Montag, 17. April 2023

In Frankreich ist die Wassermangel-Realität bereits im Frühjahr angekommen: Vier Kommunen untersagen Entnahme von Trinkwasser aus dem Hahn

Zeit  hier  Von Ivana Sokola 15. April 2023, 

In vier südfranzösischen Dörfern dürfen die Einwohner kein Leitungswasser mehr konsumieren – der Grundwasserspiegel ist zu niedrig. Sie erhalten wöchentlich Wasserpakete.

Die Behörden vier südwestfranzösischer Kommunen haben ihren Einwohnerinnen und Einwohnern den Konsum von Leitungswasser untersagt. Die Regel für die Gemeinden Corbère, Corbère-les-Cabanes, Saint-Michel-de-Llotes und Bouleternère im Departement Pyrénées-Orientales westlich von Perpignan gilt seit dem gestrigen Freitag, wie der Radiosender France Bleu Roussillon berichtete.

Die Entscheidung wurde vor dem Hintergrund des niedrigen Grundwasserspiegels getroffen. Der Nationale Geologische Dienst (BRGM) meldete, dass rund 75 Prozent des Grundwasservorkommens als zu niedrig eingestuft wurden – im Vergleich zu rund 58 Prozent vor einem Jahr.

Bei der Entnahmeschwelle der Bohrung gelte das Wasser nicht mehr als trinkbar, hieß es in einer SMS, die an Anwohner verschickt wurde – zudem als nicht geeignet "für die Zubereitung von roh gegessenen Lebensmitteln sowie für die Zahnhygiene". Das schreibt L'Indépendant. Der BRGM schätzt das Dürrerisiko für die Region Pyrénées-Orientales als sehr hoch ein.

Die Gemeindeverwaltung von Corbère-les-Cabanes kündigte an, dass sie "ein Wasserpaket pro Person und Woche" kostenlos verteilen werde. Zudem wurden die Einwohnerinnen zum Wassersparen aufgerufen. Generell gilt ein Verbot, den Garten zu wässern, Autos zu waschen, Schwimmbäder zu füllen oder Fassaden und Terrassen zu reinigen.

Das Departement Pyrénées-Orientales grenzt an Spanien und ist eine der am meisten von Dürre betroffenen Regionen Frankreichs. Zwischen September und März halbierte sich die Niederschlagsmenge laut Météo-France im Vergleich zu den Normalwerten, wie die Zeitung Le Monde berichtet. Die 226 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Region haben demnach die Einführung einer Charta angekündigt, in der sie sich zum Wassersparen verpflichten.

Der BRGM warnte wegen mangelnden Regens bereits vor weitreichender Dürre in Frankreich. Die Grundwasserreserven hätten unter dem vergangenen heißen und trockenen Sommer gelitten, hieß es. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rief dazu auf, Wasser zu sparen. Demnach sollten bis 2030 alle Sektoren zehn Prozent weniger Wasser nutzen.


Fünf vor acht / Wassermangel in Frankreich:  Klassenkampf ums Wasser

Eine Kolumne von Matthias Krupa ebenfalls in der Zeit vom Sommer letzten Jahres, 30. 8. 2022

In Frankreich verschärft die Trockenheit die Verteilungskonflikte. Was ist wichtiger: duschen oder ernten? Und muss man noch Golf spielen, wenn der Überfluss endet?

Wann endet dieser Sommer? Wenn die letzten Waldbrände gelöscht sind, wenn die Flüsse wieder Wasser führen, wenn die Blätter von den Bäumen fallen? Oder doch am 23. September, wenn laut Kalender in diesem Jahr der Herbst beginnt? In Frankreich sind die ersten Blätter schon im Juni von den Bäumen gefallen, und viele Feuer sind noch immer nicht gelöscht. Dafür vermelden die Wetterdienste weiterhin Hitzerekorde. 

In Nizza sind die Temperaturen in 57 Nächten hintereinander nicht unter 20 Grad gefallen, ab 20 Grad sprechen die Meteorologen von "tropischen Nächten". Die Wassertemperaturen an einigen Mittelmeerküsten liegen aktuell noch immer bei 28 Grad; auch die Quallen, die das warme Wasser lieben, sind noch nicht verschwunden. Und auf dem Kontinent hält die Dürre an. Einige Länder Europas könnten in diesem Jahr die schlimmste Trockenheit seit 500 Jahren erleben, haben die Experten der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission vor einigen Tagen festgestellt. 

