"Da sagen wir schon dass das die Glaubwürdigkeit des Klimaschutzgesetzes unterhöhlt"
"Wir sehen dass wir in keinem Sektor auf einem wirklich guten Weg sind, und das heißt:
Es ist nicht so dass ein Sektor einem anderen was ausleihen könnte....."
"Auf den Punkt" - der Nachrichtenpodcast der Süddeutschen Zeitung.: 17. April 2023,
Von Michael Bauchmüller und Vinzent-Vitus Leitgeb
Der Expertenrat für Klimafragen formuliert in seinem aktuellen Bericht eine klare Botschaft: Nach aktuellem Stand werden die Ziele für das Jahr 2030 um 40 Prozent verfehlt. Auch das Klimaschutzgesetz kritisiert er.
Das Klimaziel der Bundesregierung ist völlig klar: Bis zum Jahr 2030 sollen die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland um 65 Prozent reduziert werden. Alle Ministerien müssen für ihren Bereich gewisse Grenzwerte einhalten. Aber macht die Bundesregierung auch genug, um dieses Ziel zu erreichen?
"Wir sehen, dass wir eigentlich in keinem Sektor wirklich auf einem guten Weg sind", sagte Brigitte Knopf, die Stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen am Montag, als sie zusammen mit Kolleginnen und Kollegen einen neuen Bericht zu den Klimazielen vorstellte. Woran das liegt, erklärt in dieser Folge von "Auf den Punkt" Michael Bauchmüller, der für die SZ aus Berlin über Klimapolitik berichtet.
Focus hier Montag, 17.04.2023,
Klima-Expertenrat richtet deutliche Warnung an Ampel-Regierung
„Das erschließt sich uns nicht“: Obwohl Sektoren wie der Verkehr oder Gebäude in Deutschland noch viel Arbeit vor sich haben, plant die Ampel-Regierung, die entsprechenden Vorgaben für die Sektoren zu lockern. Der eigens eingesetzte Expertenrat der Bundesregierung kann das nicht nachvollziehen - und warnt auch sonst vor Hochmut.
Die Pläne der Ampel-Koalition zur Lockerung von Vorgaben im Klimaschutzgesetz stoßen bei unabhängigen Sachverständigen auf Skepsis. Mit der Änderung sehe der Rat „eine erhöhte Gefahr für eine Verfehlung der Ziele zur Minderung der Emissionen“, sagte der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans-Martin Henning, am Montag in Berlin. Einige Punkte seien aber als Verbesserung zu sehen. Eine abschließende Bewertung sei aber erst möglich, wenn ein konkreter Gesetzesvorschlag vorliege, betonte der Rat.
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, seinen Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein - also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als wieder gespeichert werden können.
Unklare Vorteile
Bei der anvisierten Novelle sei unklar, ob ein Einsparziel jeweils punktgenau für ein bestimmtes Jahr gelten solle oder zusammengerechnet für den gesamten Zeitraum bis dorthin, sagte Henning.
Man plädiere nachdrücklich dafür, beim bisherigen „Budgetgedanken“ für einen ganzen Zeitraum zu bleiben. Eine Änderung verstieße wohl auch gegen das wegweisende Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021.
Bisher wird der jährliche Ausstoß an Treibhausgasen für verschiedene Wirtschaftsbereiche separat erhoben. Überschreitet ein Bereich (Sektor) die mit den deutschen Klimazielen vereinbaren Jahresmengen, müssen die zuständigen Bundesministerien sogenannte Sofortprogramme für mehr Klimaschutz ausarbeiten.
Tendenziell werde damit die Verantwortung der jeweiligen Minister geschwächt, sagte Henning. „Ohne das jetzt weiter auszuführen, erschließt sich uns auch nicht, welchen Vorteil es für die Zielerreichung hätte, wenn der Beschluss politischer Maßnahmen nur dann erfolgt, wenn das dafür geltende Kriterium an zwei Jahren in Folge eintritt.“
Sie verglich die geplante Reform mit guten Vorsätzen beim Sport. Derzeit müsse sich die Bundesregierung ein detailliertes Fitnessprogramm mit Laufen, Schwimmen und am Wochenende einem „Run dlauf um den See“ vornehmen. Mit der geplanten Reform stelle die Regierung im April einfach fest: „Naja, vielleicht sage ich einfach nur, ich will fitter werden bis Ende des Jahres. Und dann ist die Frage, ob das glaubwürdig ist und wie weit man damit kommt.“
Süddeutsche Zeitung hier 17. April 2023 Von Oliver Klasen
Klimakrise: "Expertenrat stellt Bundesregierung beim Klimaschutz schlechtes Zeugnis aus"
Der Rückgang beim Ausstoß von Treibhausgasen sei vor allem durch die diversen Krisen bedingt und erfolge viel zu langsam, sagen die Experten. Wenn es so weitergehe, würden die Ziele für das Jahr 2030 um 40 Prozent verfehlt.
Reicht es oder reicht es nicht? Tut die Bundesregierung genug, um die selbstgesteckten Klimaziele einzuhalten, die bis zum Jahr 2030 immerhin eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 65 Prozent vorsehen?
Der Expertenrat für Klimafragen, der an diesem Montag seinen Prüfbericht vorgestellt hat, stellt der Ampelkoalition dafür ein schlechtes Zeugnis aus. Zwar sei es gelungen, die Gesamtemissionen in Deutschland von 760 Megatonnen im Jahr 2021 auf 746 Megatonnen im Jahr 2022 zu senken.
Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019, dem Jahr vor der Corona-Krise, sei sogar eine Verringerung um 49 Megatonnen geschafft worden. Allerdings sei das völlig unzureichend, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen.
Wenn man die bisherige Entwicklung bis zu jenem Jahr fortschreibe, dann würden die Ziele für den Ausstoß der Treibhausgas-Emissionen um 190 Millionen Tonnen oder um mehr als 40 Prozent verfehlt, so Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrates.
Das Gremium wurde 2019 unter der damaligen großen Koalition eingesetzt und soll sicherstellen, dass die Klimaziele der Bundesregierung nicht nur auf dem Papier stehen. Erfolge und Misserfolge in einzelnen Sektoren sollen nachprüfbar sein und Sofortprogramme nach sich ziehen.
Aufgabe des Expertenrates ist es etwa, die Daten zu evaluieren, die das Umweltbundesamt regelmäßig vorlegt, zuletzt im März. Oberflächlich betrachtet sahen diese Daten ganz gut aus. Deutschland hat für 2022 sein Klimaziel erreicht - allerdings nur, weil die Industrie infolge des Krieges in der Ukraine, der Energiekrise, von Corona-Nachwehen und Lieferkettenproblemen ihre Produktion gedrosselt hat. In anderen Sektoren sah es deutlich schlechter aus.
Die FDP will Defizite im Verkehrssektor durch andere Klimaschutzmaßnahmen kompensieren
"Es könnte der Eindruck entstehen, dass Deutschland auf einem sicheren Weg ist bei der Einhaltung der Klimaziele. Dieser Eindruck relativiert sich aber bei einer genaueren Betrachtung", sagt Henning.
In der Energiewirtschaft stiegen die Emissionen erwartungsgemäß an, weil das fehlende Gas aus Russland zum Teil durch den Rückgriff auf schmutzige Kohlekraftwerke kompensiert wurde. Bei der Beheizung von Gebäuden sank der Ausstoß zwar leicht, lag aber wie im Vorjahr leicht über Plan. Größtes Problem ist der Verkehr, jener Sektor, der von Minister Volker Wissing (FDP) verantwortet wird. Hier stiegen die Emissionen sogar an, der Bereich lag mit fast zehn Millionen Tonnen sogenannter Kohlendioxid-Äquivalente (CO₂e) über der Zielmarke.
"Was wir letztes Jahr an Emissionsminderung gesehen haben, ist vor allem krisenbedingt. Die Reduzierung geht zu langsam, um die Ziele zu erreichen", sagt Brigitte Knopf, die stellvertretende Vorsitzende des Klima-Expertenrates. Allerdings sei "der Peak" der Emissionen inzwischen erreicht. Deutschland sei auf dem Weg, die Treibhausgase zu reduzieren, jedoch langsam.
Der Expertenrat äußerte sich auch zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses. Dieser hatte Ende März unter dem Druck der FDP eine Aufweichung der Sektorziele vereinbart. Das Klimaschutzgesetz soll dahingehend geändert werden, dass Mehr-Emissionen in einem Sektor durch andere ausgeglichen werden können. So ließen sich Misserfolge im Verkehrsbereich durch mehr Klimaschutz etwa in der Bauwirtschaft kompensieren. Das sieht der Expertenrat kritisch. Außerdem dringt er, wie ursprünglich geplant, auf eine jährliche Bewertung der Ziele. Zwar plane die Ampelregierung, das jährliche Monitoring in den einzelnen Sektoren aufrechtzuerhalten, allerdings würden Handlungsanweisungen nur noch dann erfolgen, wenn ein Sektor seine Ziele zwei Jahre hintereinander nicht erfülle. Das gefährde jedoch die Erreichung der Ziele für 2030.
Eigentlich müsste Verkehrsminister Wissing spätestens drei Monaten nach dem Erscheinen des jetzigen Berichts ein Sofortprogramm vorlegen, wie er die Ziele seines Sektors einzuhalten gedenkt. Dazu dazu wird es wohl nicht kommen, denn das Kanzleramt hat Wissing von dieser Pflicht befreit. "Wir haben eine andere Beschlusslage", sagte ein Vize-Regierungssprecher mit Blick auf Ergebnisse des Koalitionsausschusses der Ampel-Parteien.
Während das Bauministerium erklärte, dass man das Sofortprogramm aus dem vergangenen Jahr fortentwickeln werde, kündigte ein Sprecher des Verkehrssressorts an, kein Programm aufzulegen. Bereits das von 2022 war vom Expertenrat als ungenügend abgelehnt worden. Der Sprecher verwies wie das Kanzleramt darauf, dass der Koalitionsausschuss eine Änderung des Klimaschutzgesetzes beschlossen habe. Er gehe davon aus, dass bis zum Erreichen der Frist in drei Monaten das Gesetz geändert sein werde. Das Gesetz muss von Klimaminister Robert Habeck (Grüne) vorgelegt werden. Eine Sprecherin sagte, man sei hier noch am Anfang der Arbeiten, einen Zeitplan zur Vorlage gebe es nicht.
Migazin hier : Fluchtursachenbekämpfung Montag, 17.04.2023,
Expertenrat für Klimafragen fürchtet schwaches Klimaschutzgesetz
Deutschland beteuert immer wieder, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen. Dazu gehört auch Klimapolitik. Bei den Prüfungen des Expertenrats für Klimafragen fällt sie jedoch regelmäßig durch: Deutschland kommt zu langsam voran und könnte nun auch noch die Gesetzes-Vorgaben aufweichen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen