26.04.2023 Südkurier hier Fragen: Angelika Wohlfrom an Karl-Rudolf Korte (Professor für Politikwissenschaften)
„Es gibt keinen Masterplan mehr“
Herr Korte, haben Sie schon eine klimaneutrale Heizung?
Ich wohne im denkmalgeschützten Altbau. Das ist das Problem, wie für viele andere auch. Ich wäre gern unabhängig von Putins Gas und ich will etwas gegen den Klimawandel tun. Aber Robert Habeck war noch nicht bei uns im Heizungskeller.
Er heizt ja mit Fernwärme.
Ja, er ist raus. Aber warum sollen wir so tun, als würde der Klimawandel, wenn er privat wird, uns nichts angehen? Das Heizen ist so zentral, dass wir uns darüber schon Gedanken machen müssen. Die Frage ist halt, wie man das macht. Man kann in Deutschland Mehrheiten für Unpopuläres organisieren, wenn es den Eindruck vermittelt, dass es gerecht zugeht. Es muss transparent kommuniziert werden, befristet sein, fair und sozial. Dann machen alle mit. Aber es geht nicht gut über Entlasteritis und Verbote, nicht über Zumutungen, die man nicht wirklich kommuniziert. Da muss die Bundesregierung noch nacharbeiten, um die Entscheidung zu vermitteln – was Habeck eigentlich gut kann.
Beim Thema Heizen ist jetzt noch ganz vieles unklar, was auch daran liegt, dass die FDP zwar zugestimmt hat – allerdings mit protokollarischer Notiz, dass man die Finanzierung noch klären müsse. Gesundheitsminister Lauterbach hat nachgeschoben, dass das aber für Krankenhäuser nicht gelten solle. Für wie arbeitsfähig halten Sie die Ampel derzeit?
Ich halte sie für sehr arbeitsfähig. Sie tragen Interessenskonflikte stellvertretend für uns alle aus. Es gibt keinen Masterplan als Ausweg, für nichts mehr. In komplexen Gesellschaften hat man nie ein Problem zu Ende gelöst.
Muss man nicht bei der Vorstellung eines Gesetzesentwurfs die Lösung parat haben?
Vom Gesetzesentwurf bis zur Veröffentlichung braucht es im Schnitt 264 Tage in Deutschland. Das ist ein guter Abstimmungsmechanismus in den Parlamenten, Beamte schauen sich das genau an, sodass am Ende ein konsistentes Gesetz herauskommt. Und trotzdem: Vor 20 Jahren hätte das auch Probleme gelöst. Heute taucht nach vier Wochen wieder etwas Neues auf. Das ist aber in komplexen Gesellschaften normal. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir Politik zum Feuerlöschen haben, dass wir experimentieren. Wir Wähler müssen das aushalten, weil es keinen Masterplan mehr geben kann in Zeiten des Gewissheitsschwundes.
Allerdings liegt auf dem Gesetz übers Heizen ein gewisser Zeitdruck, ab Anfang nächsten Jahres soll es ja schon gelten. Die Menschen müssen wissen, worauf sie sich einstellen müssen.
Ich glaube nicht, dass es wirklich Anfang kommenden Jahres in Kraft tritt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Verbotspolitik am Ende mehrheitsfähig ist. Es gibt viel klügere Wege. Es müsste eigentlich so sein, dass die Bürger die Wärmepumpe freiwillig wählen, weil sie wissen, dass ihnen das Kosten spart.
Warum ist Habeck das nicht anders angegangen?
Vermutlich konnte er sich gegenüber der eigenen Partei nicht durchsetzen. Er hat die Grünen in den letzten Jahren sehr klug zu einer Macher-Partei gemacht, nicht zu einer Verbotspartei. Das wäre jetzt ein Rückfall.
Habeck ist in den Umfragen abgerutscht. Ist er dauerhaft beschädigt?
Nein, er hat viel Vertrauen aufgebaut durch das zurückliegende Jahr – dass er Energiesicherheit für uns alle hergestellt hat. Da hat er brilliert. Das Klientel der Mitte, das auf so eine Politik der inklusiven Transformation positiv reagiert, das ist weiterhin da.....
Macht der Kanzler einen guten Job in der Ampel-Koalition? Müsste Olaf Scholz eine aktivere Rolle spielen?
Es ist Last-Minute-Leadership, die er zeigt. Wenn alles niedergekämpft ist, führt er moderierend zusammen. So hat er das bei den letzten Klimadiskursen gemacht. Es scheint ihm zu gelingen, damit Vertrauen bei den Wählern aufzubauen. Wir haben Vertrauen, dass er nicht hurrapatriotisch Kriege eskaliert. Er ist aufregungsresistent, er vermittelt das merkelige Sicherheitsgefühl. Das ist das Positive. Man wünscht sich allerdings schon eine andere Art von öffentlicher Kommunikation. Das ist aggressives Schweigen, was er praktiziert. Das kommt mir manchmal vor wie ein Schweigegelübde – dass er nichts sagt, oder wenn er was sagt, dass die Worte möglichst keine Bedeutung haben. Eine kuriose Art, sich öffentlich zu erklären......
Angela Merkel wird heute ihre Russland-Politik vorgeworfen. Tut man ihr damit unrecht?
Es geht um nachholendes Begreifen. Da muss man fair sein. Die Mehrheit wollte damals billiges Gas. Und deshalb hat auch sie so agiert. Viele hatten eine ähnliche Einschätzung zu Russland wie sie. Was das Kriegsszenario angeht, führt sie an, dass sie 2015, in den Verhandlungen über den Krieg in der Ostukraine, mit ihrer Pendeldiplomatie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Hollande Schlimmeres verhindert hat.
Welche Fehler hat sie Ihrer Ansicht nach gemacht?
Sie hat ihre Politik oft als alternativlos bezeichnet. Das ist in der Demokratie keine Formulierung, die man verwenden sollte. Denn es gibt immer andere Wege. Ich finde auch, sie war genial in der Beschreibung der Wirklichkeit, aber sehr dilettantisch, wenn es um Möglichkeiten ging. Sie hat Politik sehr verkürzt auf das Jetzt, es war Abarbeiten im Hier und Jetzt. Aber ohne Ziele lässt sich auch nicht über Wege lebhaft streiten. Doch das sichert die Qualität der Freiheit.
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