ZDF hier von Pierre Winkler 27.04.2023 In Deutschland fehlt immer mehr Wohnraum. Bundesbauministerin Klara Geywitz will darum deutsche Städte mit radikalen Mitteln verändern. Was die SPD-Politikerin plant.
Die Rechnung ist so einfach wie bitter: Angetreten war die Ampel-Koalition mit dem Versprechen, pro Jahr in Deutschland 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Knapp eineinhalb Jahre später klingt das unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine so:
Wir müssen die Kapazitäten ausweiten, weil die 300.000 [Wohnungen], die wir jetzt schaffen, wenn alles super läuft, sind auf jeden Fall zu wenig.
Klara Geywitz, SPD
Geywitz: Bedarf an Wohnraum gestiegen
Problem: Schon das alte Ziel kann die Bundesregierung nicht halten. Aufgrund der vielen aus der Ukraine nach Deutschland geflüchteten Menschen liege der Bedarf aber heute sogar bei "mehr als die 400.000", so die Ministerin. Geywitz hatte in mehreren Interviews Zahlen von mindestens 500.000 Wohnungen genannt, die eigentlich pro Jahr gebaut werden müssten.
Eine happige Differenz, die sich vor allem in den begehrten Ballungsräumen mit den meisten Arbeitsplätzen bemerkbar macht. Die Ministerin will hier radikal vorgehen:
Man muss natürlich in den Innenstädten nachverdichten,
zum Beispiel oben auf das Dach noch mal drei, vier Etagen, in die Innenhöfe gehen.
Klara Geywitz, SPD
Geywitz: Städte sollen in die Höhe wachsen
Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Baunutzungsverordnung "relativ große, breite Straßen" vorgesehen, "mit relativ geringer Geschossdichte" bei Wohnhäusern, "häufig zum Beispiel fünf Etagen, weil man keinen Fahrstuhl hatte", sagte Geywitz.
Und es spricht nichts dagegen,
dass man auf ein fünfetagiges Haus in einer Innenstadtlage
noch ein paar Etagen draufmacht.
Klara Geywitz, SPD
Urbanität brauche "eine gewisse Höhe", vor allem bei stark gestiegenen Grundstückspreisen. Zudem müsse man Flächen sparen, um etwa Wälder zu schonen.
Geywitz: Verordnungen für Autostellplätze problematisch
Um das Ziel des Bauens in die Höhe zu erreichen, plädierte Geywitz für ein Ende der in vielen Bundesländern geltenden Verordnungen für Autostellplätze. Diese Regeln besagen: pro neuer Wohnung je ein zusätzlicher Stellplatz.
Wer wie Geywitz in Städten weiter nach oben bauen möchte, bekommt aus diesem Grund schnell Probleme. Ein neues Stockwerk wäre bei Wohnhäusern häufig möglich, in Tiefgaragen oder Parkhäusern ist aber meist zu wenig Platz, um die Regeln einzuhalten.
"Es gibt Bundesländer, die haben so eine Stellplatzsatzung überhaupt gar nicht in dieser festen Form", sagte Geywitz. "Hamburg zum Beispiel, ich finde, das ist trotzdem eine sehr schöne Stadt, und man kommt hier auch gut durch die Gegend. Berlin hat das auch nicht."
Geywitz fordert moderne Mobilität und seriellen Wohnungsbau
Eine andere Möglichkeit sei es, bei neuen Bauprojekten zuerst das Konzept für eine moderne Mobilität aufzulegen: "Also, dass man erst die Straßenbahn hinlegt, dann das Baugebiet macht und dass man zum Beispiel eine Fahrrad-Infrastruktur hat", sagte Geywitz.
Die autogerechte Stadt ist ein Konzept aus den 50ern und 60ern.
Und das Mobilitätsverhalten ändert sich natürlich auch.
Klara Geywitz, SPD
Um schneller bauen zu können, sei zudem serieller Wohnungsbau wichtig. Dabei werden ganze Häuserteile industriell vorgefertigt und dann vor Ort zusammengesetzt. "Das habe ich gleich von Anfang an gesagt, dass wir das brauchen werden. Da habe ich als Ost-Politikerin gleich immer diese Marzahn-Hellersdorf-Fotos in meinen Interviews gekriegt", sagte die in Potsdam geborene Geywitz. Sie gibt zu verstehen:
Mittlerweile passiert extrem viel. [...] Modulares Bauen, serielles Bauen nimmt Fahrt auf.
Klara Geywitz, SPD
Klimaneutral, zügig, bezahlbar : Die Ampel-Pläne
Mehr Wohnraum durch Umbau?
ZDF hier von Sylvia Bleßmann 17.02.2022
Die Ampelkoalition will einen Aufbruch im Wohnungsbau wagen. Mit 400.000 Wohnungen pro Jahr, jede vierte davon eine Sozialwohnung, sind ehrgeizige Neubau- und Klimaziele gesteckt.
