Montag, 4. Dezember 2023

Der Geheimplan hinter der globalen Atom-Allianz

Die Atomkraft lässt uns einfach nicht los, weil sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder zurück  ins Spiel gebracht wird. Umso wichtiger, immer wieder einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um klar zu erkennen, was damit angestrebt wird.

links:Infografik: Folgekosten von Atomstrom am höchsten | Statista

Focus  hier  Jacqueline Arend + Florian Reiter, 04.12.2023, 

Aufbruch in eine neue Ära? 22 Staaten haben auf der Weltklimakonferenz in Dubai eine neue Allianz zur Verdreifachung der weltweiten Atomenergie gegründet. Als Konkurrenz zu Erneuerbaren Energien wollen die Staatschefs ihr neues Projekt aber nicht verstanden wissen. Die wahre Absicht ist eine andere.

Der Termin im Rahmen der Weltklimakonferenz in Dubai war im Vorfeld nicht groß angekündigt worden, aber das Medienecho war dennoch gewaltig. Kein Wunder, bei dieser versammelten Polit-Prominenz: Der US-Sondergesandte John Kerry hatte das Treffen organisiert, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hielt eine Rede, und auch die Staatschefs wichtiger Länder wie Schweden, Belgien und Polen waren anwesend.

Deutschland war bei dem Termin vom Samstag nicht dabei, und das hatte seinen Grund. Das von Kerry organisierte Treffen trug übersetzt nämlich den Namen „Verdreifachung der Nuklearenergie bis 2050“. Eine Gruppe von 22 Staaten, darunter auch Großbritannien, Kanada und die Gastgeber der Vereinigten Arabischen Emirate, verpflichtete sich in einer Erklärung namens „Nuclear Pledge“, die installierte Leistung der weltweiten Atomkraftwerke bis 2050 zu verdreifachen. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 sei ohne die Atomkraft „nicht erreichbar“, sagte Kerry in seiner Rede.

„Die deutsche Position hat sich nicht geändert“

In Deutschland, zumindest in der Ampel-Koalition, sieht man das bekanntlich anders. Im Mai dieses Jahres gingen die letzten deutschen Atomkraftwerke vom Netz, die deutsche Strategie für die Energiewende setzt vollends auf erneuerbare Stromquellen wie Wind und  Photovoltaik, ergänzt von Wasserstoff-fähigen Gaskraftwerken. „Die deutsche Position zur Atomenergie hat sich nicht geändert“, sagten Kreise des Auswärtigen Amts in Dubai zu FOCUS online Earth. „Atomenergie ist eine gefährliche, nicht nachhaltige Hochrisikotechnologie.“

Schießt Deutschland sich mit seinem Energie-Plan ins internationale Abseits? Das sieht nicht einmal die neue Atom-Allianz so. „Wir argumentieren nicht, dass das hier die umfassende Alternative zu jeder anderen Energiequelle wird“, sagte Kerry auch im Rahmen seiner Rede. „Nein, deshalb sind wir nicht hier.“ Aber, fügte Kerry wörtlich hinzu, „without some nuclear“ werde es nicht gehen - also ohne „ein bisschen Atomkraft“.

Der vermeintlich große Gegensatz ist also kleiner als gedacht. Zumal viele der Staaten aus der Atom-Allianz am selben Tag noch eine andere Verpflichtung unterzeichnet hatten, die vorsieht, die Erzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen - darunter die USA und alle EU-Staaten. Dem sogenannten „Renawable Pledge“ sind bislang 122 Länder beigetreten, sechsmal so viele wie dem „Nuclear Pledge“.

Einladung mit Hintergedanken

Worum es der Atom-Allianz wirklich geht, verbirgt sich tief im Text der Erklärung. Man wolle eine „Einladung senden an Akteure der Weltbank, internationaler Finanzinstitutionen und regionaler Entwicklungsbanken, die nukleare Energie in die Kreditregelungen ihrer Organisationen nach Bedarf aufzunehmen, und aktiv die Nuklearenergie zu unterstützen, sofern sie über ein solches Mandat verfügen“, heißt es in der Erklärung. Im Klartext: Es geht vor allem ums Geld.

Die Atomenergie hat nämlich ein Finanzierungsproblem. Für Risiken müssen seit jeher die Staaten haften, weil sich keine Versicherung findet, die gerne ein Atomkraftwerk versichern würde. Aber auch die Finanzierung neuer Projekte klappt in der Regel nur mit gewaltigen Staatshilfen.

Teuer und langwierig

Zum einen liegt das an der Komplexität der nuklearen Technologie: Ein Atomkraftwerk zu bauen, ist langwierig, teuer und aufwändig. Der im April ans Netz gegangene „Block 3“ des finnischen Kernkraftwerks Olkiluoto, seines Zeichens der leistungsstärkste Reaktor Europas, wurde erst mit zwölfjähriger Verspätung fertig, zum Dreifachen der ursprünglich veranlagten Kosten. Der neue Kraftwerksblock im französischen Flamanville hätte eigentlich 2012 ans Netz gehen sollen, ist aber immer noch nicht fertig. Auch dort haben sich die geschätzten Kosten mittlerweile vervielfacht, von 3,3 Milliarden auf mittlerweile 18 Milliarden Euro.

Bei den neuen Atom-Technologien sieht es nicht besser aus. Das US-Energieministerium hatte etwa zugesagt, die Entwicklung neuer sogenannter Mini-Reaktoren ("Small Nuclear Reactors") mit knapp 1,5 Milliarden Dollar zu fördern, doch die Fördersumme reicht oft trotzdem nicht. Beim bekanntesten Testprojekt im Bundesstaat Idaho entschloss sich das verantwortliche Konsortium erst im November, den Stecker zu ziehen - aus Kostengründen. Und selbst die Wartung bestehender Kernkraftwerke ist teuer und kostenintensiv, wie Frankreich erst im letzten Jahr erfahren durfte.

Die Solar-Konkurrenz

„Beim Ausbau der Atomenergie muss man sich ehrlich machen: Es wird sehr teuer und lange dauern - und ist keine alleinige Strategie, um bis 2050 klimaneutral zu sein“, sagt Linda Kalcher, Direktorin des Klima-Thinktanks StrategicEU. Das wissen auch private Investoren, die ihr Geld lieber in Technologien wie die Solarenergie stecken: Dort locken exponentielles Wachstum und höhere Gewinne.

Trotz allem ergibt es für viele Staaten Sinn, auf die Atomenergie zu setzen. Frankreich etwa, das über eine lebendige Industrie von Atom-Zulieferern verfügt und das seinen Strom zu 70 Prozent aus nuklearen Quellen generiert, könnte gar nicht aussteigen, selbst wenn es wollte - und Frankreich will definitiv nicht. Auch in Ländern wie den USA besteht der Strommix zu knapp 20 Prozent aus Atomenergie.

„Da setzen viele aufs falsche Pferd“

Wenn aber der Markt bei der Finanzierung nicht so recht mitspielen will, und wenn die Staaten selbst nicht jedesmal in die Bresche springen wollen, dann bleibt nur noch eine Akteurin übrig: die halbstaatliche internationale Finanzwelt, bestehend aus Institutionen wie der Weltbank. Über diese Einrichtungen haben die Staaten auch direkte Kontrolle - und als geeinter Interessensblock, so die Hoffnung, könnte sich die Atom-Allianz hier das benötigte Geld verschaffen.

Gerade von der Weltbank fühlt sich die Atombranche ohnehin schon lange benachteiligt. „Es gibt Statuten bei einigen internationalen Kreditgebern, die die Finanzierung von Kernenergie ausschließen“, ärgert sich etwa Rafael Grossi, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Die Weltbank habe etwa seit 1959 kein AKW mehr finanziert. „Ich denke, das ist völlig überholt.“

Am Ende bleibt es den Staaten selbst überlassen, auf welchen Energiemix sie setzen - für unterschiedliche Länder herrschen unterschiedliche Begebenheiten. Klar ist nur eins, sagt Kalcher:
Die fossilen Energien aus Kohle, Gas und Öl haben keine Zukunft. Atomkraft dürfe daher „nicht als Argument genutzt werden, um sich den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu sparen oder weiter in in fossile Energie zu investieren“, warnt die Expertin. Alleine werde die Atomkraft nicht reichen: „Da setzen viele aufs falsche Pferd.“


DW hier Januar 2022 - also schon vor einem Jahr! DW-Autorin Jeannette Cwienk

Was uns Atomenergie wirklich kostet

In der EU soll Atomkraft künftig als klimafreundlich, also förderungswürdig gelten. Doch Kernkraftwerke sind weder "grün" noch sicher, in Wahrheit geht es um etwas ganz anderes, meint Jeannette Cwienk.

Ich erinnere mich noch genau daran, wie viel Spaß wir hatten, an diesem Frühlingsnachmittag im April. Ich baute mit meinen Freundinnen und Freunden im Wald eine Hütte, bis uns Regenschauer nach Hause trieben. Es war der April 1986 - kurz nachdem im ukrainischen Prypjat Reaktorblock 4 des sowjetischen Atomkraftwerks Tschernobyl explodiert war. Da die Nachricht über die Katastrophe erst Tage später an die Öffentlichkeit drang, hatten wir noch nichtsahnend im Wald gespielt.

Die Katastrophe von Tschernobyl und die Sorge vor einer verstrahlten Zukunft prägten meine Jugend. Aber nicht nur deswegen erscheint mir der Vorschlag der EU-Kommission, nicht nur Gas, sondern auch Atomkraft als klimafreundliche Technologie in ihre Taxonomie aufzunehmen, also als nachhaltige und förderwürdige Wirtschaftsaktivität zu klassifizieren und für Investitionen zu empfehlen, wie ein Hohn.

Wer zahlt für einen Atomunfall?

Wie ein Hohn ist der Kommissions-Vorschlag auch deswegen, weil er die wahren Kosten der Atomkraft völlig ignoriert: zum einen mit Blick auf die hohen Kosten für neue Atomanlagen, so klein künftige Reaktoren auch sein mögen. Zum anderen aber vor allem in Bezug auf die völlig außer Acht gelassene Frage: Wer haftet eigentlich bei einem Nuklearunfall?

