Hoffentlich kommt dieser Rat dort an, wo er gebraucht wird: In Dubai. Ich fände dieses Vorgehen absolut genial!
Spiegel hier Eine Kolumne von Christian Stöcker 03.12.2023
Die Ölkonzerne, die bei der Klimakonferenz dafür kämpfen, einfach so weiterzumachen wie bisher, haben einen Vorschlag: Irgendwann holen wir das Kohlendioxid einfach wieder aus der Luft. Man sollte sie beim Wort nehmen – sofort.
Nehmen wir an, Sie möchten einen Kredit aufnehmen. Als der Bankberater Sie nach Sicherheiten fragt, erklären Sie, das sei gar kein Problem: Sie hätten vor, demnächst einen Weltbestseller zu schreiben, der Harry Potter locker in den Schatten stellt. Als der Bankberater ungläubig schaut, fügen Sie hinzu, dass sie bereits einen Gedichtband im Selbstverlag veröffentlicht hätten, der bei Ihren Freunden und Bekannten sehr gut angekommen sei.
In etwa so sieht derzeit die CO₂-Strategie der großen Ölkonzerne und -staaten aus, zu denen auch die Vereinigten Arabischen Emirate gehören, die derzeit die Weltklimakonferenz COP28 zu Besuch haben. Die Emirate wollen in den kommenden fünf Jahren 35 Milliarden Dollar in saubere Technologie investieren und gleichzeitig 150 Milliarden in weitere Ölförderung durch den Staatskonzern Adnoc. COP- und Adnoc-Präsident Sultan Al Jaber möchte die Emissionen limitieren, aber nicht die Ölförderung.
Mit dieser Behauptung – wir holen das CO₂ dann einfach wieder aus der Luft – kämpfen die Ölkonzerne derzeit um das Überleben ihrer für uns alle fatalen Geschäftsmodelle . Mit Direct Air Capture (DAC) und Carbon Capture and Storage (CCS) fischen wir die Treibhausmoleküle einfach aus der Luft oder Abgasen, dann können wir munter weiter Öl und Gas verbrennen, so das Narrativ.
Ja, dann mal los!
Es ist zu erwarten, dass die Emirate und andere diese Möglichkeit auch explizit ins Abschlussdokument der COP28 hineinverhandeln wollen. Das sollte man sie tun lassen – in sehr präziser Form.
Es ist nämlich so: Bislang reichen die globalen Kapazitäten für Direct Air Capture laut internationaler Energieagentur IEA für etwa 0,01 Megatonnen CO₂ pro Jahr . Die jährlichen CO₂-Emissionen der Menschheit beliefen sich aber ungünstigerweise auf knapp 37.000 Megatonnen (genau: 36,8 Gigatonnen). In ihrem letzten DAC-Report schätzt die IEA, dass wir die CO₂-Entfernung aus der Atmosphäre bis 2050 um den Faktor 100.000 steigern müssen , wenn wir bis dahin bei Nettonull ankommen wollen. Und zwar in Kombination mit den bereits beschlossenen echten Emissionsreduktionen.
CO₂ zur CO₂-Förderung eingesetzt
Es gibt in der Tat Technik, die jetzt schon CO₂ aus der Luft holt. Das Start-up Climeworks zum Beispiel betreibt in Island eine Anlage namens Orca, die 4000 Tonnen CO₂ pro Jahr einfängt, mit einer Art riesigem Staubsauger, in dem das CO₂ kleben bleibt. Es gibt weitere Unternehmen mit ähnlichen Modellen, etwa Carbon Engineering aus Kanada. Letzteres wird gerade von einer US-Ölfirma aufgekauft. Die Ölfirmen mögen CO₂-Entfernung nicht nur als Feigenblatt, sondern auch als Werkzeug: Sie pumpen das Treibhausgas in den Boden, um damit noch mehr Öl herauszuquetschen. Das Verfahren heißt Enhanced Oil Recovery (EOR ). Das abgesaugte CO₂ fördert so also vor allem neues CO₂ zutage.
Die Kosten für DAC sind stattlich: Die Early Adopter, die sich bei Climeworks zertifiziert weggespeichertes CO₂ kaufen, bezahlen dafür 1000 Dollar pro Tonne. Das liegt vor allem daran, dass das System sehr viel Energie benötigt. Diese 1000 Dollar sind also derzeit der reale Preis einer Tonne CO₂-Entfernung.
