Donnerstag, 14. Dezember 2023

COP28 in Dubai: Kommentare

Süddeutsche Zeitung hier  13. Dezember 2023, Von Michael Bauchmüller, Dubai

Klimakonferenz:Staaten einigen sich auf COP-28-Erklärung

Die ganze Nacht über wird beim Klimagipfel in Dubai verhandelt. Am Morgen steht ein neuer Text. Doch auch er beschreibt den Abschied von Kohle, Öl und Gas nur vage.

Die Weltklimakonferenz in Dubai hat sich auf ein Schlussdokument verständigt. Erstmals ruft die Weltgemeinschaft bei einer UN-Klimakonferenz zur Abkehr von fossilen Brennstoffen auf. Der zuvor von mehr als 100 Staaten geforderte klare Ausstieg ("Phase out") kommt in dem am Mittwoch in Dubai verabschiedeten Abschlusstext nicht vor. Stattdessen geht es um eine "transitioning away", also ein "Auslaufen".

In den COP-28-Verhandlungen in Dubai stand Saudi-Arabien lange auf der Bremse, zusammen mit einer überschaubaren Gruppe weiterer Länder. Die ganze Nacht über hatte Konferenzpräsident Sultan Ahmed al-Dschaber Konsultationen abgehalten, Ländergruppe für Ländergruppe. Einen ersten Textentwurf hatte ein breites Bündnis rundweg abgelehnt. Inselstaaten, Europäer, die USA und auch Brasilien verlangten eine viel klarere Sprache - vor allem mit Blick auf einen Abschied von fossilen Energieträgern.

Denn darum ging es in diesen letzten Stunden: Kann sich die Welt aufraffen, an die Wurzel ihres Klimaproblems zu gehen? Setzen die Staaten gemeinsam der Förderung von Kohle, Erdöl und Gas eine letzte Frist?

Das Ziel ist es nun, bis 2050 netto null Emissionen zu erreichen

Gegen 4.30 Uhr am Mittwochmorgen präsentierte al-Dschaber den neuen Vorschlag für das zentrale Dokument des Gipfels, die "globale Bestandsaufnahme". Sie soll den Staaten Klarheit geben, was sie in den kommenden Jahren unternehmen müssen, damit sie gemeinsam überhaupt noch die Chance haben, die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Der Abschnitt zu fossilen Energieträgern ist darin klarer als in der ersten Version. Aber nicht ganz so klar, wie es sich die fortschrittlichen Staaten ursprünglich gewünscht hatten. Sie verlangten ein "Phase out".

Stattdessen ist da nun die Rede von einem "Übergang weg von fossilen Energieträgern", mit dem Ziel, bis 2050 netto null Emissionen zu erreichen. Damit wäre es immer noch möglich, auch länger fossile Energieträger zu fördern - wenn nur die Emissionen, die damit verbunden sind, irgendwie kompensiert werden. Kohlendioxid ließe sich der Atmosphäre entziehen, Bäume könnten gepflanzt werden. Hauptsache, unter dem Strich bleiben netto null Emissionen. Diese Tricksereien wollten Europäer und Inselstaaten eigentlich verhindern. Aber zumindest das Ziel ist deutlich genannt: die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius. Das finden viele gut.

Experten sehen einen deutlichen Schritt vorwärts

Die Staaten werden nun aufgefordert, zu den "globalen Anstrengungen beizutragen", zu denen neben dem fossilen Übergang auch die Verdreifachung erneuerbarer Energien und die Verdopplung der Energieeffizienz bis 2030 zählen. Das ist schon deutlicher als im ersten Entwurf, dem zufolge die Staaten handeln "konnten", statt dass sie es tun "sollten".

Aus Delegationskreisen heißt es, der Bundesaußenministerin falle ein riesiger Stein vom Herzen. Es herrsche große Freude in der deutschen Delegation und bei Annalena Baerbock darüber, "dass die Welt das Ende des fossilen Zeitalters beschlossen hat".

Experten sehen in alledem einen deutlichen Schritt vorwärts. Der Text enthalte eine klare Aufforderung an die Staatengemeinschaft, sagt Melanie Robinson, Klimaexpertin beim World Resources Institute. "Das würde die Dinge im Kampf gegen den Klimawandel dramatisch verändern." Die Interessen der Öl- und Gaswirtschaft ließen sich so überwinden. Umweltschützer dagegen sind noch nicht zufrieden. "Wir brauchen mehr Verbindlichkeit in den Beschlüssen", forderte Martin Kaiser, der Chef von Greenpeace Deutschland.


hier Von Michael Bauchmüller 13. Dezember 2023 

Klimakonferenz: Noch eine Gnadenfrist für Öl und Gas

In den knapp 30 Jahren, die über die Rettung des Klimas verhandelt wird, haben sich die Staaten nie an fossile Energieträger herangetraut. Nun einigen sie sich ausgerechnet in Dubai auf ein paar halbwegs klare Ansagen. Und geben das 1,5-Grad-Ziel ausdrücklich nicht verloren.