Allein in Deutschland belaufen sich die staatlichen Ausgaben für die Folgen der Tschernobyl-Katastrophe bis heute auf rund eine Milliarde Euro. Die unmittelbaren wirtschaftlichen Schäden durch den Atomunfall von Tschernobyl werden auf mehr als 200 Milliarden Euro geschätzt - Folgeschäden wie Erkrankungen sind dabei nicht eingerechnet. Diese fehlen auch in der Summe von rund 177 Milliarden Euro, auf die sich die Kosten für den Atomunfall vom 11. März 2011 im japanischen Fukushima allein bis zum Jahr 2017 beliefen - laut damaliger Schätzung der japanischen Regierung.

Getragen werden diese Kosten zum Großteil von den Steuerzahlern Japans, denn die Betreibergesellschaft Tepco wurde ein Jahr nach der Katastrophe de facto verstaatlicht, um eine Insolvenz zu verhindern.

Staatshaftung im Katastrophenfall

Und hier sind wir beim Kern des Problems: Die Haftungssummen für nukleare Unfälle sind in Europa lächerlich gering. So müssen etwa die Kraftwerksbetreiber in Tschechien gerade einmal 74 Millionen Euro für einen atomaren Unfall bereithalten, in Ungarn sind es 127 Millionen.

Auch Frankreich, maßgeblicher Antreiber für eine geplante "Begrünung" der Atomkraft in der EU und mit 70 Prozent Nuklearstromanteil weltweit am stärksten abhängig von seinen Reaktoren, verlangt seinen Stromversorgern bei einem Nuklearunfall höchstens 700 Millionen Euro Haftungssumme ab. Ein großer atomarer Unfall in Europa könnte aber locker Kosten zwischen 100 bis 430 Milliarden Euro verursachen. Sollte der tatsächlich passieren, müssten abermals die betroffenen Staaten und damit deren Steuerzahler einspringen.

Wegen dieser faktischen Staatshaftung kritisierte kürzlich selbst der Chef der deutschen Liberalen und Bundesfinanzminister Christian Lindner die Aufnahme der Atomkraft in die EU-Taxonomie. "Eine Energiequelle, die nur etabliert werden kann, wenn der Staat in die Haftung geht, die zeigt schon marktwirtschaftlich an, dass es sich nicht um eine nachhaltig verantwortbare Energiequelle handeln kann", so Lindner.  (Wow! so eine Aussage von der FDP, die immer wieder Atomkraft fordert??)

Und so hat die deutsche Bundesregierung an diesem Freitag in ihrer erwarteten Stellungnahme also gegen die Pläne der EU-Kommission votiert - zurecht. Mutiger sind Österreich und Luxemburg, die eine Klage gegen ein Nachhaltigkeitssiegel für Atomkraft angekündigt haben.

Die Risiken von "Mini-Reaktoren"

In Frankreich dagegen bezeichnet Staatspräsident Emmanuel Macron die Atomkraft gerne als "Glücksfall" für den Klimaschutz. Dass derzeit zehn Reaktoren im Land abgeschaltet bleiben müssen, drei der neuesten Generation davon aufgrund von Sicherheitsmängeln, stört das Glücksempfinden des Präsidenten offenbar wenig. Sorgen vor einem Atom-GAU und dessen Folgen will Macron mit neuen Mini-Reaktoren, sogenannten "Small Modular Reactors" (SMR), zerstreuen. Sie sollen erheblich kleiner sein als bisherige Atomreaktoren - und dementsprechend weniger gefährlich, käme es zu einem Unfall.

Doch diese Rechnung enthält einen Mengenfehler. Denn um auf die Kapazität eines großen Meilers zu kommen, ist eine enorme Zahl an kleinen Reaktoren nötig. "Diese hohe Anzahl wird das Risiko für nukleare Unfälle um ein Vielfaches erhöhen", mahnte etwa das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.

Geht es wirklich um Klimaschutz?

Ebenfalls scharf ins Gericht geht die Behörde mit dem Bericht des Joint Research Center der EU. Auf dessen Grundlage traf die Kommission in Brüssel ihre Bewertung über die Klimafreundlichkeit ziviler Atomkraft.

Der JRC-Bericht betrachte die Risiken der Kernenergienutzung für Mensch und Umwelt sowie für nachfolgende Generationen nur unvollständig. Er sei, so das Fazit, daher kein Beitrag, mit dem die Nachhaltigkeit der Kernenergienutzung umfassend bewertet werden könne.

Das lässt Zweifel aufkommen, dass Brüssel die Atomkraft vor allem aus Klimaschutzgründen in die neue EU-Taxonomie aufnehmen will. Vielmehr scheint politischer Druck dahinterzustehen, vor allem aus Frankreich. Dass man hier als Nuklearmacht auf jeden Fall an der Atomkraft festhalten will, hatte Emmanuel Macron zuletzt ganz offen erklärt. "Ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft und ohne militärische Atomkraft keine zivile", sagte der Staatspräsident erst im Dezember.

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