Nein, dieser Sommer ist noch lange nicht zu Ende. Und Frankreich gehört zu den Ländern in Europa, die davon besonders betroffen sind. Wie unter dem sprichwörtlichen Brennglas kann man dort die Folgen sehen, die der verschärfte Wassermangel mit sich bringt.

In vielen Regionen Frankreichs gelten derzeit Beschränkungen für den Gebrauch des Wassers; in 78 der insgesamt 101 Départements ist die höchste Alarmstufe für Trockenheit ausgerufen worden. Private Gärten dürfen dort nicht mehr gegossen werden, auch keine öffentlichen Grünflächen. Die Brunnen wurden abgestellt, Landwirte müssen Ausnahmeregeln beantragen, die Einhaltung der Regeln wird von einer sogenannten Wasserpolizei kontrolliert. Mancherorts ist die Situation sogar noch schlimmer: In mehr als 100 Gemeinden, vor allem im Süden und Südwesten des Landes, gibt es überhaupt kein fließendes Wasser mehr, ihre Bewohnerinnen und Bewohner werden mit Tanklastzügen versorgt.

Wer bekommt Wasser, wenn nicht mehr genug da ist?

Dass Kriege geführt werden, weil Wasserquellen versiegen, ist ein Szenario, das man bislang aus anderen Regionen der Welt kannte, etwa aus dem Nahen und Mittleren Osten. Nun ist bislang nicht bekannt, dass es in Frankreich zu handgreiflichen Auseinandersetzungen um Wasservorräte gekommen wäre. Doch die gesellschaftlichen Bruchlinien, die die Knappheit mit sich bringt, sind offensichtlich. Ein Drittel des in Frankreich genutzten Wassers wird in der Industrie verbraucht; 45 Prozent fließen in die Landwirtschaft; die verbleibenden 21 Prozent gehen auf das Konto von privaten Haushalten. Vor allem die Unternehmen und Landwirte, die für ihre Produktion besonders viel Wasser brauchen, bangen. Dazu gehören etwa Pharmahersteller, Papierfirmen, die ohnehin kriselnde französische Atomindustrie, aber auch Milchbauern und Brauer.

Emmanuel Macron hat auf diesen Sommer der Rekorde reagiert wie immer: mit einem großen Wort. Der Präsident hat das "Ende des Überflusses" verkündet und seine Landsleute zum sparsamen Umgang mit den Ressourcen aufgerufen. Welchen Beitrag seine Regierung leistet, um dem akuten Wasser- und dem sich abzeichnenden Energiemangel zu begegnen, ist bislang weniger klar. Dabei ist der Wassermangel eigentlich keine Überraschung. Das Büro für geologische und mineralische Forschungen, eine staatliche Einrichtung, hat schon vor zehn Jahren gewarnt, dass Grundwasserspiegel und Flussläufe um bis zu 25 beziehungsweise 40 Prozent sinken werden.

Wie immer, wenn etwas knapp wird, drohen Verteilungskonflikte. Umweltaktivisten haben in den vergangenen Wochen Golfplätze ins Visier genommen, die teilweise weiterhin gewässert wurden. Der Generalsekretär der französischen Grünen, Julien Bayou, hat ein Verbot privater Schwimmbäder in den Raum gestellt. Dazu muss man wissen, dass es in Frankreich rund drei Millionen private Schwimmbäder gibt und ihre Besitzer in den besonders betroffenen Regionen schon jetzt kein frisches Wasser nachfüllen dürfen. Auch private Rückhaltebecken, die einige Landwirte vorsorglich angelegt haben, sind umstritten, weil sie den Grundwasserspiegel senken.

Wer bekommt Wasser, wenn nicht mehr genug für alle da ist? Was ist dann wichtiger, duschen oder ernten? Und muss man wirklich noch Golf spielen? Man müsse aufpassen, dass man nicht in eine Gesellschaft eintrete, in der jeder gegen jeden antrete, warnte Stanislas Guerini, ein Vertrauter Macrons, vor wenigen Tagen. Der Kampf gegen den Klimawandel trage "mehr und mehr Züge eines Klassenkampfs", kommentierte die konservative Tageszeitung Le Figaro die jüngsten Diskussionen um Golfplätze und Schwimmbäder.

Ein Klassenkampf ums Wasser? Noch klingt das weit hergeholt. Aber schön wäre es trotzdem, wenn dieser Sommer bald enden würde.

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