4600 Dollar pro Mensch pro Jahr
Multipliziert man die jährlichen Emissionen der Menschheit mit diesen Tausend Dollar bekommt man eine Ahnung von der Aufgabe, vor der die Menschheit steht: Heraus kommt eine Summe von CO₂-Entfernungskosten von 37 Billionen Dollar im Jahr. Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt lag 2021 bei umgerechnet 4,26 Billionen Dollar.
Die schmutzige Wette aufs schwarze Gold
Noch ein Vergleich: Der mittlere CO₂-Preis aller auf dem Planeten bereits etablierten Systeme zum Emissionshandel liegt dem »Economist« zufolge derzeit bei etwa 20 Dollar. Da fehlen also noch 980. Und bekanntlich unterliegen längst nicht alle Emissionen solchen Handelssystemen.
Wenn die Ölkonzerne weiter emittieren wollen, sollte man sie auf ihre Zukunftsversprechen sofort festnageln. Sie müssten entweder für jede Tonne CO₂, die ihre Geschäftsmodelle derzeit verursachen, den aktuell günstigsten Preis für nachweisliche CO₂-Entfernung aus der Luft entrichten. Oder selbst dafür Sorge tragen, dass dieses CO₂ aus der Luft entfernt wird – sofort oder in einem überprüfbaren Zeitraum von wenigen Jahren, nicht irgendwann in ferner Zukunft. Dazu wäre eine internationale Kohlenstoffagentur oder -bank gut, die all das überwacht und kontrolliert.
Viel Geld senkt die Preise
Zwänge man die Ölbranche dazu, würden die Preise für CO₂-Entfernung aus der Luft vermutlich schnell fallen, denn wenn in eine Technologie viel Geld fließt, gibt es sogenannte Erfahrungskurven, die dafür sorgen, dass es billiger wird. Das ist bei Wind- und Sonnenstrom, bei Batterien und Elektroautos jetzt seit vielen Jahren zu beobachten .
Dieses Modell würde selbstverständlich dazu führen, dass Öl und Gas auf einen Schlag dramatisch teurer würden. Doch der reale CO₂-Preis würde auch gewaltige Einnahmen erzeugen. Die Konzerne müssten ja so lange den aktuellen Marktpreis auszahlen, bis sie selbst in der Lage sind, ihren Dreck wirklich verlässlich selbst wegzuräumen, statt ihn der Menschheit hinzukippen. Es wäre also jede Menge Geld, etwa für den Ausbau erneuerbarer Energien und für staatliche Transferleistungen an von der Transformation gebeutelte Bürger da: 37 Billionen Dollar pro Jahr entsprechen gut 4625 Dollar pro Jahr pro Erdenbürger.
»Gern, aber dann bitte sofort«
Dieser neue, hohe Preis wäre der ehrlichste, denn er würde es tatsächlich erlauben, die sogenannten negativen Externalitäten, die fossile Geschäftsmodelle verursachen, also die Schäden durch die Erderwärmung, auszugleichen oder zu begrenzen.
Die Menschheit kann sich ebenso wenig auf die Versprechen der Ölkonzerne verlassen, wie der Banker im Eingangsbeispiel dieses Textes sich auf den hoffnungsvollen Nachwuchsschriftsteller verlassen würde. »Eines Tages wird das dann schon gehen«, ist als Sicherheit nicht ausreichend. Schon gar nicht, wenn es um die Zukunft der Menschheit geht.
Der »Economist« kommentierte vergangene Woche , die Vorstellung eines Marktes, in der der Preis für eine Tonne CO₂-Emissionen so hoch ist wie die Kosten ihrer Entfernung, sei »sehr attraktiv«. Aber: »Tatsächlich einen zu schaffen, wird sehr schwierig sein.«
Das ist zweifellos richtig. Aber es wäre auch zweifellos die ehrlichste Form, mit unserem realen, existenzbedrohenden Problem umzugehen. Mindestens als Drohkulisse sollte die Formel »DAC als Lösung? Gern, aber dann bitte sofort!« bei den COP-Verhandlungen stets im Raum stehen. Die Ölkonzerne sind jahrzehntelang mit Desinformation durchgekommen, was ein zentraler Grund für das Dilemma ist, in dem wir uns jetzt wiederfinden. Wir sollten sie nicht mit weiteren Verzögerungstricks durchkommen lassen, sondern sie beim Wort nehmen.
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