Sonntag, 31. Dezember 2023

Texas ist erstaunlicherweise Amerikas Gigant der Erneuerbaren, doch Klimasaboteure sind am Werk

hier  Handelsblatt  Artikel von Katharina Kort, Axel Postinett • 30.12.23

Warum Texas im neuen Jahr das Schlimmste befürchtet. Texas ist Amerikas Energiegigant. Trotzdem warnen Experten vor einem Horror-Szenario: dem Kollaps der Stromversorgung. Risikofaktor ist nicht nur das marode Netz.

Die Texanerin Amanda Stoffels hat mit ihrem Mann 40 Hektar Land gekauft und lässt dort unter Solarpaneelen 250 Schafe grasen. Dem Farmer Louis Brooks gehört eine Ranch, die größer ist als der New Yorker Stadtteil Manhattan. Seine Rinder ruhen sich im Schatten von Windrädern aus.

„Wenn Leute mich fragen, wie eine Windturbine klingt, dann sage ich: Sie klingt nach Geld“, sagt Brooks. Stoffels und Brooks gehören zu den vielen Ranchern im republikanischen Texas, die die saubere Energie als zusätzliche Einnahmequelle entdeckt haben.

Innerhalb der USA gewinnt nicht Kalifornien, sondern der Ölstaat Texas am meisten Energie aus Windkraft- und Solaranlagen. Im vergangenen Jahr hat Texas laut der Energy Information Agency (Eia) insgesamt 136.000 Gigawattstunden Wind- und Solarenergie produziert, Kalifornien kam gerade einmal auf 55.000 Gigawattstunden.

Im Sommer hat Texas dank der alternativen Energien Stromausfälle verhindern können. Doch nun ist Winter und die Bewohner fragen sich, ob das System einem Kälteeinbruch wie im Jahr 2021 gewachsen ist. Damals waren beim Wintersturm „Uri“ 250 Menschen gestorben, als Hunderttausende bei Minustemperaturen tagelang ohne Strom blieben

Schlecht oder gar nicht isolierte Leitungen und Schalter von Öl- und Gaskraftwerken waren eingefroren, Isolatoren an Überlandleitungen platzten, und die schiere Nachfrage nach Energie hatte die Infrastruktur an ihre Belastungsgrenze gebracht.

Auch dieses Jahr bleibt die Lage prekär. Die North American Electric Reliability Corp (Nerc) warnte im November, in Teilen der USA und Kanadas seien insgesamt 180 Millionen Menschen von potenziellen Stromausfällen bedroht, da es an Gaskraftwerken mangele.

Gefahr von Ausfällen „inakzeptabel groß“

Die texanische Netzagentur Ercot hatte bereits im Oktober gewarnt, die Gefahr von Ausfällen sei „inakzeptabel groß“. Deshalb hat Ercot bei mehreren Kraftwerksbetreibern angefragt, ob man zusätzliche Kapazitäten bereithalten könne. Doch bis Dezember gab es kaum Angebote.

In den vergangenen Wochen hat Ercot seine Inspektoren ausgesandt, um Kraftwerke, Generatoren und Verteilnetzwerke im Bundesstaat auf Winterfestigkeit zu überprüfen. Bei einem Treffen des Vorstands kurz vor Weihnachten versuchte die Behörde, Zuversicht zu vermitteln: „Wir sind so gut vorbereitet wie noch nie“, sagte Ercot-Chef Pablo Vegas.

Aber seine Zuversicht gründet vor allem auf den Wetterprognosen für einen milden Dezember. Auch Vegas räumt ein, dass niedrige Temperaturen vor allem am frühen Morgen, wenn die Menschen aufstehen und ihre Heizungen anschalten, das Netz an seine Grenzen bringen können. „Um diese Uhrzeit haben wir noch nicht Ressourcen wie Solar im System“, erklärt er die Problematik. Mehr als 60 Prozent der Heizungen wurden in Texas im Jahr 2021 laut Volkszählungsamt der Vereinigten Staaten elektrisch betrieben.

Auch der Ercot-Chefmeteorologe Chris Coleman warnt: Die Monate Januar und Februar brächten ein höheres Risiko für Polarstürme mit sich und könnten so das Netz vor Probleme stellen. Die Wahrscheinlichkeit von großflächigen Ausfällen liegt bei starken Winterstürmen laut Ercot bei 20 Prozent.

