Samstag, 22. April 2023

"Fast 1 Milliarde Euro pro Jahr - Studie sieht hohen ökonomischen Nutzen eines Tempolimits"

links: Proteste gegen Wissings Verweigerungshaltung beim Tempolimit

NTV hier  21.04.2023

Die Studie widerlegt Behauptungen, wonach ein Tempolimit wirtschaftlich schädlich sei.

Laut einer neuen Studie ist ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde nicht nur gut fürs Klima, sondern spart jährlich auch Hunderte Millionen Euro ein. Selbst Autofahrer sollen von einer Geschwindigkeitsbegrenzung profitieren. Experten halten die Zahlen für plausibel, kritisieren aber den Rechenweg.

Ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde in Deutschland würde nach einer im Fachjournal "Ecological Economics" veröffentlichten Studie neben dem Klimaschutzeffekt auch einen erheblichen wirtschaftlichen Nutzen haben. Eine internationale Forschergruppe ermittelte sogenannte Wohlfahrtsgewinne von mindestens 950 Millionen Euro pro Jahr. Besonders der eingesparte Treibstoff, weniger Unfälle, geringere Lieferkettenkosten und Einsparungen bei der Infrastruktur seien dafür neben dem Klimaschutzeffekt relevant. Auch ohne Emissionseinsparungen ergebe sich ein Wohlfahrtsgewinn von 660 Millionen Euro jährlich. Die Experten bewerten das Tempolimit daher als Win-win-Situation: Gut fürs Klima und mit erheblichem Gewinn für die Gesellschaft.

Als Wohlfahrt wird in der Ökonomie den Angaben zufolge der Nutzen für Einzelne oder die Gesellschaft bezeichnet. Wie genau Wohlfahrt im Einzelnen bestimmt werden könne, etwa über das Bruttoinlandsprodukt oder weitere Indikatoren, sei unter Ökonomen noch umstritten.

Die Experten aus Deutschland, Schweden und Kanada stützten sich den Angaben zufolge auf öffentlich zugängliche Daten. Mithilfe einer Kosten-Nutzen-Analyse ermittelten sie demnach die Auswirkungen eines Tempolimits auf Reisezeiten, Treibstoffverbrauch und -subventionen, Lieferketten, Infrastrukturausbau und -unterhalt sowie Unfälle, ferner Landnutzung, Emissionen von Luftschadstoffen und Treibhausgasen. Dabei berechneten sie, welche ökonomischen Schäden und Vorteile dadurch entstehen würden.

"Einfache Physik der Mittelstufe"

Aus Sicht von Professor Udo Becker vom Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr an der TU Dresden widerlegten die Ergebnisse der Studie die Behauptung, ein Tempolimit sei gefährlich und wirtschaftlich schädlich. "Eigentlich ist es ganz einfache Physik, und jeder lernt es in der Mittelstufe: Der Energieverbrauch steigt mit dem Quadrat der Geschwindigkeit an, und schnellere Fahrt erzeugt mehr Emissionen und erhöht die Lärmbelastung."

Fahrerinnen und Fahrer würden durch ein Tempolimit Kraftstoff im Wert von 766 Millionen Euro pro Jahr sparen. In der Studie seien alle wesentlichen Wirkungen einbezogen worden. "Um die Klimaprobleme ebenso wie die Flächenverbrauchs-, Abgas- und Lärmprobleme des Verkehrs zu reduzieren, ist ein Tempolimit auf Bundesautobahnen damit ein volkswirtschaftlich sinnvolles Vorgehen", sagt Becker.

Zahlen plausibel, aber Rechenweg nicht nachvollziehbar

Professor Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin nannte die Annahmen und Methodik der Studie plausibel. Die Annahmen seien konservativ getroffen, insbesondere bei den sozialen Kosten der CO₂-Emissionen. Er bedauert, dass aufgrund fehlender Daten die Auswirkungen auf Lärm nicht mit einbezogen werden konnten. Dies sei eine möglicherweise zusätzliche relevante Kategorie, die Herzkreislaufkrankheiten induziere, so der Experte.

Professor Kai Nagel hält die resultierenden Größenordnungen ebenfalls für plausibel. Er ist Fachgebietsleiter Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik am Institut für Land- und Seeverkehr (ILS) der Technischen Universität Berlin. "Die Berechnungsmethode für diese weiteren Nutzen kann ich aber nicht nachvollziehen, weil Einsparungen durch langsameres Fahren umgerechnet werden in äquivalente nicht-gefahrene Kilometer, ohne dass die Zulässigkeit einer solchen Umrechnung diskutiert wird."

Deutschland ist nach Darstellung der Autoren der Studie nach wie vor das einzige große Land der Welt, in dem es keine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gibt. Eines der Hauptargumente dafür sei, dass niedrigere Geschwindigkeiten Kosten für die Reisezeit verursachten, die nicht durch Vorteile wie eine Verringerung der Treibhausgasemissionen aufgewogen würden.
Aus Sicht der Autoren sind die vorgebrachten Argumente irreführend.



Neue Studie zu Autobahnen : Ein Tempolimit könnte viel Geld einsparen

ZDF von Jan Schneider  21.04.2023  hier

Ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde könnte Kraftstoff im Wert von 766 Millionen Euro pro Jahr sparen - und gleichzeitig noch das Klima schützen, besagt eine neue Studie.


