27.04.2023 hier im Südkurier
Verbände fordern Flächenschutz
In Baden-Württemberg verschwindet täglich rund ein halbes Dutzend Hektar pro Tag unter Beton oder Asphalt. Mehr als acht Fußballplätze. Viel zu viel, kritisiert ein breites Bündnis von Umwelt-, Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden und fordert verbindliche Obergrenzen für den Flächenverbrauch. Diese Grenzen müssten gesetzlich verankert werden, heißt es im Volksantrag „Ländle leben lassen“, für den die Verbände Unterschriften sammeln.
„Der Flächenverbrauch ist neben dem Klimawandel und dem Artenrückgang das dritte große Umweltproblem in unserem Land“, sagte Gerhard Bronner vom Landesnaturschutzverband (LNV). Anspruch und Wirklichkeit klafften im Handeln der Landesregierung weit auseinander. „Mit unserem Volksantrag fordern wir die Politik auf, den Flächenverbrauch als eines der drängendsten Umweltprobleme endlich zu stoppen“, erklärte Hans-Benno Wichert, Vizepräsident des Landesbauernverbandes (LBV). Zusätzlich fordern die Verbände auch einen besseren Schutz für fruchtbare Böden.
Wohnungsbauministerin Nicole Razavi sprach von einem „anspruchsvollen Spagat“. Es würden mehr Wohnraum, Windräder und Photovoltaik-Anlagen, Verkehrswege und Entwicklungsmöglichkeiten für die Wirtschaft benötigt, sagte die CDU-Politikerin. „Für all das brauchen wir Flächen und wollen doch zugleich auch den Flächenverbrauch insgesamt senken.“ Sie versprach einen „Aktionsplan Flächensparen“.
Das Ziel der Landesregierung
Der tägliche Flächenverbrauch lag nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Baden-Württemberg im Jahr 2021 bei 6,2 Hektar pro Tag – das war deutlich mehr als die durchschnittlich 5,4 Hektar im Jahr zuvor. Im Jahr 2000 waren es zwar noch 12 Hektar pro Tag, aber Grüne und CDU in Baden-Württemberg haben auch ein ehrgeiziges Ziel: In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die Landesregierung, den Flächenverbrauch auf zunächst 2,5 Hektar pro Tag zu begrenzen und bis 2035 auf Netto-Null zu reduzieren. „Mit den bisher ergriffenen Maßnahmen wird sie dieses Ziel nicht erreichen – tatsächlich steigt der Flächenverbrauch seit 2018 wieder deutlich an“, kritisiert das Bündnis. Nach Angaben des Nabu sind mittlerweile 14,8 Prozent des Landes mit Häusern, Parkplätzen oder Straßen bedeckt. Im Jahr 2000 waren es noch 13,2 Prozent.
Schwäbische Zeitung hier 27.04.2023 Kara Ballarin
Fast 9 Fußball-Felder pro Tag versiegelt
Volksbegehren will Schluss mit dem Flächenfraß machen
Mit einem Volksantrag wollen Naturschutz– und Landwirtschaftsverbände in Baden–Württemberg die Politik dazu bringen, den Flächenverbrauch einzudämmen.
Acker, Bauland oder Biotop? Ganz unterschiedliche Gruppen streiten sich um das kostbare Gut Boden. Trotz hoch gesteckter Ziele kommt die grün–schwarzen Koalition beim Flächenschutz nicht voran — zuletzt ist der Verbrauch wieder angestiegen. Damit soll jetzt Schluss sein, fordert ein breites Bündnis aus 17 Verbänden und Organisationen. Nun wollen sie mit Hilfe des Volkes die Politik zum Handeln bewegen.
Welches Ausmaß hat der Flächenverbrauch?
In Baden–Württemberg wurden 2021 täglich 6,2 Hektar Boden versiegelt. Im Verhältnis zur Landesgröße ist das zu viel: Der Südwesten macht zehn Prozent der Fläche Deutschlands aus, hat aber mit zwölf Prozent am täglichen bundesweiten Flächenverbrauch von 51,8 Hektar beigetragen. Mit einem Verbrauch von 10,3 Hektar pro Tag war der Anteil Bayerns ziemlich passend zu seiner Größe: Der Freistaat umfasst 20 Prozent der deutschen Fläche.
Während in Baden–Württemberg der Flächenfraß über Jahre kontinuierlich sank, beschreibt das Jahr 2014 einen Wendepunkt. Seitdem steigt der Verbrauch wieder an. „Die letzten zwei Generationen haben so viel Fläche verbraucht wie die 80 Generationen vorher“, sagt Gerhard Bronner, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbands (LNV) Baden–Württemberg. Hans–Benno Wichert, Vizepräsident des Landesbauernverbandes, erklärt, was das für die Bauern bedeutet.
Baden-Württemberg
„Von 1999 bis heute sind rund 30.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche verloren gegangen“ — eineinhalb Mal die Fläche von Stuttgart. Sylvia Pilarsky–Grosch, Landesvorsitzende des BUND Baden–Württemberg, fordert mehr zusammenhängende Gebiete. „Jedes Baugebiet, jede Straße hat eine Barrierewirkung.“ Pflanzen und Tiere könnten sich also nicht ausbreiten. So würden weder die Klimaziele aus dem Pariser Abkommen noch die Ziele zum Artenschutz der Weltnaturkonferenz von Montreal erreicht.
Welche Ziele gibt es zum Flächensparen?
Schon Ex–Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hat für Baden–Württemberg das Ziel der Netto–Null ausgerufen: Es soll nur so viel Fläche versiegelt werden, wie andernorts der Natur oder Landwirtschaft zurückgegeben wird. Geklappt hat das freilich nie. In ihrem Koalitionsvertrag von 2021 haben sich Grüne und CDU zum „ambitionierten Ziel“ gesetzt, den Flächenschwund auf 2,5 Hektar pro Tag zu begrenzen und die Netto–Null bis 2035 zu erreichen. Bayerns hat sich 2021 ins Landesplanungsgesetz geschrieben, den Verbrauch bis 2030 auf rund fünf Hektar zu begrenzen.
Warum geht das alles so schleppend?
„Boden lässt sich nicht vermehren“, sagt Wichert vom LBV. Beim Kampf um die Flächen treffen viele Interessen aufeinander: Kommunen wollen Bauland, Landwirte brauchen Äcker, Artenschützer pochen auf stillgelegte Flächen zum Schutz für Tiere und Pflanzen, Klimaschützer wollen mit Freiflächen–Photovoltaik Energie erzeugen.
Was passiert nun dagegen?
Unter der Führung von LNV, BUND, Landesbauernverband (LBV) und Badischem Landwirtschaftlichem Hauptverband (BLHV) haben sich alle Natur– und Landwirtschaftsverbände, Wandervereinigungen, Jagd– und Fischereiverbände sowie Fridays for Future zusammengetan, um am Donnerstag einen Volksantrag zu starten. Dafür müssen sie innerhalb eines Jahres 40.000 Unterschriften sammeln. Gemeinsam haben die Organisationen 700.000 Mitglieder — werden die Unterschriften also „locker zusammenbekommen“ und kein Jahr dafür brauchen, prognostiziert Bronner vom LNV.
Was fordert das Bündnis?
Mit ihrem Volksantrag „Ländle leben lassen“ will es den Fokus auf den Flächenverlust lenken. „Ein Volksantrag ist eine tolle Möglichkeit, die Politik anzutreiben“, sagt Karl–Heinz Mayer, Vizepräsident des BLHV. Dafür ist ein Volksantrag da, nämlich den Landtag dazu zu bringen, über ein Thema zu debattieren. Die Alternative wäre ein Volksbegehren gewesen, wie es die Naturschutzverbände 2019 mit „Rettet die Bienen“ gestartet hatten. Hierfür sind deutlich mehr Unterschriften nötig. Außerdem geht es dann um einen konkreten Gesetzentwurf, den die Bürger unterstützen.
„Wir fordern eine gesetzliche Grundlage für eine verbindliche Obergrenze“, sagt Bronner. Das Bündnis will die 2,5 Hektar pro Tag und die Netto–Null ab 2035, auf die sich Grün–Schwarz geeinigt haben, gesetzlich festlegen. Notfalls müsse den Kommunen Flächenkontingente gegeben werden, um deren Ausdehnung zu beschränken. Als besonderer Dorn im Auge der Bündnispartner gilt der sogenannte Betonparagraf 13b im Baugesetzbuch, der in den vergangenen Jahren bis Ende 2022 dazu geführt hat, dass viele Gemeinden vereinfacht kleine Baugebiete ausweisen konnten. „Es gibt Kommunen, die verbindliche Obergrenzen brauchen“, sagt Bronner. „Vor allem im ländlichen Raum, dort wo heute noch in Oberschwaben Einfamiliengrundstücke mit 1000 Quadratmeter entstehen. Das darf nicht so weitergehen.“
Auch Mayer vom BLHV betont: „Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage, damit der fruchtbare Boden für die Landwirtschaft geschützt wird.“ Eine Generation verbrauche aktuell eine Fläche von der Größe des Bodensees, die Bauern deckten den Bedarf der Bürger an Kartoffeln nur noch zu 42 Prozent, an Gemüse zu 24 Prozent. Die Politik — auch im Bund — müsse weiter Hürden senken, um Bauen innerhalb von Ortschaften zu vereinfachen, sagt Bronner. Schon heute gebe es vom Land gute Förderprogramme. Innenentwicklung sei aber komplizierter als neue Baugebiete an den Rändern auszuweisen. Regionalpläne sollten zudem künftig so verfasst werden, dass künftig mehr Menschen auf weniger Fläche wohnen sollen, sagt Pilarsky–Grosch.
Wichert vom LBV spricht von einem Weg des Dialogs und des Miteinanders, den die Landwirtschaft– und Naturschutzbverbände unter dem Eindruck des Bienen–Volksbegehrens miteinander und mit der Landesregierung gefunden hätten. Das wünsche er sich nun auch bei diesem Thema.
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