Dienstag, 5. Dezember 2023

Debatte um die Schuldenbremse: Schlecht beratene FDP-Minister

Hier geht`s um die Finanzen der kommenden Jahre - entscheidend für den Klimaschutz in Deutschland
Generationengerechtigkeit ist angebracht seit dem Karlsruher Urteil des Bundesverfassungsgerichtes - doch scheint die FDP sich da eine eigene Interpretationslinie ohne Kenntnis des Hintergrundes gestrickt zu haben.

Weniger Schulden, aber kaputte Infrastruktur: Carl-Ludwig Holftrerich kritisiert die FDP für ihr Festhalten an der Schuldenbremse.

FAZ hier   von Carl-Ludwig Holtfrerich • 20 Std.

Vor dem Hintergrund wachsender Bereitschaft bei den Koalitionspartnern, die Schuldenbremse des Grundgesetzes zu reformieren, haben die Bundesminister Marco Buschmann und Christian Lindner in ihrem F.A.Z.-Artikel vom 2. Dezember 2023 für deren Fortbestand und Einhaltung plädiert. Sie begründen das unter anderem mit „Generationengerechtigkeit“, das heißt der Behauptung, man dürfe die zukünftige Generation nicht mit Staatsschulden belasten, die höher seien als die im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgeschriebenen 60 Prozent des BIP.

Diese Grenze war bei ihrer Festschreibung schlicht der Durchschnitt der EU-Schuldenquoten. Nach deren Anstieg in den Jahren zuvor sollte einem weiteren Anstieg ein Riegel vorgeschoben und die Haushaltspolitik der Mitgliedsländer tendenziell auf einen Abbau dieser Quote umgepolt werden. Eine inhaltliche Begründung für die 60-Prozent-Quote gab es nie. Dennoch fühlen sich Staatsrechtler wie Lindner und Juristen wie Buschmann in ihrem Element, wenn sie in Gesetz oder Verfassung festgeschriebene Regeln vorfinden und durchsetzen dürfen.

Ihre Expertise reicht aber nicht, um zu beurteilen, ob eine juristische Festlegung, zum Beispiel im Tierschutz, im Bau- und Verkehrsrecht oder in haushaltspolitischen Dingen, für die Gesellschaft und ihre Weiterentwicklung fördernd ist.

Aufschlussreicher als der Artikelinhalt sind die Bestandteile der Schuldendiskussion, die Buschmann und Lindner beziehungsweise Lindners wirtschaftspolitischer Berater verschweigen:

Politiker neigen im Hinblick auf den nächsten Wahltermin zu kurzfristigem Denken und einfachen Entscheidungen. Sie scheuen die Mühe, den Wählern eine komplexe Materie verständlich darzustellen, etwa die Gestaltung des Staatshaushalts mit seinen langfristigen Auswirkungen. Stattdessen greifen sie gern auf Wahlgeschenke zurück und auf Parolen über die Belastung zukünftiger Generationen mit den wachsenden Staatsschulden von heute und über die Sparsamkeit der schwäbischen Hausfrau. Damit täuschen sie ihre Wähler. Denn ein Staatshaushalt muss andere Aufgaben wahrnehmen und andere Regeln befolgen als ein Privathaushalt.

Seit Beginn des Industriezeitalters hängt steigender Wohlstand von der Investitionsquote einer Wirtschaft ab. Die deutsche Wirtschaft exportiert seit Anfang dieses Jahrhunderts einen Großteil des inländischen Kapitalaufkommens ins Ausland, statt zu Hause zu investieren. Das spiegelt sich in den hartnäckigen Überschüssen der deutschen Leistungsbilanz wider. Auch die seit mehr als 20 Jahren heruntergefahrene staatliche Investitionstätigkeit in Deutschland hat stark dazu beigetragen mit dem Ergebnis der allenthalben maroden Infrastruktur heute. Beim drastischen Sparkurs von SPD-Finanzminister Hans Eichel und seinem SPD-Nachfolger Peer Steinbrück, dem Vater der Schuldenbremse von 2009, wurde bei den staatlichen Investitionen am stärksten gekürzt.

Denn hier war weniger politischer Widerstand zu erwarten als bei einem Abbau konsumrelevanter Ausgaben. Wir hinterlassen bei Einhaltung der aktuell gültigen Schuldenbremse den nachfolgenden Generationen zwar weniger Schulden, aber eine kaputte Infrastruktur, die mitverantwortlich ist für die Investitionsschwäche und das geringe Wirtschaftswachstum in Deutschland. In Wahrheit hinterlassen wir den nachfolgenden Generationen eine Mogelpackung, um nicht zu sagen: ein trojanisches Pferd.

In den USA ist es üblich, für die Bestimmung „nationaler Prioritäten“ die Staatsausgaben in drei Bereiche einzuteilen: Ausgaben für die Zukunft (Investitionen), die Gegenwart (Staatskonsum und Sozialausgaben) und die Vergangenheit (Subventionen). Bei einer Reform der Schuldenbremse geht es nur darum, die Ausgaben für die Zukunft in Höhe staatlicher Nettoinvestitionen von der Schuldenbremse auszunehmen. Die staatliche Konsum- und private Konsumausgaben fördernden Sozialausgaben sowie die Subventionen sind selbstverständlich wegen der Kurzfristorientierung der politischen Entscheidungsträger in der Schuldenbremse des Grundgesetzes eingesperrt zu halten.

Deutschland hat um den Preis seiner maroden Infrastruktur die niedrigste Staatsschuldenquote aller Industrieländer, was Buschmann und Lindner auch verschweigen. Die Bundesregierung, besonders die FDP als Koalitionspartner, sowie deren Opposition, sollten ihren Hochmut ablegen, dass nur wir Deutschen etwas von Haushaltsdisziplin verstünden und deswegen dem Rest der EU unsere Vorstellungen aufzudrängen berechtigt seien. Innerhalb der EU gab es im Jahr 2021 nur zwei Länder, deren öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, gemessen an ihrem BIP, geringer waren als die Deutschlands.

Das Sondergutachten des Sachverständigenrats für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung „Staatsverschuldung wirksam begrenzen“ vom März 2007 hatte schon im Vorfeld der Einführung der Schuldenbremse in das Grundgesetz die Freistellung staatlicher Netto- (statt Brutto-) Investitionen von staatlichen Kreditbeschränkungen empfohlen. Die damaligen Politiker, an der Spitze Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, und andere Vertreter der SPD (neben Union und FDP) haben sich für klüger gehalten als die „Eierköpfe“ in ihrem Sachverständigenrat. Der heutige desaströse Zustand der öffentlichen Infrastruktur in Deutschland wäre uns wohl erspart geblieben, wenn die politischen Entscheidungsträger 2009 nicht derart beratungsresistent gewesen wären.


Carl-Ludwig Holtfrerich ist Professor der Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin.

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