Sonntag, 17. Dezember 2023

Klimakonferenz in Dubai: Die Kunst, andere freiwillig zu zwingen

Noch einmal Dubai, wieder aus einer ganz anderen Sicht geschildert, die auch das Ihre beiträgt zum Verständnis des Abkommens.

hier  Frankfurter Allgemeine Zeitung  Artikel von Lukas Fuhr  • 16.12.23

Annalena Baerbock hatte Babykleider eingepackt, als sie 2015 zur Klimakonferenz nach Paris fuhr. Ihre zweite Tochter war gerade geboren und sollte mitkommen nach Frankreich, wo die Staaten der Welt darüber verhandeln wollten, wie weit sie den Klimawandel bis 2050 bremsen würden. Dann werde ihre Tochter so alt sein wie sie jetzt, sagte Baer­bock damals im Bundestag. „Wenn sie dann selbst eine kleine Tochter hat, wird sie mich fragen: Habt ihr damals in 2015 eigentlich alles dafür getan, diesen Klimakollaps zu verhindern?“

Da sprach eine Oppositionspolitikerin, in deren Macht wenig mehr stand, als die Zukunft der Enkelgeneration heraufzubeschwören. Acht Jahre später reist Annalena Baerbock als Außenministerin der Bundesrepublik nach Dubai. Wieder zur Klimakonferenz, und in diesem Jahr soll sie Bilanz ziehen: Wie weit sind die Staaten seit Paris gekommen?

Das Ergebnis stand schon fest, bevor es in Dubai losging: Aktuell ist die Welt nicht auf Kurs, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf „deutlich unter“ zwei Grad zu begrenzen, wie es im Pariser Abkommen vorgesehen ist. Besser noch auf 1,5 Grad. Doch dafür müssten die weltweiten Emissionen sinken. Sie steigen aber.

Baerbock kommt in einem kritischen Moment nach Dubai. Der Gastgeber am Golf, der emiratische Industrieminister Sultan al-Jaber, hatte zwar eine „ganz neue Klimakonferenz“ versprochen, die sich in allem am „Leitstern“ der 1,5 Grad orientieren sollte. Aber nach etwa einer Woche ist in der Wüste die anfängliche Begeisterung verflogen. Die Verhandlungen kommen kaum voran. Es braucht aber eine Einigung, damit die Emissionen sinken. Denn die 198 Staaten müssen einstimmig entscheiden.

Und sie müssen es dann auch umsetzen, denn alle Länder liegen nun mal unter derselben Atmosphäre. Selbst wenn ein Staat klimaneutral würde, bringt das langfristig nur etwas, wenn andere nachziehen. Sonst gelangt das Öl, das nicht mehr in Deutschland verbrannt wird, eben woanders als Treibhausgas in die Atmosphäre. Dort bleibt es Jahrhunderte, mitunter Jahrtausende, bis es abgebaut ist. Also müssen die Emissionen schnell runter. „Die Zeit drängt“, wiederholen Klimawissenschaftler immer und immer wieder.

Trotzdem beginnt Baerbocks erster öffentlicher Auftritt in Dubai mit Verspätung. Die Nahostdiplomatie macht keine Pause, die Außenministerin muss dafür viele Gespräche führen. Als es losgeht, will Baerbock vor allem eine Nachricht loswerden: Diese Klimakonferenz soll den „Ausstieg aus den fossilen Energien“ beschließen, „nicht den Ausstieg aus den Emissionen“. Damit es alle verstehen, wiederholt sie den Satz noch einmal auf Englisch.

Mit der Formulierung „Ausstieg aus den Emissionen“ kämpfen die arabischen Öl- und Gasförderstaaten für eine Zukunft ihres Geschäftsmodells. Ihr Wortführer Saudi-Arabien macht klar, auf keinen Fall einen Ausstieg aus den fossilen Energien festschreiben zu wollen. In Dubai kommt die Frage auf: Wenn die Emissionen aufgefangen und gespeichert werden, warum dann nicht einfach mit den Fossilen weitermachen?

