Dienstag, 12. Dezember 2023

Investitionsdefizit in Deutschland: Das Land könnte in besserem Zustand sein

 hier  Zeit  Fünf vor 8:00  /Eine Kolumne von Mark Schieritz  6. Dezember 2023,

Deutschland gibt seit Jahren weniger aus als vergleichbare Länder. Die Schuldenquote ist die niedrigste unter den G7-Ländern – aber davon kann man sich nichts kaufen.

Bahn kaputt, Bildung kaputt, Bundeswehr kaputt. Die Liste ließe sich fortsetzen. Es lief schon einmal besser für das Land und natürlich gibt es dafür viele Gründe: den Föderalismus, die Weltlage, Angela Merkel. Manche verweisen auch auf das Wetter.

Was bislang allerdings kaum diskutiert wird: Die Defizite bei den öffentlichen Investitionen wurden nicht nur übersehen, sondern über Jahre hinweg systematisch unterschätzt. Und zwar in Politik, Medien und Wissenschaft.

Zum Beispiel Wolfgang Schäuble. "Wir haben in Deutschland nicht die behauptete Investitionslücke", sagte der damalige Bundesfinanzminister im November 2014 im Bundestag. Einen Monat später wiederholte es Schäuble auf einer Konferenz in Frankfurt so: "Eine Investitionslücke in Deutschland gibt es nicht." Man investiere doch bereits sehr viel in Forschung und Entwicklung. 

Das war keine Einzelmeinung. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sah ebenfalls keine größeren Probleme. So könne es sich durchaus als klug erweisen, "nicht jedes Gut vollumfänglich zu ersetzen". In einer alternden Gesellschaft werde beispielsweise "der Bedarf an Schulgebäuden" geringer sein.

Als das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2013 eine Investitionslücke in Höhe von 75 Milliarden Euro pro Jahr diagnostizierte, gab es vor allem Kritik. Und als der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im August 2014 eine Expertenkommission zur Stärkung der Investitionen unter Leitung von DIW-Chef Marcel Fratzscher einsetzte, wurde Fratzschers Engagement als "sozialdemokratische Gefälligkeit" bezeichnet.

Nun ist es in der Tat nicht ganz unproblematisch, eine Investitionslücke exakt zu vermessen. Es gibt zum Beispiel kein allgemein anerkanntes Kriterium für die ideale Ausstattung eines Landes mit Schulen und Straßenkilometern. Das gilt umso mehr, wenn auch private Investitionen in die Rechnung einbezogen werden, denn ob ein Unternehmen zu viel oder zu wenig investiert, lässt sich noch schwerer ermitteln. Schon bei der Frage, was eine Investition überhaupt ist, wird es schwierig. Statistisch betrachtet, zählen etwa Maschinen, Bauten oder auch Computerprogramme dazu, nicht jedoch die Gehälter von Grundschulpädagogen oder Universitätsprofessoren. 

Und natürlich konnte damals niemand ahnen, dass Russland die Ukraine überfallen würde. Oder dass ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan die Versorgung der deutschen Industrie mit elektronischen Bauteilen gefährden könnte. Die Zahlen des DIW waren deshalb ein Stück weit angreifbar.

Aber schon damals war klar, dass Deutschland weniger Geld für öffentliche Investitionen ausgibt als vergleichbare andere Länder. Es war klar, dass der Staat deutlich weniger investiert als in früheren Jahren. Es war auch klar, dass die Kommunen in Befragungen auf deutliche Defizite beim Erhalt der öffentlichen Infrastruktur hinwiesen. Und man hätte vielleicht durchaus darauf kommen können, dass die Anpassung an den Klimawandel nicht zum Nulltarif zu haben sein würde und es vielleicht keine gute Idee sein könnte, die eigene Armee in Grund und Boden zu sparen. Deutschland hat heute zwar die niedrigste Schuldenquote unter allen G7-Ländern, aber dafür kann man sich auch nichts kaufen, wenn bei ein bisschen Schnee der öffentliche Verkehr stillsteht.


Vielleicht ist an dieser Stelle auch mal der Postillion mit seinem neuesten Artikel angesagt hier



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