Bauen, Umbauen, Modernisieren - so der Fahrplan für den Wohnungsbau. Wie ist das bei begrenzten Haushaltsmitteln, teurer werdenden Baustoffen, steigenden Grundstückspreisen und der Forderung nach klimaneutralem Bauen zu schaffen?
Werden bald viel mehr Menschen hierzulande über Parkhäusern, Supermärkten, in umgebauten Bürogebäuden und ganz weit oben auf Dächern alter Plattenbauten mit ganz neuem Potential wohnen ?
Beispiel Berlin: Neue Geschosse auf Bestandsimmobilien
Im Norden von Berlin wurde auf einem fünfstöckigen Haus noch einmal drei Etagen aufgestockt. Ein Pilotprojekt der HOWOGE-Wohnungsbaugesellschaft. 50 neue Wohnungen auf einem DDR-Plattenbau des Typs WBS 70, für die keine neuen Grundstücksressourcen notwendig waren.
Technisch wären noch mehr Geschosse möglich.
Ulrich Schiller, Geschäftsführer HOWOGE
"Allerdings haben wir im Bestand gebaut, da braucht man zunächst die Akzeptanz der Mieter für eine lange Bauphase," ergänzt Schiller.
Das Projekt begann mit der Ertüchtigung der Fundamente im Keller des ganzen alten Baukörpers; es folgten der Bau von Aufzügen und dann die Aufbauten der Wohnungen in Holzhybridweise. Sowohl technisch wie wirtschaftlich wurden Erfahrungen gesammelt, die nun weiteren Typenplanungen der Stadt zur Verfügung gestellt werden.
Wie in der Fläche auch wurden die Hälfte der durch Aufstockung entstandenen Wohnungen öffentlich gefördert - können also zu 6,50 Euro vermietet werden - die andere Hälfte zu Baukosten gerechten 11 Euro.
Große Kostentreiber waren rasant steigende Material- und Rohstoffpreise. Besonders bei Holz und Stahl. Die Erkenntnis dennoch: Sozialer Wohnungsbau ist mit Aufstockung möglich.
Wir werden auf den Dächern unsere Wohnungsbaubestände weiter entwickeln können und müssen - das ist alternativlos bei den knappen und teuren Grundstücken.
Ulrich Schiller, Geschäftsführer HOWOGE
Über fünf Millionen neue Wohnungen durch Umbau und Dachaufbau
Von den 19,3 Millionen Wohngebäuden in Deutschland ist das Potential im Baubestand riesig:
Aus der vorhandenen Gebäudesubstanz kann erstaunlich viel herausgeholt werden.
Dietmar Walberg, Wohnungs- und Bauforschungsinstitut ARGE
Das sagt der Chef des Wohnungs-und Bauforschungsinstituts ARGE Dietmar Walberg. Er hat für den Wohnungsbau-Tag 2022 eine "Wohn-Inventur für Deutschland" gemacht. Sein Fazit:
4,3 Millionen neuer Wohnungen könnten allein durch Umbau entstehen. Allein der Umbau von nicht mehr gebrauchten Büros durch Home Office würde 1,9 Millionen Wohnungen bringen und das relativ kostengünstig für 1.300 Euro pro Quadratmeter - Neubaupreise liegen bei 3.400 Euro pro Quadratmeter.
Dachaufbauten bieten laut seiner Studie das enorme Potential von 1,5 Millionen neuer Wohnungen zu Kosten von rund 2.500 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommt das Aufstocken von Verwaltungs-, und Bürokomplexen, Supermärkten, Parkhäusern, Fabriketagen.
Deutschland wird sich gewaltig umbauen müssen, um über die Neubaukapazität hinaus neue Wohnungen zu bekommen.
Knackpunkt energetische Sanierung
Beim Energiesparen müsse Deutschland in den Turbo-Gang schalten. Deutlich mehr Altbauten sollten energetisch saniert werden. Allerdings muss Klimaneutralität bezahlbar sein. Laut ARGE liegen die Schätzungen für empfohlene Energiesanierung bei jährlichen Kosten von 150 Milliarden Euro.
Um Klimaschutz für Mieter bezahlbar zu gestalten, werden Fördermittel von acht bis 14 Milliarden Euro pro Jahr nötig, und es muss Anreize in Höhe von 30 Milliarden pro Jahr für Modernisierung geben.
Der Staat muss mit einem Multi-Milliarden Paket tief in die Tasche greifen, damit die ehrgeizigen Wohnungsbau- und Klimaziele beim Wohnen erfüllt werden können. Er kann sich keine Förderlücke erlauben. Die Bau- und Immobiolienbranche fordert mehr Anreize, mehr Tempo, mehr Verlässlichkeit.
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