„Der Ausstieg aus den Fossilen ist wichtig“

Saudi-Arabien präsentiert die Idee einer CO2-Kreislaufwirtschaft: Öl fördern, beim Verbrennen die Emissionen auffangen, verflüssigen und in die Hohlräume pumpen, aus denen Öl gefördert worden war. Das klingt ein bisschen nach Müllrecycling, alarmiert aber Wissenschaftler. Sie sagen einhellig: Die unter der englischen Abkürzung CCS (carbon capture and storage) beschriebenen Technologien könnten nur einen kleinen Teil zur Treibhausgasneutralität beitragen – bisher werde nicht mal ein Prozent der globalen Emissionen aufgefangen. Wissenschaftlicher Konsens ist auch, dass es gigantische Summen kosten würde, diese Rate erheblich zu steigern. Zudem sind die Anwendungsfälle begrenzt. Daher sagte Fatih Birol, der Chef der Internationalen Energieagentur: „Dass CCS es der Öl- und Gasindustrie erlauben könnte, einfach weiterzumachen und trotzdem die Emissionen wie vorgesehen zu reduzieren, ist pure Phantasie.“

Der deutsche FDP-Politiker Olaf in der Beek hat in Dubai Gespräche über CCS geführt. Er sagte der F.A.S.: „Die Technik zur Abscheidung, Verflüssigung und Speicherung von CO2, wie sie zum Beispiel in der Zementindustrie benötigt wird, ist serienreif.“ Auch in Deutschland warte die Industrie auf einen Startschuss, um damit beginnen zu können. Aber er sagt auch: „Der Ausstieg aus den Fossilen ist wichtig.“ Deutschland dürfe jedoch „anderen Ländern nicht vorschreiben, wie sie ihre Emissionen senken“.

Von Vorschreiben redet auch Baerbock nicht. Sie setzt darauf, dass der Druck im Lauf der Verhandlungen auf die großen Emittenten so stark wird, dass sie sich selbst dazu bereit erklären, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Bald nach ihrer Ankunft in Dubai wird bekannt, dass sie genau in diesem zentralen Bereich die Verhandlungen für die EU führen soll.

Diese Logik der freiwilligen Selbstverpflichtung war der Preis dafür, dass in Paris erstmals alle Staaten zur Reduzierung ihres Ausstoßes bewogen werden konnten. Damals verhandelte Karsten Sach für Deutschland. Der frühere Beamte im Bundesumweltministerium verteidigte im Gespräch mit der F.A.S. dieses Prinzip. Wie immer im Völkerrecht gebe es keine überstaatliche Gewalt, die dafür sorgen könne, dass die Versprechungen von Klimakonferenzen eingehalten würden. Erfolgreich sei Paris dennoch gewesen. Denn „Staaten, die anspruchsvolle Pläne tatsächlich umsetzen“, würden so zu Vorbildern. Und wo die Klimaziele in Gesetzen festgehalten werden, wie zum Beispiel in der EU, können Gerichte überprüfen, ob sie auch eingehalten werden. Das musste die Bundesregierung schon mehrfach feststellen, gerade jüngst wieder, als das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Ampel aufforderte, das geltende Klimaschutzgesetz zu beachten. Sach verweist auf Urteile in den Niederlanden und in Belgien. Er erwartet noch viele mehr: „Da sehen wir erst die Spitze des Eisbergs. Langsam greift das.“

Aber was ist mit Ländern, in denen die Klimaziele nicht in Gesetze gegossen werden oder Richter nicht unabhängig entscheiden können? Zumindest der größte Emittent, China, macht Sach da keine Sorgen: „In China haben Fünfjahrespläne eine so große Bindungswirkung wie Gesetze in unseren Breiten.“ Bisher habe das Land seine eigenen Ziele „immer übererfüllt“. Und schließlich wirken die Beschlüsse der Klimakonferenz auf eine dritte Weise: Wer immer wieder verspricht, mitzumachen, aber dennoch weiter Treibhausgase in die Luft bläst, macht sich angreifbar. Er kann von anderen Ländern als atmosphärischer Luftverschmutzer angeprangert werden, der schuld daran ist, wenn die vereinbarte Treibhausgasneu­tralität nicht näher rückt.

In Dubai geht es nun darum, zusammen festzulegen, wie die selbst gesteckten Ziele erreicht werden können. Vier Tage vor dem geplanten Ende der Konferenz präsentierte al-Jaber einen ersten Vorentwurf für ein Abschlussdokument. Ein „Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern“ steht darin, aber nur als eine Option. Eine andere Option, steht dort, sei es, nichts zu den Fossilen ins Abschlussdokument aufzunehmen.

Große Vorbehalte gegenüber dem Westen

Diese Option ist allerdings keine, die für Baerbock akzeptabel wäre. Also sucht sie in Dubai Verbündete, um die Fossilfreunde zu isolieren. Weil selbst die gesamte EU dafür nicht genug Macht hat, setzt Baerbock auf einen Trumpf, den sie lange vorbereitet hat. Als sich die Ampel vor zwei Jahren zusammenverhandelte, erreichte sie, dass die internationale Klimadiplomatie fortan prominent im Auswärtigen Amt angesiedelt war. Als „Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik“ setzte sie die frühere Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan ein. Diese fliegt seither um die Welt, um Klimaverbündete zu suchen, kurz vor der Klimakonferenz war sie im Pazifik unterwegs.

Die Inselstaaten dort sind auf Klimakonferenzen eine moralische Autorität, weil das steigende Meerwasser schon jetzt ihre Heimat langsam überflutet. Noch zwei Grad mehr, dann sind einige dieser Staaten nicht zu retten. Wer mit ihnen gemeinsam auftritt, steht neben dem lebenden Beweis, warum 1,5 Grad das Ziel sein sollen. Wenn Entwicklungs- und Industrieländer gemeinsam auftreten, entfällt das Argument vom europäischen Klimakolonialisten. Aber um diese Karte spielen zu können, war noch mehr Vorarbeit notwendig.

Denn unter Entwicklungsländern gibt es in der Klimapolitik große Vorbehalte gegenüber dem Westen, auch weil die Industrieländer zugesagte jährliche Klimahilfen schlicht nicht bezahlten. Das haben die Industriestaaten nun korrigiert. Die eigentlich schon für 2020 versprochenen 100 Milliarden Dollar wurden im vergangenen Jahr erstmals erreicht. Das sollte Vertrauen wiederherstellen.

Baerbock und Morgan haben sich außerdem für einen neuen Fonds eingesetzt. Daraus sollen diejenigen Geld erhalten, bei denen der Klimawandel schon jetzt Schäden anrichtet. Der Fonds wurde bei der Klimakonferenz im vergangenen Jahr mit deutscher Hilfe auf die Agenda gesetzt. Baerbock erinnert in Dubai daran, dass es dabei „viel, viel Protest auch von engen Vertrauten“ gegeben habe. Viele reiche Staaten, die aus historischer Perspektive viel zum Klimawandel beigetragen haben, fürchten jede Form von „Klimareparationen“. Direkt zu Beginn der Konferenz in Dubai zahlte Deutschland nun 100 Millionen Dollar ein, genau wie der emiratische Gastgeber. Auch das ist ein Signal an die Entwicklungsländer: Wir beschließen gemeinsam einen Ausstieg aus den Fossilen, dafür lassen wir euch nicht mit dem Klimawandel allein.

Am Montag, einen Tag vor Konferenzende, erscheint ein neuer Entwurf für das Abschlussdokument der Konferenz. Der Ausstieg aus den Fossilen steht dort nicht mehr, stattdessen bloß eine Liste, was Staaten „unter anderem tun könnten“: die Erneuerbaren ausbauen oder den Verbrauch fossiler Energien reduzieren, zum Beispiel. Ein Witz aus Sicht der Europäer und vieler anderer. Denn das kann ja auch jetzt schon jeder, der das mag.

Auch John Kerry, der Klimasondergesandte der Vereinigten Staaten, fordert Nachbesserungen. Die Amerikaner fördern selbst jede Menge Öl und Gas, ein kompletter Ausstieg wäre ihnen zu weit gegangen. Aber angesichts des schwachen Papiers bewegt er sich nun. In der abendlichen Aussprache soll er Baerbock gelobt haben, die ebenso wie EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra deutlich gemacht hatte, dass die Europäer al-Jabers Text auf keinen Fall zustimmen würden. Der chinesische Verhandler Xie Zhenhua, der kaum mit westlichen Medien spricht, hatte schon zuvor ein paar Reporter zusammenrufen lassen, um klarzustellen, dass China eine Klärung der fossilen Frage wolle.

Für al-Jaber heißt das, dass er die Konferenz doch nicht am 12. Dezember beenden kann – am Jahrestag des Pariser Abkommens. Eine weitere Nacht wird verhandelt, dann legt er einen Kompromiss vor. Kein „Ausstieg“, sondern eine „Abkehr“ von den Fossilen wurde beschlossen, Öl und Gas werden damit zum ersten Mal überhaupt erwähnt in einem solchen Abschlusstext.

„Die Klimakonferenz besiegelt de facto das Ende des fossilen Zeitalters“, freut sich Baerbock. Al-Jaber nennt seinen eigenen Text „historisch“. Viele der Delegierten, die im Abschlussplenum das Wort ergreifen, stimmen ihm zu.

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