Stromnetz in Texas vom Rest des Landes komplett isoliert

Texas, dessen Fläche fast doppelt so groß ist wie Deutschland, ist nicht nur wegen seiner zahlreichen, oft veralteten Überlandkabel so anfällig für Stromausfälle. Das Netz ist auch komplett isoliert.

Es gibt drei Verbundstromnetze in den USA: eines für die westlichen Bundesstaaten und eines für die östlichen. Und dann gibt es Texas, ganz allein für sich. Dadurch vermeidet Texas Verpflichtungen zu gegenseitiger Hilfe in Notfällen, die man lange nicht zu benötigen glaubte.

Das endete in der Katastrophe der Winterstürme 2021 und auch 2022, weil das texanische Netz schon rein technisch isoliert dastand. Es konnte daher gar kein Strom eingeführt werden, weil es keine Stromleitungen gab, die das texanische Netz mit Netzen in anderen Bundesstaaten verbinden. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Damit ist Texas praktisch in einem ganzjährigen Krisenzustand. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen nach Texas ziehen und damit das Netz beanspruchen. Laut dem jüngsten Zensus hat die Bevölkerung allein 2023 um fast eine halbe Million zugelegt auf 30,5 Millionen Menschen.

Lange Jahre hat Texas seinen Energiebedarf vor allem durch Öl und Gas gedeckt, zuletzt aber ist insbesondere die Produktion erneuerbarer Energien rasant gewachsen. Viele Windfarmen und immer mehr Solarfelder stehen auf Farmland, häufig grasen Kühe unter den Windrädern.

Die Farmen eignen sich auch aufgrund ihrer Größe für ausgedehnte Windparks oder Solaranlagen: Die texanische Farm besitzt im Schnitt laut US-Landwirtschaftsministerium 206 Hektar Land, mehr als dreimal so viel wie der durchschnittliche Bauernhof in Deutschland.

„Texas hat riesige Flächen nutzbares Land und ein regulatorisches Umfeld, das gegenüber Projekten für erneuerbare Energien sehr freundlich ist“, erklärt Eric Gimon, Senior Fellow der Denkfabrik Energy Innovation in San Francisco.

In diesem Jahr hat Texas mit seinen 15.300 Windturbinen laut Angaben der Regierung des Bundesstaats 28,6 Prozent seiner gesamten Energieproduktion aus Windkraft gewonnen.  „Wäre Texas ein eigenes Land, dann wäre es weltweit die Nummer fünf oder sechs unter den Windenergieproduzenten“, sagt Jon Elkind von der renommierten Columbia-Universität.

Dass ausgerechnet Texas bei der Nutzung neuer Energien zum Vorreiter wird, überrascht auf den ersten Blick. Denn Texas ist traditionell ein Staat der Erdölförderung – und einer, in dem die konservativen Republikaner den Ton angeben. Und die gelten nicht unbedingt als Verfechter des Klimaschutzes.
Doch auch sie haben erkannt, dass in Zeiten des Klimawandels die Erneuerbaren eine Schlüsselrolle bei der Stromversorgung übernehmen.


Dem Klimawandel zum Trotz: Texas setzt auf ein totes Pferd

12.07.2023, Frankfurter Rundschau hier Von: Nail Akkoyun

Ausgerechnet der republikanische Staat Texas war lange Vorreiter bei erneuerbaren Energien. Nun will Gouverneur Abbott diesen Erfolg sabotieren. Doch warum?

Denkt man an Texas, hat man schnell weite Straßen und die offene Prärie vor Augen. Doch tatsächlich liegt der US-Bundesstaat auch am Golf von Mexiko und besitzt eine Küste von rund 725 Kilometern. Bereits seit Jahrzehnten macht sich Texas die vielen Sonnenstrahlen und das weite Meer zu Nutzen und gilt in den USA als führend in Sachen erneuerbaren Energien. Zu gute kommt dem „Lone Star“-Staat, dass er fast doppelt so groß wie Deutschland ist und über reichlich unbewohnten Raum verfügt.

Überraschend ist jedoch, dass es ausgerechnet die Republikaner waren, die dem durch und durch roten Texas einen grünen Anstrich verliehen hatten. Es war George W. Bush, späterer US-Präsident und damals noch Gouverneur, der 1999 mit einem entsprechenden Gesetz Investitionen in grüne Energien gefördert hatte. Heute produziert der Bundesstaat mehr Wind- und Solarenergie als Kalifornien, Iowa und Oklahoma zusammen.

