NTV hier Ein Kommentar von Sebastian Huld 13.04.2023,
Noch ein letztes Mal stemmt sich die große Atom-Debatte gegen die Realität. Doch lassen Sie sich nicht beunruhigen: Es drohen keine Stromengpässe, die die letzten drei Kernkraftwerke kurzfristig verhindern könnten. Es ist gut, dass eine neue Ära beginnt.
Eines der teuersten und riskantesten Kapitel in der Geschichte der Stromerzeugung geht am Samstag in Deutschland zu Ende. Deutschland macht Schluss mit der Kernenergie, darf sich aber noch auf unabsehbare Zeit mit der Lagerung des Strahlenmülls herumschlagen. Deren finanzielle und gesellschaftliche Kosten waren bisher nicht auf der Stromrechnung von Industrie und Verbrauchern erschienen, weshalb sich die Mär vom günstigen Atomstrom weiterhin hartnäckig hält. Von interessierter Seite werden dieser Tage längst widerlegte Behauptungen zur Atomkraft neu aufgetischt, um den "Grünen Robert" zu spielen - das politische Äquivalent zum "Schwarzen Peter".
Die Spielregeln sind simpel: Alle Kosten und Zumutungen der Energiewende werden ausgerechnet auf die Partei abgeladen, die als einzige rechtzeitig vor dem Klimawandel gewarnt und einen kohärenten Plan für eine Abkehr von den fossilen Energien vorgelegt hatte. Es gibt auch zwei Trümpfe: Wer am lautesten "Verbotspartei" oder "Ideologie" schreit, gewinnt die Debatte. FDP- und Unionspolitiker beneiden die Springer-Blätter um ihre Meisterschaft in diesem Spiel, stehen aber "Bild" und "Welt" im Können kaum nach. Ach ja, ein Hinweis noch: Wer beim "Grünen Robert"-Spielen mit Fakten argumentiert, verliert.
Machen wir uns dennoch die Mühe zur Dekonstruktion: Nein, die Bundesrepublik findet sich im Frühjahr 2023 nicht in der Geiselhaft einer radikalen Minderheit namens Bündnis90/Die Grünen wieder. Der Atomausstieg ist von allen derzeitigen Regierungsparteien sowie von CDU und CSU beschlossen worden. Die Entscheidung hat bis heute einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv finden 28 Prozent den jetzigen Atomausstieg richtig und 43 Prozent sind zwar für den Atomausstieg, würden die letzten drei AKW aus Gründen der Netzsicherheit sicherheitshalber aber noch etwas laufen lassen.
Das Atom-Aus ist gedeckt, die Engpass-Angst nicht
Ein Stromausfall droht jedoch in den kommenden Wintern ausweislich Expertenaussagen nicht. Deutschland wäre auch durch den letzten Winter ohne die Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Lingen gekommen, weil Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck - der unfreiwillige Namensgeber des Spiels "Grüner Robert" - ausreichend Gas herangeschafft und das Land seinen Verbrauch heruntergefahren hat. Dabei war ja 2022 nicht nur das russische Gas auf Entscheidung des Kreml hin plötzlich weg, sondern auch 50 Prozent des bisherigen Atomstroms: Drei von sechs Atommeilern sind wie geplant vom Netz gegangen.
Auch Union und FDP können kaum ernsthaft von drohenden Versorgungsengpässen sprechen, und erst recht nicht ohne zu erwähnen, dass Kapazitätsmängel im europäischen Stromnetz maßgeblich auf das AKW-vernarrte Frankreich zurückzuführen sind. Aber keine Sorge: Deutschland hilft gerne mit Strom aus Wind und Sonne aus, greift aber auch auf Kohlestrom zurück - mehr als es wünschenswert wäre.
Die drei letzten AKW können dagegen nicht kurzfristig helfen: Sie müssten erstmal über Monate abgeschaltet werden, um endlich die schon zweimal aufgeschobene periodische Sicherheitsüberprüfung vorzunehmen. Und es müssten teuer neue Brennstäbe beschafft werden, die Deutschland erneut auf Jahre an den Atomstrom binden und wichtige Grundlastkapazitäten verstopfen würden, weil sie nicht ein und ausgeschaltet werden können wie Windkraftanlagen.
Die Bundesregierung hat Kohlekraftwerke reaktiviert, um plötzlich fehlende Gasmengen aus Russland auszugleichen. Nicht, um den Atomstrom zu ersetzen, wie Unionsfraktionsvize Jens Spahn insinuiert. Der vergießt nun Krokodilstränen über die Klimaverschmutzung durch Kohle und schmäht die Ampel als "Kohle-Koalition". Das zeugt von Chuzpe: Die Union hatte gegen den Kohleausstieg 2038 gearbeitet, so wie sie jetzt den vorgezogenen Ausstieg 2030 bremst und auch einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien und des zugehörigen Stromnetzes über Jahre willentlich verhindert hat. Die "Kohle-Koalition" ist noch immer schwarz-gelb.
Bliebe noch das Strompreis-Argument, das die Wirtschaft anführt: Preistreiber sind Gas, Öl und Kohle. Erneuerbare Energien sind so günstig wie eh und je am Strommarkt. Blieben die letzten drei AKW länger am Netz, wäre der Effekt auf den Strompreis im laufenden Jahr gering und im kommenden Jahr kaum noch messbar, hat das Ifo-Institut im vergangenen Herbst berechnet. Öl, Gas und Kohle werden aber mittelfristig dauerhaft auf und über dem Preisniveau von 2022 liegen, wenn der europäische Emissionshandel greift. Wer Strompreise senken will, verwendet deshalb alle Kraft auf den Ausbau der Erneuerbaren - dem die Atomkraft nur im Weg steht.
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