Es ist der pure Zufall, dass gleich in der Reihe hinter Annalena Baerbock eine Delegierte der Marshallinseln sitzt, mit einem Blumenkranz im Haar. Und diese Delegierte bricht nun, während der letzten Plenarsitzung, plötzlich in Tränen aus. Die Bundesaußenministerin geht zu ihr und tröstet sie.

Die Inselstaaten hatten sich mehr versprochen vom Klimagipfel in Dubai: ein ganz klares Stoppschild für Kohle, Öl und Gas, um jene Erhitzung aufzuhalten, die gerade die kleinen Inselstaaten dem Untergang weiht. „Es reicht für uns nicht, die Wissenschaft anzuerkennen und dann Beschlüsse zu fassen, die diese Wissenschaft ignorieren“, hat die Verhandlungsführerin der Inselstaaten-Gruppe Aosis gerade im Plenum gesagt. Man habe den Eindruck, die Interessen der Inselstaaten würden abgebügelt. Wahrscheinlich ist das der Grund für die Tränen.

Es sind allerdings die einzigen, die an diesem Vormittag fließen, jedenfalls aus Trauer. Nach einer durchverhandelten Nacht überwiegt die Erleichterung. Denn zumindest ist möglich geworden, womit bei einer Konferenz am Persischen Golf kaum jemand gerechnet hätte: ein paar halbwegs klare Ansagen über die Zukunft fossiler Energieträger. Die haben seit diesem Mittwoch in Dubai nur noch eine Gnadenfrist. „Dieses Ergebnis ist der Anfang vom Ende fossiler Energien“, sagt Simon Stiell, der Chef des UN-Klimasekretariats.

Wann genau dieses Ende wirklich beginnt, wie lange die Frist ist und wie viele Ausnahmen es davon gibt, das freilich ist Interpretationssache. Andererseits: In den knapp 30 Jahren, in denen nun über die Rettung des Klimas verhandelt wurde, haben sich die Staaten nie an die fossilen Energien herangetraut. Zu stark waren die ökonomischen Kräfte, die sie verteidigten – obwohl immer klar war, dass hier das Hauptproblem liegt. Nichts schadet dem Klima mehr als die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas.

Doch nun entfaltet das Abkommen von Paris seine ganze Wirkung. Denn in Dubai hatten die Staaten ihre „globale Bestandsaufnahme“ abschließen sollen, so verlangt es das Pariser Abkommen: einen Abgleich von Soll und Haben, samt den richtigen Konsequenzen. Zwischen Soll und Haben, das war schon vorher klar, klaffte ein Loch, so tief, wie der Burj Khalifa in Dubai hoch ist, das höchste Gebäude der Welt. Die Klimaziele, die sich jeder einzelne Staat nach dem Klimavertrag von Paris gegeben hatte, reichten in Summe nicht aus: Die Emissionen sinken nicht, sie steigen derzeit noch, jedenfalls in Summe.

Das Abkommen von Dubai soll nun global eine Kurskorrektur einleiten.

Dazu sollen sich die Staaten nun umbauen, weg von fossilen Energieträgern in ihren Energiesystemen. Bis 2050 sollen sie damit die Emissionen auf „netto Null“ drücken. Das heißt, dass es auch danach noch Emissionen fossilen Ursprungs geben kann. Sie müssen nur in irgendeiner Art „neutralisiert“ werden, und sei es durch die Abscheidung und Speicherung von CO₂. Diese sogenannte CCS-Technologie erwähnt das Abschlusspapier explizit. Beim Thema Kohle sind die Formulierungen noch vager: Die Staaten wollen sich noch mehr anstrengen, die Kohle zurückzufahren, und auch hier bleibt die Abscheidung von Emissionen im Spiel. Das hatten die Staaten so ähnlich auch schon auf dem Klimagipfel 2021 in Glasgow beschlossen – vor allem Indien steht hier auf der Bremse. Ein eigener Abschnitt lässt sogar „Übergangsenergien“ zu. Nach allgemeiner Lesart ist damit Erdgas gemeint – ein Zugeständnis an Russland, das weiter Gas fördern will. Jeder kann aus diesem Beschluss ein bisschen auch herauslesen, was ihm passt.

In Paris lag die Zielmarke noch bei zwei Grad

Wichtiger ist deswegen die eine entscheidende Zahl, die über allem steht: das Ziel, die Erderwärmung um und bei 1,5 Grad Celsius zu stabilisieren. Sultan Ahmed al-Dschaber, der Präsident des Weltklimagipfels, nennt das seinen „Polarstern“. Noch im Klimaabkommen von Paris lag die eigentliche Zielmarke bei zwei Grad. Nur sollten die Staaten „Anstrengungen“ unternehmen, die 1,5 Grad zu erreichen. Jetzt findet sich das 1,5-Grad-Ziel ein gutes Dutzend Mal im Beschluss der Staaten – und das auch in dem Abschnitt, der sich mit dem Abschied von fossilen Energieträgern beschäftigt.