24 Jahre später sieht die Welt anders aus: Die regierenden Republikaner sind es nun, die den erneuerbaren Energien in ihrem Texas einen Riegel vorschieben wollen. Stattdessen soll auf neue Erdgaskraftwerke gesetzt werden, die mit Milliarden an öffentlichen Geldern finanziert werden sollen. Es ist die Politik von Greg Abbott – ein als vergleichsweise gemäßigt geltender Politiker in der sonst so polarisierenden Republikanischen Partei.

Der Wandel kommt nicht von ungefähr: Texas-Gouverneur Abbott bezog Spenden von Öl- und Gaskonzernen

Anstatt die Erneuerbaren weiter auszubauen, will man in Texas aussterbende Branchen fördern. Wie Zeit Online berichtet, seien in den vergangenen fünf Jahren 2800 Arbeitspläne durch Wind- und Solarenergieerzeugung geschaffen worden. Im selben Zeitraum seien hingegen 44.000 Arbeitsplätze in der Öl- und Gasforderung verloren gegangen. Ein zwischenzeitlicher Vorschlag sah sogar eine Deckelung grüner Energie vor, sodass nicht mehr als 50 Prozent der Energieprojekte in Texas erneuerbar hätten sein sollen. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt, zeigt aber, dass die Republikaner rund um Abbott eine Branche ausbremsen wollen, die nicht nur Arbeitsplätze schafft, sondern auch die Bevölkerung finanziell erleichtert und der Umwelt guttut.

Das Argument: die Energieversorgung sei aufgrund der Erneuerbaren nicht planbar. Nach Naturkatastrophen galten für Gouverneur Abbott und andere Befürworterinnen und Befürworter der Fossilen bislang die grüne Energie öfter als Problem: Als der historische Wintersturm Uri im Jahr 2021 in Texas zu katastrophalen Stromausfällen führte, sei Beweis genug. Der Green New Deal, die vor allem von linken Demokratinnen und Demokraten gefordert wird, sei nichts als ein „tödlicher Deal für die Vereinigte Staaten“, polterte Abbott auf Fox News. Dabei ist der Süden der USA so stark wie nie auf umweltfreundlichere Politik angewiesen.

Auch für Abbott scheint – wie so oft in der Politik – zu gelten, dass man die fütternde Hand nicht beißt. Im vergangenen Jahr erhielt der 65-Jährige den Großteil seiner Wahlkampf-Spenden von Öl- und Gasunternehmen. Darüber berichtete unter anderem die Texas Tribune sowie OpenSecrets, eine gemeinnützige US-Organisation, die Wahlkampffinanzierung und Lobbyarbeit beobachtet.

Texas steht hinter erneuerbaren Energien: „Haben einen gewaltigen Unterschied gemacht“

Dass das Vorgehen gegen erneuerbare Energien auf fadenscheinigen Argumenten beruht, glaubt auch Doug Lewin, Direktor des Texas Energy Summit. „Wind- und Solarenergie haben einen gewaltigen Unterschied gemacht, sowohl in Bezug auf die Zuverlässigkeit als auch, was sehr wichtig ist, auf die Kosten“, sagte Lewin im Gespräch mit ABC News. Ohne Wind- und Solarenergie wäre die Wahrscheinlichkeit von regelmäßigen Stromausfällen zudem deutlich höher.

Auch die Bevölkerung weiß, dass die grüne Energie in Texas seit mehr als 20 Jahren Bestandteil der Energieversorgung sind und für finanzielle Entlastungen sorgen. Denn trotz der republikanischen Seele des Staates stehen die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht hinter Abbotts Kreuzzug gegen die Erneuerbaren. In einer Umfrage der University of Houston Hobby School vom Februar dieses Jahres befürworteten 64 Prozent der Befragten etwa den Ausbau von Solarparks. 59 Prozent waren für die Nutzung von Erdwärme sowie 57 Prozent für den Bau von Windkraftanlagen. Im Vergleich dazu sprachen sich lediglich 42 Prozent für eine verstärkte Nutzung von Erdgaskraftwerken und Kernkraftwerken aus.

Die Pläne Abbotts sowie seiner Parteifreunde sind bislang nicht in die Tat umgesetzt worden. Sollten die Republikaner nach der US-Wahl 2024 jedoch wieder die Präsidentschaft stellen, dürfte die Thematik aber spätestens dann wieder auf der Agenda stehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen