hier Rico Grimm,Politikreporter 20.04.2023 bei Krautreporter
In der Klimakrise gibt es Technologien, die immer und immer wieder genannt werden, wenn es um Lösungen für diese Krise geht. Es sind Technologien, die das große Versprechen in sich tragen, das Menschheitsproblem des Klimawandels zu lösen. Ich nenne diese Technologien „Zaubertechnologien“. Weil sie wie von Zauberhand eine Lösung für die Klimakrise liefern sollen.
Wasserstoff ist so eine Technologie. Aber auch Geoengineering gehört dazu. Oder das Absaugen von CO₂ aus der Luft. Was sie alle eint: Sie klingen toll, versprechen viel. Die Frage ist nur: Halten die Versprechen?
Was die Zaubertechnologien der Klimakrise wirklich bringen
Genau das wollte ich wissen, weswegen ich diesen „Zaubertechnologien“ eine ganze Artikelserie widme. Systematisch werde ich Text für Text analysieren, wie viel wirklich zu erwarten ist von dem, was in der Theorie so wunderbar klingt. Am Ende meiner Serie wirst du schlauer sein, den Hype um die einzelnen Technologien besser einschätzen können.
Werden wir aber konkret, kommen wir also zu Wasserstoff. Er hat keine Farbe, riecht auch nicht. Absolut unscheinbar, könnte man sagen. ...Trotzdem feiern ihn alle wie blöde: Mindestens seit 20 Jahren wird Wasserstoff als Schlüsseltechnologie in der Klimakrise angepriesen.
Die ehemalige Bildungsministerin Anja Karliczek nannte ihn das „Öl von morgen“, der Bestseller-Autor Jeremy Rifkin sprach 2003 davon, dass Wasserstoff das Rückgrat eines „World Wide Energy Web“ werden würde. Und die aktuelle Bundesregierung will in den kommenden sieben Jahren eine Wasserstoffproduktion von zehn Gigawatt aufbauen, was zweihundertmal mehr wäre, als in Deutschland gerade produziert wird. Die EU wiederum geht davon aus, dass bis Mitte des Jahrhunderts 470 Milliarden Euro weltweit in der Wasserstoffindustrie umgesetzt werden. Dann wäre sie so groß wie die heutige globale Maschinenbauindustrie.
Mit Wasserstoff sollen all diejenigen Prozesse sauber werden, die heute nur mit dreckiger fossiler Energie betrieben werden können. Theoretisch ließe sich eine ganze Industriezivilisation nur mit Wasserstoff betreiben. Japan ging 2017 schon so weit, sich selbst zur Wasserstoffgesellschaft auszurufen. Stahl- und Düngemittelherstellung, Kontaktstoff in der chemischen Industrie, Energiespeicher, als Treibstoff in Flugzeugen, Schiffen, Zügen und Trucks: Überall dort, wo wir Menschen viel Energie auf einmal brauchen, können wir Wasserstoff einsetzen. Die FDP schlug kürzlich sogar vor, unsere Heizungen mit Wasserstoff zu betreiben, nachdem sich Klimaminister Robert Habeck von den Grünen dafür eingesetzt hatte, Gasheizungen ab 2024 zu verbieten.
1. Wasserstoff wird missverstanden: Es ist Speichermedium, kein Energieträger
Wenn die ehemalige Forschungsministerin Wasserstoff „das neue Öl“ nennt, wenn andere Politiker vorschlagen, Heizungen damit zu betreiben oder der Automobilhersteller BMW seine Brennstoffzellenautos (die mit Wasserstoff betankt werden) als die Zukunft deklariert, entsteht der Eindruck, Wasserstoff sei tatsächlich wie Öl: Muss man nur fördern, verarbeiten und, schwupp, hat man Energie. Dabei ist Wasserstoff das genaue Gegenteil. Es gibt sehr viel Öl auf der Erde, Wasserstoff eben nicht. Wenn er vorkommt, dann in gebundener Form – zum Beispiel auch in deinem Körper oder als Wassermolekül. Öl ist bei Zimmertemperatur flüssig, Wasserstoff ist ein geruchloses Gas. Öl können wir in einem großen und aufwendigen industriellen Prozess so verarbeiten, dass wir es für viele andere nützliche Dinge einsetzen können. Um Wasserstoff zu bekommen, braucht es selbst einen großen, aufwendigen industriellen Prozess. Öl ist eine Energiequelle. Wasserstoff ist ein Energiespeicher. Das ist ein immens wichtiger Unterschied, der aber gern mal übersehen wird. Öl, aber auch Windräder, Wasserkraftwerke oder Atomkraftwerke fügen unseren Gesellschaften netto Energie zu. Wasserstoff kann das nicht. Deswegen ist die wichtigste Frage bei allen Wasserstofffantasien: Woher soll der Wasserstoff kommen?
