Telepolis hier Artikel von David Goeßmann • 6.12.23
Steigende Emissionen, düsterer Ausblick, COP28-Desaster. Doch es gibt auch Grund für Optimismus. Warum 100 Prozent Erneuerbare in kurzer Zeit funktionieren.
Während die 28. Klimakonferenz in Dubai stattfindet, die COP28, ist die Stimmung angesichts einer Lösung der Klimakrise auf einem Tiefpunkt angelangt. Der Präsident des Gipfels, Sultan Ahmed Al-Jaber, ist Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate und Vorstandschef der staatlichen Ölgesellschaft ADNOC. Wen wundert es da, dass über 2.400 Lobbyisten der fossilen Brennstoffindustrie akkreditiert wurden, um am Klimagipfel teilzunehmen. Ein historischer Rekordwert.
Die globale Klimadiplomatie scheint tot zu sein. Die Gipfel und die Verhandlungen erscheinen mehr und mehr als gigantische Greenwashing-Events, in der wohlklingende Klimaallianzen von den reichen Staaten gegründet werden, ohne dass dabei Substanzielles herauskommt.
Zugleich steigen die Treibhausgasemissionen weiter, trotz fast dreißig internationalen Klimatreffen, auf denen immer wieder versprochen worden ist, gegen die globale Erwärmung vorzugehen. Heute ist die Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre auf einen gefährlichen Rekordwert geklettert, wie Wissenschaftler warnen. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) erklärte zu Beginn der Klimakonferenz, dass 2023 das heißeste jemals gemessene Jahr sein wird, egal, wie kalt der Dezember noch werden wird.
Die Klimafolgeschäden werden währenddessen immer spürbarer und verheerender. Hitzewellen, Stürme, Wetterchaos, Überschwemmung … Zugleich beschleunigt sich der Meeresspiegelanstieg durch schrumpfende Gletscher und polare Eisschilde, was Städte und Inselstaaten schon in diesem Jahrhundert bedrohen könnte. Die Schäden werden mit weiter sich verstärkender Erhitzung zunehmen, so die Prognosen.
Bisher befinden wir uns auf dem Weg Richtung drei Grad Celsius Erderhitzung bis Ende des Jahrhunderts. Klimawissenschaftler sprechen bei einem solchen Szenario von einem anderen Planeten, auf dem die Menschen dann leben würden.
Um das Ruder rumzureißen, bräuchte es eine Energierevolution. Was das bedeutet, zeigt eine neue Studie. Danach müssten Industriestaaten, allen voran die USA, schon in wenigen Jahren, bis 2031, von fossil auf erneuerbar umsteigen, um das 1,5 bis zwei Grad Ziel, wie im Klimavertrag von Paris 2015 vereinbart, noch einhalten zu können. Zudem müssten die reichen Staaten mit hunderten Milliarden Dollar pro Jahr den armen Ländern bei der Transformation helfen.
Angesichts dieser schlechten Nachrichten bezüglich globalem Klimaschutz und der Herkulesaufgabe, die bewältigt werden müsste, um das Schlimmste zu verhindern, gerät eine durchaus positive Nachricht immer mehr in den Hintergrund. Denn eine globale Energiewende zu 100 Prozent erneuerbaren Energien ist möglich und wäre auch schnell, in rasantem Tempo umsetzbar.
Die Umstände dafür haben sich sogar durch die technologischen Entwicklungen und die Verbilligung erneuerbarer Energien in der Vergangenheit deutlich verbessert.
Doch bis heute gibt es jede Menge Skepsis gegenüber einer rasanten Energiewende – früher wurde ein Wechsel auf Erneuerbare an sich infrage gestellt. Aber genauso, wie sich die frühere grundsätzliche Skepsis als nicht haltbar erwies, so ist auch die aktuelle unberechtigt.
So stellte das Wuppertal Institut 2020 in der Studie "CO2 -neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze" fest:
Ein vollständig auf erneuerbaren Energien beruhendes Stromsystem wird von verschiedenen Szenariostudien sowie weiteren wissenschaftlichen Studien als technisch und ökonomisch realisierbar eingeschätzt. … Insgesamt legen die Analysen in dieser Studie nahe, dass das Erreichen von CO2-Neutralität bis zum Jahr 2035 aus technischer und ökonomischer Sicht zwar extrem anspruchsvoll wäre, grundsätzlich aber möglich ist.
Das bedeutet für die Bundesregierung jedoch: Kursänderung sofort. Den Ausbau von Windrädern und Solarpanels müsste man umgehend verstärken, das Tempo faktisch um das Zwei- bis Dreifache gegenüber den besten Ausbaujahren erhöhen. Der Umbau des Stromnetzes braucht darüber hinaus eine signifikante Beschleunigung.
Unnötiger Auto- und Flugverkehr sollte vermieden (minus 20 Prozent), auf öffentlichen Verkehr verlagert und der Rest elektrifiziert beziehungsweise über Power-to-Gas (Umwandlung von Strom in alternative Kraftstoffe unter anderem für Flugzeuge) betrieben werden. Beim Heizen kann auf Wärmepumpen, solarthermische Kollektoren und grüne Nah- beziehungsweise Fernwärme gesetzt werden. Auch das eine Herkulesaufgabe, aber zu stemmen, wenn die Ärmel hochgekrempelt werden, so die Studie.
Die Forscher machen dabei klar, dass die Kursänderung kein Selbstläufer ist, sondern eine politische Kehrtwende erfordert. Sie weisen auch darauf hin, dass je nachhaltiger der Lebensstil gestaltet werde, die Wende desto leichter zu meistern sei.
Im Klartext: Je weniger in Summe geflogen, mit dem Auto gefahren, geheizt, unnötig und energieintensiv konsumiert wird und je weniger Nutztiere gehalten werden, umso einfacher ist es, die rasante Dekarbonisierung in hohem Tempo zum Erfolg zu bringen. Dafür braucht es sozial faire Regelungen, Anreize und auch Verbote vonseiten des Staates. Die Regierungen müssen also den Rahmen setzen.
Die Energy Watch Group (EWG) hält eine Umstellung bis 2030 ebenfalls für realisierbar. Dabei würden Wind- und Sonnenenergie (PV) etwa 80 Prozent ausmachen, während Batterien, Geothermie und Wasserkraft bundesweit einen Anteil von etwa 12 Prozent für die Strom-Erzeugung beisteuern.
Es zeigt sich, dass der notwendige Umbau aller Energiesektoren mit gleichmäßigem Ausbau der Erneuerbaren Energien kostengünstig bis 2030 möglich ist.
Es würden in einem 100-Prozent-Erneuerbare-Energien-System danach Entstehungskosten von 76 Euro pro Megawattstunde (MWh) anfallen. Das entspricht den Kosten im herkömmlichen System.
Technisch und ökonomisch ist also die Wende zu 100 Prozent Erneuerbare auch in kurzer Zeit möglich, wenn man den maßgeblichen Studien folgt. Das Nadelöhr liegt an anderer Stelle. So stellt das Wuppertal Institut fest:
Ob sich dieses Ziel (CO2-Neutralität bis 2035, Telepolis) jedoch tatsächlich realisieren lässt, hängt auch maßgeblich von der gesellschaftlichen Bereitschaft und einem massiven politischen Fokus auf die notwendige Transformation ab.
Daher ist Energiewende-Skepsis so schädlich, weil sie die gesellschaftliche Bereitschaft und den notwendigen politischen Fokus schwächt.
Globale Transformation ist eine Win-Win-Geschichte
Neben der Wuppertal- und EWG-Untersuchung existieren auch zahllose 100-Prozent-Studien und -Initiativen in Städten und Landkreisen. Sie belegen ebenfalls eindrücklich, trotz aller Unterschiede in Details, dass ein rapider Wechsel im gegenwärtigen System ohne grundsätzliche wirtschaftliche Einbußen machbar ist. Die Botschaft ist: Eine saubere Energiewirtschaft ist möglich.
Das gilt auch für die globale Transformation. 2009 entwickelten die Forscher Mark Z. Jacobson von der Stanford University und Mark A. Delucchi von der University of California ein detailliertes Null-Emissionsszenario für die gesamte Welt, veröffentlicht im renommierten Wissenschaftsmagazin Scientific American. Es enthält eine vollständige Umstellung der Energieversorgung bis zum Jahr 2030.
Windkrafträder, Solarpanels, Gezeiten- und Wellenkraftwerke sowie geothermische Anlagen könnten bis dahin die benötigte Globalenergie erzeugen, so die Forscher, billiger zudem, als die fossilen Energien. Die Investitionskosten schätzt die Studie auf 100 Billionen US-Dollar.
Da Sonne, Wind und Wasser keine Rechnung schicken und die Förder- und Transportkosten für fossile Brennstoffe, Kraftstoffe und Strom zwischen 5,5 und 7,75 Milliarden Dollar pro Jahr liegen, bilanziert die Studie, dass der Energiewechsel selbst dann wirtschaftlicher sei, wenn nur die direkten Energiekosten angesetzt würden, exklusive der Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschäden.
Neuere Daten von finnischen und deutschen Wissenschaftlern dokumentieren zudem, dass vor allem die stark gefallenen Preise für Stromspeicher-Batterien den Übergang zunehmend erleichtern, während die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) schätzt, dass die weltweite Batteriespeicherkapazität bis zum Jahr 2030 um das 17- bis 38-fache steigen könnte.
Die wissenschaftlichen Szenarien zeigen, dass ab spätestens 2050 die Energieproduktion weltweit nicht mehr auf Kohle, Gas und Öl angewiesen sein muss. Das 100-Prozent-Szenario beinhaltet dabei: 69 Prozent Solarenergie, 18 Prozent Windenergie und der Rest zu großen Teilen Wasserkraft.
Die globale Energiewende würde zudem jedes Jahr viele neue Jobs schaffen. Die Kosten für eine Megawattstunde würden dabei von gegenwärtig 82 auf 61 Dollar fallen. Der deutsche Leitautor der internationalen Untersuchung Christian Beyer fasst die Ergebnisse der Studie mit folgenden Worten zusammen:
Die Energiewende ist längst keine Frage mehr der technischen Machbarkeit oder ökonomischen Durchführbarkeit, sondern des politischen Willens.
Auch der US-Forscher Robert Pollin, einer der renommiertesten Klimaökonomen weltweit, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Seine Untersuchungen zu einem globalen Green New Deal zeigen, dass der Aufbau eines 100 Prozent sauberen Energiesystems etwa 2,5 Prozent des weltweiten jährlichen BIPs in den nächsten dreißig Jahren erfordern wird.
Ja, das ist in Dollar ausgedrückt eine Menge Geld, etwa zwei Billionen Dollar ab jetzt und danach ansteigend. Aber es bedeutet immer noch, dass 97,5 Prozent der weltweiten Wirtschaftstätigkeit für andere Dinge als Investitionen in saubere Energie verwendet werden können.
Nach Berechnungen des Forscherteams unter Leitung von Pollin werden durch den Green New Deal durchschnittlich 160 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr weltweit zwischen 2021 und 2030 hinzukommen.
Die Forscher widersprechen auch der Sorge, dass es nicht genügend verfügbare Flächen für Solar- und Windkraftanlagen gebe. So habe die Physikerin Mara Prentiss von der Harvard University in ihrem 2015 erschienenen Buch "Energy Revolution: The Physics and the Promise of Efficient Technology" gezeigt, dass weit weniger als ein Prozent der gesamten US-Landfläche benötigt würde, um 100 Prozent des Energiebedarfs der USA zu decken.
Der größte Teil dieses Flächenbedarfs könne beispielsweise durch die Anbringung von Solarzellen auf Dächern und Parkplätzen und den Betrieb von Windturbinen auf etwa sieben Prozent der derzeitigen landwirtschaftlichen Flächen gedeckt werden.
Auch an Geld fehlt es nicht. So schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF), dass fossile Energien jedes Jahr bis zu 5,9 Billionen Dollar an direkten und indirekten staatlichen Hilfen erhalten (inklusive der Kosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden etc.). Das macht Kohle, Öl und Gas deutlich billiger, als sie ohne die staatlichen Schutzschirme wären. Erneuerbare erhalten demgegenüber nur 110 Milliarden Dollar an direkten Subventionen. Die Gelder müssen nur umgelenkt werden.
Ein weiterer Einwand gegen die schnelle Energiewende ist, dass in kurzer Zeit nicht genügend Solarpaneelen bzw. Windräder bereitgestellt werden können. Dieser Pessimismus wirkt ein wenig merkwürdig in Staaten, die ständig schwierige technologische Probleme lösen, Unsummen für komplizierte Waffensysteme bereitstellen, Menschen regelmäßig zu Weltraumstationen fliegen oder die Flugrichtung von Asteroiden durch auf ihnen landende Roboterraumfahrzeuge ändern.
Der energetische Infrastrukturumbau ist sicherlich nicht trivial, aber lösbar. Der Ingenieur Tom Solomon hat im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" zum Beispiel berechnet, dass die USA 295 Solarpanel-Fabriken in der Größe der Gigafabrik in Buffalo bauen müssen, um das Land auf Null-Emissionen zu bringen. "Gigafabrik" wird sie genannt, weil dort im Jahr so viele Solarmodule herstellt werden, um damit ein Gigawatt an Strom erzeugen zu können.
Dazu müsste die gleiche Anzahl an Großbetrieben für Windräder entstehen. So könnte die für ein klimaneutrales Amerika benötigte Menge von 6448 Gigawatt bereitgestellt werden. Umgerechnet hätte also jeder US-Bundesstaat sechs Solar- und sechs Windrad-Fabriken für die Dekarbonisierung zu errichten.
Eine derartige industrielle Mobilisierung hat es historisch in ähnlicher Form schon gegeben, am Beginn der Industrialisierung oder auch, als die Vereinigten Staaten in den 2. Weltkrieg einstiegen und von heute auf morgen die zivilen Industrien zu Kriegsindustrien konvertierten. Statt Autos wurden damals in kurzer Zeit enorme Mengen an Panzer und Kampfjets hergestellt.
Die positive Botschaft lautet also: Die rasante Energiewende ist möglich. Sicherlich, mit dem Infrastrukturumbau sind am Anfang Investitionen verbunden. Sie werden sich aber schnell rechnen, in Form von Konjunkturimpulsen und Arbeitsplätzen – ganz abgesehen von der Vermeidung diverser Schädigungen und damit verbundenen Kosten, die mit dem Verbrennen von Kohle, Gas und Öl einhergehen.
Was fehlt, und das zeigt die derzeitig COP28 leider erneut, ist der politische Wille, einen fairen Green New Deal in den Industriestaaten und weltweit umzusetzen – wobei die Hauptverursacher der Klimakrise, die reichen Staaten, den armen Länder im Globalen Süden dabei finanziell und technologisch helfen müssen. (Die Kosten für diesen Geldtransfer für die Transformation werden auf rund eine Billion Dollar pro Jahr geschätzt.)
Die Frage ist, ob die Regierungen von Bürger:innen und den Zivilgesellschaften in den nächsten Jahren dazu gebracht werden können, den Kurs rechtzeitig und schnell zu ändern. Denn von allein werden sie die notwendigen radikalen Änderungen nicht unternehmen. So viel sollte aus der Geschichte der Klimakonferenzen und ihres Versagens deutlich geworden sein.
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