Sonntag, 3. Dezember 2023

Wärmewende in Dänemark: Heizen lernen von den Dänen

Frankfurter Allgemeine Zeitung  hier  Geschichte von Hendrik Kafsack • 2.12.23

Wer in Kopenhagen Ski läuft, fährt zum Müllheizkraftwerk. Seit dem Jahr 2017 können Skibegeisterte hier auf 450 Meter Kunstmatten den „Amager Bakke“ herabfahren. Darunter werden bei 1000 Grad 560.000 Tonnen Müll im Jahr verbrannt. Bis zur Innenstadt sind es zwölf Minuten mit dem Rad, 200 Meter entfernt erhebt sich ein Apartmentblock, die Luftwerte am Schornstein sind besser als auf dem Parkplatz unten.

„Ideale Wohnlage“, sagt der Chef des Müllheizwerks, Jacob Hartvig Simonsen. Vor allem aber ideale Lage, um die Stadt neben Strom mit Abwärme zu versorgen. Ein Fünftel der Haushaltswärme kommt im Winter von hier, im Sommer sind es 100 Prozent – 160 Kilometer Fernwärmenetz machen es möglich. 99 Prozent der Haushalte sind in Kopenhagen angebunden. Eigene Wärmepumpen braucht hier niemand.

Als Deutschland über das Heizungsgesetz stritt, wunderten die Dänen sich. Als sei die Wärmewende nur mit dem Zwangstausch von Öl- und Gasheizungen gegen eine Haus-Wärmepumpe zu erreichen. Zwei Drittel der Haushalte werden in Dänemark per Rohrsystem mit Wärme versorgt: 1,8 Millionen Haushalte, in 400 Netzwerken in 98 Kommunen.

Jammern auf hohem Niveau

„Das geht alles auch in Deutschland“, sagt Christian Bjerrum Jørgensen von der dänischen Botschaft in Berlin. Es gibt Fernwärmenetze, in Flensburg, Hamburg, Köln, München. Bislang sind aber nur 15 Prozent der Haushalte angebunden, 6 Prozent der Gebäude. Fachleute schätzen aber, dass die Hälfte der Haushalte angebunden werden könnte.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, in Flensburg zu Hause, redet inzwischen lieber über Fernwärme als über Wärmepumpen. Das eben verabschiedete Wärmeplanungsgesetz verpflichtet Großstädte, bis Ende Juni 2026 Wärmepläne zu erstellen. Jeder soll dann sehen können, ob das Fernwärmenetz zu ihm ausgebaut wird. Städte mit weniger als 100.000 Einwohnern haben bis Mitte 2028 Zeit.

Bis 2028 will Dänemark den Ausbau seines Fernwärmenetzes schon abgeschlossen haben. Noch einmal 200.000 Haushalte sollen hinzukommen. Mehr anzubinden ergibt keinen Sinn. In dünn besiedelten Gegenden müssen die Menschen auch hier ihr Haus selbst heizen. Ein Selbstläufer wird der Ausbau nicht, gesteht Toke Liengård von der dänischen Energiebehörde ein. Auch in Dänemark fehlen Facharbeiter und Material. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

Wärmepläne gibt es seit Mitte der achtziger Jahre

Dass die Dänen schon so weit sind, hat viel mit der Ölkrise in den Siebzigerjahren zu tun. Sie traf Dänemark mit voller Wucht. Kein Land außer Japan war so abhängig von importiertem Öl. Also beschlossen die Dänen, die Ölheizungen abzuschaffen und auf Fernwärme zu setzen: zunächst aus der Abwärme von Kohle- und Gaskraftwerken, die auch Strom lieferten (Kraft-Wärme-Koppelung). Schon seit 1979 müssen die Kommunen Wärmepläne aufstellen, Mitte der Achtzigerjahre waren sie weitgehend damit fertig.

„Grün“ ist das Fernwärmenetz aber erst in den beiden vergangenen Jahrzehnten geworden. Mehr als 75 Prozent der Energie kommt heute aus erneuerbaren Quellen. 2010 war es weniger als die Hälfte. Bis 2030 sollen es 95 Prozent sein. „Das Fernwärmenetz erlaubt uns, die Versorgung in Rekordzeit umzustellen“, sagt Liengård. „Wenn irgendwann etwa genug grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, speisen wir auch den ein.“

In Deutschland liegt der Anteil grüner Fernwärme bei 20 Prozent. Das Wärmeplanungsgesetz setzt höhere Ziele: Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent aus erneuerbaren Quellen oder unvermeidbarer Abwärme erzeugt werden, zehn Jahre später sollen es 80 Prozent sein. Neue Netze müssen gleich 65 Prozent liefern.

Zur Wahrheit des dänischen Erfolgs beim Ergrünen der Fernwärme gehört allerdings auch, dass 53 Prozent aus Biomasse stammen, Holzpellets oder Stroh. Aber das soll sich ändern. Die Netze werden elektrifiziert. „Innerhalb der nächsten zwölf Jahre wollen wir den Anteil der mit Ökostrom betriebenen Großwärmepumpen verzehnfachen“, sagt Jørgensen, von heute 4 auf 40 Prozent.

Eine Riesenwärmepumpe für 25.000 Haushalte

In Esbjerg an der Nordseeküste, oberhalb von Sylt, entsteht gerade die größte CO2-Meerwasserwärmepumpe der Welt. Mit den Wärmepumpen in Einfamilienhäusern hat sie so viel zu tun wie ein Matchbox-Auto mit einem Formel-1-Boliden. Die von MAN Energy Solutions in Zürich entwickelte 60-Megawatt-Anlage soll in den kommenden 35 Jahren 25.000 Haushalte versorgen.

Der Strom kommt aus einer Windfarm vor der Küste. 4000 Liter Wasser pumpt die Anlage in der Sekunde aus dem Meer. Dann beginnt die Umwandlung in Fernwärme: In einem Wärmetauscher gibt das Wasser die Wärme an das kalte, flüssige CO2 ab. Das halb verdampfte CO2 wird mit zwei Kompressoren – die sonst in der Tiefsee zum Einsatz kommen – so verdichtet, dass es das Wasser des Fernwärmenetzes über einen weiteren Wärmetauscher auf 60 bis 90 Grad aufheizt.

Das Meerwasser fließt auf der anderen Seite nur 2 Grad kälter aus der Anlage. Das ist wenig. Bei Wärmepumpen gilt die Regel: Je mehr Energie entzogen wird, desto besser. Aber mehr als 2 Grad wären für das biologische Gleichgewicht im Meer nicht gut im UNESCO-Schutzgebiet Wattenmeer vor der Küste von Esbjerg.

Das Stromnetz wird gleich mitstabilisiert

Um das erwärmte Wasser effizient zu nutzen, hat der Betreiber DIN Forsyning auch an der Liefertemperatur für seine 100.000 Kunden gedreht. Nur für die Fernkunden, die 25 Kilometer von der Anlage entfernt wohnen, wird das Wasser – wie in den deutschen Netzen – auf 90 Grad erhitzt, damit genug Hitze ankommt.

„Wir haben vier Teilnetze“, sagt Hans-Christian Damm Obel. „Das niedrigste für unsere nächsten Kunden läuft auf 65 Grad.“ Die niedrigeren Temperaturen haben noch einen anderen Vorteil: Auch die Rücklauftemperatur nach der Nutzung im Haushalt ist niedriger. Das ist besser für den Betrieb von Großwärmepumpen.

Es gibt größere Verbundanlagen aus mehreren kleinen Meerwasserwärmepumpen, in Stockholm etwa. In Schweden liefern solche Pumpen 18 Prozent der Wärme für die Fernnetze. Aber die schwedischen Pumpen laufen mit synthetischen, umweltschädlichen Kühlmitteln. Zudem kann die Wärmepumpe in Esbjerg sehr flexibel betrieben werden.

„Innerhalb von 30 Sekunden ändern wir den elektrischen Verbrauch um 7 Megawatt“, sagt Leonhard Wolscht von MAN. Die Pumpe kann so nicht nur Wärme liefern, sondern auch das Stromnetz stabilisieren. Wolscht ist von der Vorreiterrolle der Anlage überzeugt. In Aalborg, 200 Kilometer nördlich, wird schon eine mehr als doppelt so große „Kopie“ gebaut. Sie soll 2027 in Betrieb gehen.

Die Abwärmenutzung schafft doppelte Gewinnsituationen

140 Kilometer weiter östlich in Odense nutzt Fjernvarme Fyn eine ganz andere Quelle: die Abwärme aus einem von drei EU-Datencentern des Facebook-Mutterkonzerns Meta. 27 Grad warm ist das Kühlwasser der Speichertürme, enorm viel Energie. Per Wärmepumpe wird das Wasser auf 15 Grad heruntergekühlt. Die so gewonnene Energie versorgt 11.000 Haushalte, eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Wir zahlen nicht für die heiße Luft, sie nicht für die Kühlung“, sagt Kenneth Jensen von Fjernvarme Fyn. Esbjerg will das Konzept daher kopieren. Die Planungen für ein weiteres Datencenter von Meta dort haben schon begonnen. Auch für Städte wie Frankfurt mit seinen 60 Rechenzentren wäre das ein attraktiver Ansatz, deren Abwärme würde für die gesamte Stadt genügen. Im Westville-Viertel läuft ein erstes Pilotprojekt für immerhin 1300 Haushalte.

Auch in der Kläranlage von Odense entzieht eine Wärmepumpe dem Restwasser 8 Grad, bevor es in den örtlichen Fluss geleitet wird. Es gibt einen riesigen Wassertank als Wärmespeicher, Elektroboiler, um überschüssigen Windstrom zu nutzen, Biomasse, Biogas und auch hier ein Müllheizkraftwerk für die Basislast.

Pragmatische Suche nach grünen Quellen

Der Mix ist typisch für Dänemark, sagt Liengård. Die Dänen sind pragmatisch auf der Suche nach grünen Quellen. Der Mix sorgt für eine stabile Versorgung und senkt die Kosten. Schon 2020 zahlten die Fernwärmekunden weniger als alle, die mit Gas oder eigener Wärmepumpe heizten. Als die Energiepreise 2021 und 2022 aus dem Ruder liefen, stieg der Preis für Fernwärme im Durchschnitt nur um 18 Prozent. Mancherorts sank er sogar.

Die Fernwärme erlaubt es den Betreibern auch, durch die gezielte Steuerung der Versorgung auf Engpässe zu reagieren. Die Gefahr solcher Engpässe steigt mit dem Anteil von Wind- und Sonnenkraft. Der Kopenhagener Netzbetreiber, HOFOR, reduziert dann einfach die Versorgung einzelner Wohnblöcke.

„Alte Backsteingebäude sind hervorragende Wärmespeicher“, sagt Energiedirektor Gorm K. Elikofer. „Die kommen auch an kälteren Tagen stundenlang mit weniger Fernwärme aus, ohne dass die Bewohner das merken, moderne Wohnblöcke auch länger wegen der besseren Isolierung.“

Aber lässt sich das alles auf Deutschland übertragen? Ehrgeizige Pläne gibt es auch hier. In Köln will Rheinenergie dem Wasser des Rheins mit einer Großpumpe Wärme für 30.000 Haushalte entziehen. Flensburg will 2025 die erste von mehreren Meerwasserpumpen in Betrieb nehmen. Aber um einen echten Effekt zu haben, muss das Netz stark ausgebaut werden. Das rechnet sich nur, wenn genug Haushalte mitmachen.

„60 Prozent lautet die Daumenregel“, sagt Jørgensen. Selbst in Dänemark, wo das Vertrauen in staatliche Lenkung größer ist, ging es nicht ohne Zwang. Erst 2019 wurde die Anschlusspflicht abgeschafft. Hannover geht diesen Weg schon und hat eine Anschlusspflicht beschlossen.

Klimaneutralität als nächster Schritt

Jørgensen ist optimistisch, dass es ohne Druck geht: Der niedrige Preis für die Fernwärme werde genügend Menschen überzeugen, auch wenn die bisher großen Preisunterschiede der deutschen Netze eher abschreckend wirken. „Fernwärmenetze mit zen­tralen Großwärmepumpen sind effizienter und können konstanter arbeiten“, sagt Wolscht. „Luft-zu-Wasser-Wärmepumpen, die einzeln installiert werden, sind indes gerade im Winter die ineffizienteste Variante.“ Aber es bleibt ein Wettlauf mit der Zeit. Wenn 2028 alle Wärmepläne stehen, könnten viele Haushalte Fakten geschaffen haben, warnt Liengård.

In Kopenhagen wird unterdessen daran gearbeitet, die Fernwärme nicht nur grün, sondern klimaneutral zu machen. Solange die Grundlast aus den Müllheizkraftwerken stammt, ist das ohne die Abscheidung von CO2 nicht möglich. 2025 soll es so weit sein. Aber das Ziel werden sie unter dem Skihügel von Amager nicht erreichen. Es läuft eine erste Pilotanlage. 4 Tonnen CO2 scheidet sie täglich ab. Nötig wären bis zu 1500 Tonnen. Die Hälfte entfällt auf Biomüll. „Wenn wir aber auch dem dann das CO2 entziehen, sind unsere Emissionen sogar negativ“, sagt Simonsen. Das wäre die Vollendung des dänischen Modells der Wärmewende.

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