2. Ineffizient, ineffizienter, Wasserstoff
Weil es keine großen natürlichen Wasserstoffvorkommen gibt, muss er aus anderen Stoffen gewonnen werden: aus Wasser in der sogenannten Elektrolyse mit Strom, aus Erdgas, aus Kohle. Weil es so viele Möglichkeiten gibt, Wasserstoff herzustellen, haben sich die Expert:innen darauf geeinigt, sie mit Farben zu versehen.
Grauer Wasserstoff ist immer aus Erdgas gewonnen, also aus Methan, grüner aus erneuerbarer Energie, weißer kann in der Natur abgebaut werden. Es ist unklar, wie groß die Vorkommen sind. Insgesamt gibt es sieben Farben, also sieben Produktionsmethoden. Und wie die Grafik zeigt, unterscheiden sich die Methoden in einer wichtigen Sache: Sie sind nicht alle gleich effizient. Die Wirkungsgrade sind unterschiedlich. Und damit vor allem die Preise.
Am billigsten ist der dreckigste Wasserstoff, derjenige, der aus fossiler Energie gewonnen wird. Am teuersten ist der vermeintlich sauberste, der grüne Wasserstoff. Und es ist natürlich der grüne Wasserstoff, der für die Klimakrise entscheidend ist. Deswegen nennt die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert ihn auch den „Champagner unter den Energieträgern“.
Soll Wasserstoff in der Klimakrise weiterhelfen, muss er mit erneuerbarer Energie gewonnen werden, aber auch grüner Strom ist knapp. Deswegen hat die EU beschlossen, dass nur jener Wasserstoff als „grün“ gelten darf, der aus neu gebauten Windparks und Solaranlagen gewonnen wird – eine Regel, die für Frustrationen sorgt. Eine andere Möglichkeit wäre, doch wieder fossile Energie einzusetzen und das dabei frei werdende CO₂ in alten Gasvorkommen zu verpressen. Darauf setzt unter anderem der norwegische Öl- und Gaskonzern Equinor.
Aber auch der so wertvolle grüne Wasserstoff hat CO₂-Probleme: Eine im Jahr 2021 durchgeführte Studie zeigt, dass grüner, aus Solarkraft gewonnener Wasserstoff zwar nur ein Viertel der Treibhausgase produziert, die bei der Herstellung grauen Wasserstoffs aus Erdgas entstehen. Allerdings gilt diese Rechnung nur, wenn der Strom durchgehend aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden kann. Das ist ein utopisches Szenario.
„Unter vernünftigerweise zu erwartenden Bedingungen“, so schreiben die Forscher, seien die Treibhausgasemissionen mit denen aus grauem Wasserstoff zu vergleichen. Grund ist, dass der Strom nur mit Unterbrechungen zur Verfügung steht. Grüner Wasserstoff ist also teuer und nur unter Umständen wirklich hilfreich, um die CO₂-Emissionen zu senken. Und dabei haben wir noch gar nicht über die andere Dimension der Frage „Woher?“ geredet. Denn wie der Wasserstoff produziert wird, ist das eine. Das andere Problem: wo er produziert wird.
3. Wasserstoff löst das Abhängigkeitsproblem nicht
Die Bundesregierung geht in ihren Analysen davon aus, dass sie im Jahr 2050 mehr als 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Wasserstoffs importieren muss. Unter anderem deswegen besuchen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der Klimaminister Robert Habeck seit Beginn des Ukraine-Krieges so viele andere Länder. Sie vereinbaren Investitionen in Namibia, kaufen in Katar, schauen in Norwegen vorbei, von wo eine Pipeline ab 2030 vier Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr nach Deutschland schicken soll. In Frankreich haben Habeck und Co. dafür geworben, nun endlich doch eine Pipeline zu bauen, die die iberische Halbinsel mit dem Rest Europas verbindet. Mit Kanada gibt es bereits ein Abkommen, ab 2025 soll der grüne Wasserstoff von dort nach Deutschland gehen. Eine Machbarkeitsstudie hat im Prinzip gezeigt, dass auch die Erneuerbaren-Supermacht Australien als Exporteur für Deutschland infrage käme.
Beim Blick auf die Karte fällt auf: Die Wasserstoffzulieferer sind in der Mehrzahl tatsächlich lupenreine Demokratien. Da ist es eine passende Pointe, dass sich Russland 2020 wegen des Wasserstoffhypes in Europa so große Sorgen um seine Exporte machte, dass es hektisch eine eigene Wasserstofflieferkette aufbauen wollte – um vor allem Deutschland via der Pipeline Nord Stream zu beliefern, versteht sich.
Bei fast allen Abkommen, die Deutschland bisher unterzeichnet hat, hat die Regierung zumindest symbolisch tunlichst darauf geachtet, dass diese Partnerschaften nicht als neokoloniales trojanisches Pferd wahrgenommen werden. So besuchte Habeck in Namibia ein Museum, mit dem an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Genozid im Land gedacht wird. Das kanadische Abkommen wurde auf indigenem Stammesgebiet unterzeichnet. Dort soll auch ein Windpark entstehen, der die Produktion von grünem Wasserstoff speist.
Aber auch bei all diesen Mühen lässt sich nicht verschleiern: Deutschland braucht für seine Wasserstoffziele Partner:innen aus dem Ausland. Das schafft neue Abhängigkeiten. Wo die hinführen können, hat der Streit um Nord Stream 2 bewiesen und auch Habecks Reise in das Königreich Katar, das zu den demokratischen Idealen des grünen Klimaministers so gut passt wie ein Kamel auf eine Berliner Eisbahn.
4. Wasserstoff hat seine Stärken – in der Nische
Der britische Investor und Energieanalyst Michael Liebreich hatte kürzlich einen bemerkenswerten Auftritt. Er stellte sich bei der Welt-Wasserstoff-Konferenz auf die Bühne und sagte: „Das alles fängt an, wie eine Spekulationsblase auszusehen.“ Außerdem werde immer mehr Wasserstoff mit dreckiger fossiler Energie hergestellt. „Bevor wir Wasserstoff als Lösung für den Klimawandel positionieren, müssen wir uns zunächst mit Wasserstoff als Problem des Klimawandels befassen.“ Schließlich versuchte er, sich mit dem Publikum auszusöhnen: „Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich Wasserstoff hasse ... Ich empfinde keinen Hass gegenüber irgendeinem Element des Periodensystems.“......
Er hat die vielen Möglichkeiten, Wasserstoff einzusetzen, sortiert. Übersetzt heißt das: Er hat sich angeschaut, in welchen Bereichen wir Wasserstoff wirklich gut gebrauchen können.
In dunklem Lila sind die Anwendungen markiert, bei denen es heute auch in der Theorie keine Prozesse gibt, um den CO₂-Ausstoß zu reduzieren und keinen Wasserstoff einzusetzen. Das sind die Nischen, in denen Wasserstoff gewinnt. Er wird zur Herstellung von Düngemitteln wie Ammoniak gebraucht, als Kontaktstoff in der chemischen Industrie, zum Aufspalten von Erdöl und bei der Entschwefelung.
Was nicht dunkellila markiert ist: all die anderen Einsatzgebiete, bei denen Industrie und Regierungen dieser Welt Wasserstoff einsetzen wollen. In jedem Feld gibt es bereits jetzt denkbare Alternativen, die sich schneller durchsetzen könnten.
5. Wasserstoff ist ein Taschenmesser: teuer, praktisch, aber selten das beste Werkzeug
Wer ein batterieelektrisches Auto haben kann, wird kein Wasserstoffauto kaufen, das technisch komplexer und damit fehleranfälliger, teurer und fast nirgendwo zu betanken ist. Wer seinen Strom direkt in einer Batterie speichern kann, produziert nicht mit hohen Energieverlusten Wasserstoff, um den Strom so zu speichern.
Deswegen kommt Liebreich zu einem klaren, aber nicht zu den großen Ankündigungen passenden Schluss: „Das Problem ist, dass man Wasserstoff, genau wie ein Schweizer Taschenmesser, nicht für alle verwenden wird, was man theoretisch damit machen könnte.“ Man kann sich die Haare mit einem Taschenmesser schneiden, macht aber niemand, der schon einmal eine Schere gesehen hat.
Weil grüner Wasserstoff so selten und so teuer ist, wird er auf Jahre hinaus nur dort eingesetzt werden, wo es wirklich nicht anders geht. In allen anderen Bereichen werden sich die billigeren Alternativen durchsetzen, solange die Wasserstoffpreise nicht mit Staatshilfe künstlich gesenkt werden und die Technik schnell praktischer wird. Dafür gibt es schon jetzt genug Belege. Vor zehn Jahren wurden wasserstoffbetriebene Gabelstapler als Beleg genommen, dass sich die Technik durchsetzt. Heute stellen sie in den USA nur etwas mehr als zwei Prozent der Flotte. Bei den Autos das gleiche Bild: In Deutschland fahren 386 Brennstoffzellenautos im Vergleich zu 840.000 E-Autos. Deutsche Städte wie Hamburg und Wiesbaden schaffen ihre Wasserstoffbusse wieder ab und die „größte Wasserstoffflotte der Welt“ der Deutschen Bahn steht im Taunus öfter herum, als dass sie fährt.
Dennoch wird Wasserstoff eine Rolle spielen in den Gesellschaften der Zukunft. Nur welche genau, das ist nicht ganz so offen, wie es die Verfechter der Technologie immer wieder darstellen. Nicht ganz so: technologieoffen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen