Sonntag, 3. Dezember 2023

Es gibt sie doch, die guten Dinge

Wenn ich daran denke, welch detaillierte Konzepte bereits erstellt wurden, seitens einer äußerst fleißigen Zivilgesellschaft - warum werden die besten Dinge nicht einfach umgesetzt? Warum diese Verzögerungstaktiken?

Süddeutsche Zeitung hier  24. November 2023

Von Christoph von Eichhorn, Christoph Gurk, Florian Müller, Isabel Pfaff, Alex Rühle, Vera Schroeder

Züge, Wärmepumpen, Solarkraftwerke: Fast jeder Baustein der Klimawende funktioniert irgendwo schon ganz ordentlich. Eine Sammlung von Beispielen aus aller Welt.

Am kommenden Donnerstag beginnt die 28. Weltklimakonferenz, diesmal findet sie in Dubai statt. Der Zustand der so dringend nötigen Klimawende zu Beginn der Verhandlungen: durchwachsen, wie man auch auf den folgenden Seiten sehen kann. Dabei gibt es Beispiele, bei denen gelingt, was aus wissenschaftlicher Sicht so dringend nötig ist: die Reduktion der Treibhausgase mit dem Ziel, irgendwann gar keine fossilen Emissionen mehr in die Atmosphäre zu pusten.

Wärmewende in Finnland

Während hierzulande zuletzt ein bizarrer Kulturkampf um die Wärmepumpe entbrannt ist und die Bild-Zeitung monatelang so tat, als würde Robert Habeck persönlich morgens die Bürger aus dem Schlaf klingeln, in ihren Keller einmarschieren, die Heizung herausreißen und gegen eine Wärmepumpe austauschen, ist in Finnland der Absatz von Wärmepumpen im vergangenen Jahr um 50 Prozent angewachsen. 

Pro tausend Haushalte wurden 70 Pumpen eingebaut, insgesamt 200 000 und damit doppelt so viele wie 2021. In Norwegen waren es 60 Pumpen auf tausend Einwohner, dahinter kommen Schweden, Estland und Dänemark. Die Gründe sind jeweils dieselben: Der Preisanstieg bei Öl, Gas, Fernwärme und Strom macht Wärmepumpen noch profitabler, als sie ohnehin schon waren. 

Staatliche Subventionen für den Austausch von Ölkesseln, weil sie nun mal ökologisch sinnvoll sind. Und – in Finnland noch mal wichtiger als andernorts – Russlands Überfall auf die Ukraine. Die Finnen haben ohnehin ein angespanntes Verhältnis zu ihrem östlichen Nachbarn und wollen auf keinen Fall von dessen Öl und Gas abhängen. Nichts ist ihnen so wichtig wie ihre Autarkie. Da bieten sich Wärmepumpen, die Energie aus der Umgebungsluft, dem Erdreich oder dem Grundwasser ziehen, an wie nichts sonst. Es gibt in Finnland gerade mal 2,7 Millionen Haushalte. Von denen haben mittlerweile 1,5 Millionen eine Wärmepumpe.

Erneuerbare Energien in Marokko

Am Rande der Sahara recken sich 7400 Spiegel in konzentrischen Kreisen Richtung Sonne und lenken ihr Licht zu einem 242 Meter hohen Turm in der Mitte. Mit der so gebündelten Wärme wird eine Dampfturbine angetrieben und Strom für einige Hunderttausend Menschen erzeugt. „Noor III“ ist eines der größten Solarturmkraftwerke der Erde, gelegen nahe der Stadt Ouarzazate im Süden Marokkos.

Der Ort ist nicht zufällig gewählt, fast nirgends auf der Welt scheint die Sonne länger im Jahr und intensiver. Und auch sonst hat Marokko ziemlich gute Bedingungen für erneuerbare Energien. An der Küste im Südwesten steht einer der größten Windparks Afrikas. Zwar ist Marokko noch immer überwiegend auf fossile Energieträger angewiesen. Doch verfolgt das Land im Maghreb zugleich seit Längerem recht offensiv den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen, die im Jahr 2030 mehr als 50 Prozent des heimischen Strombedarfs decken sollen. Langfristig sollen die neuen Windanlagen und Solarpaneele auch grünen Wasserstoff für den Export erzeugen.