Wenn die Staaten diesem „Polarstern“ wirklich folgen, müssten sie weit vor 2050 die Öl- und Gasförderung einstellen. „Wir haben einen Paradigmenwechsel geschafft, durch den wir unsere Ökonomien neu aufstellen können“, sagt al-Dschaber, als der Beschluss schließlich steht. Und dies auch, weil sich die Öl- und Gasindustrie der Herausforderung gestellt hätten. Al-Dschaber ist selbst Chef des staatlichen Ölkonzerns der Emirate, Adnoc. Der Stern leite nun weiter zur nächsten Klimakonferenz – und die findet abermals neben Ölquellen statt: in Aserbaidschans Hauptstadt Baku.

Noch am Dienstag hatte es so ausgesehen, als würde der Widerstand Saudi-Arabiens jede Einigung vereiteln. Überraschend hatte al-Dschaber zuvor einen Entwurf vorgelegt, der mehr Hintertüren als Vorgaben für die Öl- und Gasindustrie enthielt. „Am Ende war es heftig“, sagt auch Baerbock. Innerhalb der EU mehrten sich Stimmen, notfalls den Deal platzen zu lassen. Inselstaaten rebellierten, auch die USA und Brasilien stellten sich gegen das Papier. Die ganze Nacht über liefen Gespräche, eine Staatengruppe nach der anderen ließ al-Dschaber zu sich kommen. Selten standen sich die Industriestaaten der Vergangenheit und die Ölförderländer der Gegenwart so offen gegenüber wie in den letzten Stunden der Konferenz am Golf.

Erneuerbare Energie soll bis 2030 verdreifacht werden

Nun aber könnten alle Dubai mit erhobenem Haupt verlassen, findet al-Dschaber. „Wir haben einen neuen Pfad gefunden.“ Zu diesem Pfad gehört auch, dass sich die Staaten zum ersten Mal ein Ziel für den Ausbau erneuerbarer Energien gegeben haben – ihre Kapazität soll sich bis 2030 verdreifachen. Die Energieeffizienz soll sich bis dahin verdoppeln, und spätestens bis 2025 soll der Höhepunkt der klimaschädlichen Emissionen erreicht sein. Da diese Ziele allerdings für alle Staaten gemeinsam gelten, wird sich schwer feststellen lassen, ob jeder einzelne genug unternimmt. Jeder kann sich hinter dem anderen verstecken.

Das freilich gilt nicht für die neuen nationalen Klimaziele, die alle Staaten bis Anfang 2025 einreichen müssen: Für sie liefert die „globale Bestandsaufnahme“ eine Art Blaupause. Auf den Ausbau erneuerbarer Energien zu verzichten und stattdessen in Ölförderung und Kohlekraft zu investieren, wird nach der Einigung von Dubai deutlich schwieriger.

Auch Klimaschützer sind recht zufrieden – fürs Erste

Und auch für diejenigen, die schon heute unter den Folgen des Klimawandels leiden, findet sich einiges in dem Beschluss. Alle Staaten müssen bis 2030 zusammentragen, welchen Klimarisiken sie sich gegenübersehen und wie die sich bewältigen lassen – auch mit Blick auf die Wasserversorgung, auf Landwirtschaft und Ernährung, auf die Städte und Infrastrukturen. Die Rolle der Natur für den Klimaschutz wird in dem Papier überdeutlich gewürdigt – schließlich kann Naturschutz auch das Klima schützen, während mit der Klimakrise auch eine Naturkrise droht.

Klimaschützer sind deshalb recht zufrieden, jedenfalls fürs Erste. Schließlich habe die Staatengemeinschaft erstmals seit Beginn der industriellen Revolution eine Wende weg von Kohle, Öl und Gas, beschlossen, sagt Germanwatch-Chef Christoph Bals. Schon damit habe die Entscheidung riesige Bedeutung. „Historisch wird sie aber erst, wenn sie auch umgesetzt wird“, sagt Bals. Die Skepsis der Inselstaaten sei verständlich.

Als die Tränen seiner Kollegin schon getrocknet sind, meldet sich der Minister der Marshallinseln zu Wort, John Silk. Er sei nach Dubai gekommen, um ein Rettungsboot für seine Insel zu bauen, sagt er. „Stattdessen haben wir ein Kanu mit einer schwachen und undichten Hülle, voll mit Löchern.“ Trotzdem lasse man es jetzt zu Wasser: „Weil wir keine andere Option haben.“

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