "Zurück in die Zukunft". Der Film kommt 1985 in die Kinos - als Hommage an eine Zukunft, die man nicht passiv erleiden muss, weil man sie auch aktiv gestalten kann. .....

Im Film gibt es, das führt zur HAW zurück, diese grandiose Szene über etwas, was fast so umstritten ist in Deutschland wie die Habecksche Wärmepumpe. Gemeint ist das Lindnersche E-Fuel. Doc Brown ist der Erfinder einer Zeitmaschine in Form eines Autos, eines DeLorean DMC-12. In ferner Zukunft lassen sich unsere Autos, das ist die frohe, sozusagen technologieoffene, ja freiheitlich demokratische Kunde, mit etwas Müll betanken. Doc Brown stopft im Film ein Miller-Bier samt Dose, dazu Bananenschalen und sonstiges Zeug aus der Abfalltonne in eine Art Küchenhäcksler über dem Motorblock. Darauf steht "Home Energy Reactor". Fertig ist der Kraftstoff. In Bio-Qualität. Umweltgerecht. Futuristisch.

Ein Auto, das mit Bierdosen und Bananenschalen fährt? Das gab es schon mal

Genau das haben Forscher von der HAW adaptiert. Die Wissenschaftler, heißt es auf der News-Plattform Ingenieur.de, "haben eine Anlage entwickelt, die aus Abfällen" - wie zum Beispiel alten Speisefetten - "klimaneutrale Kraftstoffe produziert. Das Verfahren benötigt nur wenig Strom und hat das Potenzial, fossile Brennstoffe zu reduzieren und Abfallprobleme zu lösen. Zudem wird an einer Erweiterung gearbeitet, um Kunststoffabfälle zu verarbeiten." Überschrieben ist der ziemlich optimistische Beitrag so: "Zwei Fliegen mit einer Klappe: E-Fuels aus Abfällen". Ob dieser Optimismus auch Spuren von Surrealismus beinhaltet, mögen jetzt die Ingenieure und Ingenieurinnen sowie die Mobilitätsleitartikler, die Grünen-Fans und die FDP-Anhänger unter sich ausmachen.

Die Vorstellung, dass die Plastikteppiche auf den Weltmeeren einen Sinn haben könnten, der nicht lediglich darin liegt, ganze Öko-Systeme zu ruinieren und als bizarre Fratze noch für Jahrtausende unkaputtbar von unserem pathologischen Lebensstil zu künden, ist jedenfalls fast zu schön um wahr zu sein....

Projektleiter Thomas Willner, HAW-Professor am Department Verfahrenstechnik, spricht davon, dass "in einem weiteren Schritt" nicht nur altes Speisefett, sondern auch Kunststoffabfälle verwertbar sein könnten. In der Möglichkeitsform. Er rechnet vor, dass die Anlage als Prototyp für die Herstellung von einem Liter Kraftstoff eine Kilowattstunde Strom verbraucht. Das heißt: Auf 100 Kilometer würde man rund fünf Kilowattstunden Strom benötigen. Elektroautos benötigen im Schnitt das Dreifache.

Ranziges Fett, Plastikmüll und effizienter als herkömmliche Elektroautos: So wie es aussieht, haben die Forscher aus Hamburg gerade den Home Energy Reactor aus der Fiktion in die wenigstens akademische Realität und den Sonnenblumenöl-Benz vom Aldi-Parkplatz in den Diskurs geholt.
Exakt dort befindet sich die aktuell so oft beschworene "Technologieoffenheit" als Mittelding aus Apokalypse und Heilserwartung. Inzwischen fragt man sich etwas entnervt, ab wann dieser an sich wertneutrale Begriff aus dem Reich der Technik endlich wieder ideologieoffen verwendet werden kann. Bis dahin bleibt das, was den einen ein hoffnungsfroher Fetisch, den anderen aber ein verabscheuungswürdiger Frevel ist, konfliktreich.

Vom Sound der Technologieoffenheit sind aktuell alle Energiedebatten geprägt, die leider ideologisch verschlossene Grundierungen aufweisen. Insbesondere die FDP macht mit dem Hinweis auf einen längst geframten Begriff eine Politik, die vom Symbolismus kaum mehr zu unterscheiden ist. Verbrenner sollen in der EU demnächst in die Rente verabschiedet werden? Nö, lasst uns doch, so die Liberalen, technologieoffen bleiben, also offen auch für klimaneutrale E-Fuels, mit denen herkömmliche Verbrenner angetrieben werden können. Theoretisch ist das richtig. Praktisch gibt es etliche Einwände.