Studie greift Argumente des Verbands der Automobilindustrie auf

Die Studie greift das Argument des Verbands der Automobilindustrie (VDA) auf, dass ein Tempolimit nur wenig Energie sparen würde, die wirtschaftlichen Verluste durch längere Fahrten aber groß seien. Eigentlich sei es jedoch ganz einfache Physik, erklärt der Professor für Verkehrsökologie an der Universität Dresden, Dr. Udo Becker: "Der Energieverbrauch steigt mit der Geschwindigkeit an, und schnellere Fahrt erzeugt mehr Emissionen und erhöht die Lärmbelastung."

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass ein Tempolimit volkswirtschaftlich sehr vorteilhaft ist.
Die Fahrerinnen und Fahrer würden durch ein Tempolimit Kraftstoff
im Wert von insgesamt 766 Millionen Euro pro Jahr sparen.
Dr. Udo Becker, Professor für Verkehrsökologie an der Universität Dresden

Das Forscherteam stützt sich dabei auf eine Reihe von öffentlich zugänglichen Daten, viele davon vom Umweltbundesamt. In der Kosten-Nutzen-Analyse wurden die Auswirkungen eines Tempolimits auf Reisezeiten, Treibstoffverbrauch und -subventionen, Lieferketten, Infrastrukturausbau und -unterhalt sowie Unfälle und Emissionen untersucht. Dabei berechneten sie, welche ökonomischen Schäden und Nutzen dadurch entstehen würden. Da immer die "vorsichtigsten Werte" verwendet wurden, könnte in der Realität ein noch deutlich höherer Nutzen zu erwarten sein.

Wie viele Strecken ohne Tempolimits gibt es überhaupt?

Aktuell unterliegen weniger als ein Viertel der deutschen Autobahnkilometer einem dauerhaften Tempolimit, wobei die Daten dieser Erhebung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bereits aus dem Jahr 2015 stammen. Auf gut 18.000 Kilometern Autobahn dürfen Fahrer*innen so schnell fahren, wie es eben geht.

Im europäischen Ausland gibt es dagegen fast überall Tempolimits: In den meisten Ländern gilt ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde, in manchen Ländern wie Spanien, Schweden und Finnland gilt 120 km/h. Nur in Polen und Bulgarien beträgt die Höchstgeschwindigkeit 140 km/h.

Wie schnell wollen Autofahrer*innen fahren?

Die Forschenden hinter der Untersuchung geben an, dass eine "Mehrheit der Bevölkerung eine 130-km/h-Grenze befürwortet", und belegen dies mit mehreren Umfragen aus den Jahren 2019 bis 2022. Auch in einer Befragung der Mitglieder des ADAC gaben 52 Prozent der Befragten an, ein generelles Tempolimit für Pkw auf deutschen Autobahnen zu befürworten.

Tatsächlich fahren laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft auch auf Abschnitten ohne Tempolimit rund 77 Prozent der Autofahrer langsamer als 130 km/h. Weitere zwölf Prozent fahren demnach zwischen 130 und 140 km/h, und weniger als zwei Prozent schneller als 160 km/h.

Die Ablehnung des Tempolimits durch die Automobilindustrie sei demnach nicht nachzuvollziehen und die Argumente "irreführend", so die Forschergruppe, die sich mit den Wohlfahrtsgewinnen beschäftigt hat.

Tempolimit oder nicht: Was tun?

Um CO2-Emissionen, Staus, Lärm oder Schadstoff-Emissionen zu bekämpfen, gebe es sogenannte Push- und Pull-Maßnahmen, erklärt Dr. Kai Nagel vom Institut für Land- und Seeverkehr (ILS) der Technischen Universität Berlin.

"Push-Maßnahmen" richteten sich demnach direkt gegen die jeweiligen Herausforderungen, also zum Beispiel Geschwindigkeitsbegrenzungen oder eine Maut gegen CO2-Ausstoß oder gegen Lärm. "Pull-Maßnahmen" versuchten dagegen, die Autofahrer auf andere Verkehrsmittel - zum Beispiel auf das Fahrrad oder den öffentlichen Verkehr - umzulenken, indem man jene attraktiver mache.

Alle Untersuchungen zeigen, dass Push-Maßnahmen deutlich besser als Pull-Maßnahmen wirken; sie finden aber auch deutlich weniger Akzeptanz.
Die Herausforderung sei also, ein Paket zu finden, das gleichzeitig politisch akzeptabel und trotzdem wirksam ist.




RND hier  21.04.2023 - im Prinzip derselbe Text wie NTV

Maximal 130 Stundenkilometer

950 Millionen Euro Gewinn pro Jahr: Studie sieht hohen Nutzen des Tempolimits

Eine aktuelle Studie hat Nutzen und Kosten eines Tempolimits in Deutschland näher unter die Lupe genommen. Laut der internationalen Forschergruppe könnten maximal 130 Stundenkilometer auf Autobahnen gleichbedeutend mit mindestens 950 Millionen Euro an Wohlfahrtsgewinnen im Jahr sein.

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