Energiepolitik und Rhetorik: Der Slogan lautet:
"Klimaschutz ja, aber technologieoffen".
 Gemeint ist: unter Beibehaltung von Öl, Gas und Atomkraft.

Ähnlich war es zuletzt mit Atomenergie, Gastherme und Ölheizung. Für die FDP, die sich mal der Zukunft verschrieben hatte, bedeutet Technologieoffenheit in diesem Zusammenhang paradoxerweise ein Beharren auf dem Status quo. Für die Grünen dagegen, die sich mal dem Bewahren verschrieben hatten, bedeutet der Begriff etwas fundamental anderes: nämlich Fortschritt im Wortsinn. Weg, fort von alten Technologien. Hin zu neuen Technologien.

Technologieoffenheit dient also einmal als eine Offenheit, die Vergangenes (positiv: Bewährtes) einschließt, das andere Mal als eine Offenheit, die sich auf die Zukunft (positiv: Besseres) richtet. Es ist klar, dass sich das alles jeweils auch negativ zur Chiffre umdeuten lässt. Man ist dann nicht nur technologieoffen, sondern auch rückwärtsgewandt, beziehungsweise nicht nur technologieoffen, sondern auch neuerungssüchtig.

In diesem absurden Streit zeigt sich das zersetzende Schisma, das immer schon mit Technologie verbunden ist. Tatsächlich ist Technologie weder das eine noch das andere, also weder eine Geißel der Menschheit (das Internet macht dumm, Windräder machen krank, Stromleitungen führen zu Haarausfall), noch ist das technisch Vorstellbare ein garantiert gedeckter Scheck auf die Zukunft selbst (alles wird gut). Die Technologie, seit dem Feuer und dem Rad untrennbar mit menschlicher Entwicklung verbunden, ist neutral: Sie kann helfen - und sie kann schaden. Es kommt immer darauf an.

Der Slogan lautet: Klimaschutz, ja! Aber mit Öl, Gas und Atomkraft

Daher wäre Technologieoffenheit erst mal eine wirklich kluge Strategie. In jede Richtung. Das gilt, schreibt Carsten Pfeiffer vom Bundesverband Neue Energiewirtschaft in einem bedenkenswerten Aufsatz über "Technologieoffenheit: Strategie, Magie, Dogma" vor allem für Phasen, "in denen noch unklar ist, welche Technologien sich durchsetzen werden oder auch relevante volkswirtschaftliche Vorteile haben. Es wäre dann unklug, sich zu früh festzulegen." Man bleibt besser technologieoffen. Solange es geht. Das führt zum Faktor Zeit.

"Technologieoffenheit", so Pfeiffer außerdem, "ist in den vergangenen Jahren erkennbar zum Dogma geworden und wird wie eine Monstranz von etlichen Lobbyisten vor der Politik hergetragen." Das berührt letztlich ebenfalls den Faktor Zeit. Aus einer grundsätzlich richtigen Strategie werde so allmählich eine "Kommunikationsstrategie der Vertreter des ,Weiter so'".

Der Slogan laute: "Klimaschutz ja, aber technologieoffen". Gemeint sei: unter Beibehaltung von Öl, Gas und Atomkraft. Unter Beibehaltung auch all jener gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strukturen, denen man ja erst den Umstand verdankt, nun vor der Wand zu stehen. Vor der Wand zu stehen und nach Technologieoffenheit zu rufen, die in Wahrheit "weiter so" bedeutet, ist aber nur so technologieoffen wie eine Wand ohne Tür.

Technologieoffen wäre es, wenn man alles tut, um zu besseren Lösungen als den bekannten schlechten Lösungen (Atomkraft, Öl, Gas) zu gelangen. Technologieverdrossen "ist" es, wenn man Wissenschaft mit Politik, die Zukunft mit der Vergangenheit und Rhetorik mit Handeln verwechselt. Manche tun das, um Zeit zu gewinnen. Zeit, die es nicht gibt.

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