Die Politik Marokkos sei kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel, lautet die Bewertung der Plattform Climate Action Tracker – damit ist das Land eine absolute Ausnahme auf der Weltkarte. Dennoch geht es gemessen am enormen Potenzial vergleichsweise langsam mit der Energiewende in der arabischen Welt voran, wie eine kürzlich veröffentlichte Analyse beklagt. So sei in Südamerika, einer Region mit vergleichbarer Bevölkerungszahl, im vergangenen Jahr viermal mehr Leistung aus erneuerbaren Energien ans Netz gegangen wie in den arabischen Staaten.

CO₂-Preis in Schweden

Schweden wird immer wieder als Beispiel für ein Land genannt, in dem ein CO₂-Preis früh und entschieden eingeführt wurde und das deshalb heute den geringsten CO₂-Ausstoß pro Kopf in ganz Europa hat – während die Wirtschaft gleichzeitig weiterwuchs. Das skandinavische Königreich hat bereits seit 1991 eine CO₂-Steuer, 24 Jahre bevor das Paris-Ziel beschlossen wurde. Als unmittelbare Folge davon sind die Emissionen zunächst stark zurückgegangen, zumindest in den von der Steuer betroffenen Sektoren.

Zum Start kostete die Tonne CO₂ umgerechnet 30 Euro, mittlerweile sind sie bei 115 Euro pro Tonne Kohlendioxid, laut Weltbank ist das der höchste Preis im internationalen Vergleich. Zu Beginn in den 1990er-Jahren wurden gleichzeitig andere Steuern gesenkt oder abgeschafft und Bemessungsgrundlagen verändert, sodass die Kosten der Steuer für den Einzelnen nicht besonders zu spüren waren und die Wirtschaft weiterwachsen konnte.

Das große Aber und wohl auch der Grund, weshalb der CO₂-Ausstoß in den vergangenen Jahren nicht mehr besonders stark weiter gesunken ist, sondern eher verharrt: Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, sind von der Steuer weitgehend ausgenommen. Die Emissionen in der Schwerindustrie, Schifffahrt und Luftfahrt sind nicht zurückgegangen. Und auch für den Endverbraucher wurden die Steuern in der Energiekrise auf Motorkraftstoffe zum Beispiel vorübergehend wieder gesenkt.

Seit gut einem Jahr gibt es in Schweden zudem eine neue Mitte-Rechts-Regierung. Laut der jährlichen Bewertung des schwedischen Rates für Klimapolitik macht das Land seitdem bei den Treibhausgasemissionen Rückschritte, ein Backlash droht, weil die neue Regierung Klimaziele nicht mehr priorisiert. Schweden ist also auch ein Land, das zeigt: Eine CO₂-Steuer alleine kann es nicht richten, besonders dann, wenn sie mit so vielen Ausnahmen behaftet ist.

Energieeffizienz in China

Jeder Versuch, den Klimawandel aufzuhalten, bringt wenig, solange China nicht mitmacht. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist der größte CO₂-Verursacher der Welt. Ein Großteil dieser Emissionen stammt aus dem Energiebereich, vor allem aus der Kohle, von der China trotz riesiger Investitionen in Solar- und Windstrom mehr verbrennt als je zuvor. Chinas Primär-Energieverbrauch pro Kopf hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht, liegt aber immer noch ein Viertel unter dem der Deutschen und die Hälfte unter dem der Amerikaner.

Es könnte aber deutlich schlimmer sein, denn das chinesische Pro-Kopf-Einkommen hat sich im gleichen Zeitraum verzehnfacht. Die chinesische Regierung arbeitet seit 2006 daran, Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch voneinander zu entkoppeln. Nicht nur dem Klima zuliebe, sondern weil sie Geld sparen will und schlicht nicht mit dem Kraftwerksbau hinterherkommt, wie Umweltexperte Li Shuo von der Denkfabrik ASPI sagt.

Dafür hat China etwa verpflichtende Einsparziele für die Industrie erlassen und fördert die Anschaffung umweltfreundlicher Technologien wie effizienterer Kohleöfen oder Wärmerückgewinnung. Sogar Obergrenzen für den Gesamtenergieverbrauch der Provinzen hat die Zentralregierung eingeführt. Es gibt wie in der EU Energieverbrauchslabel für Kühlschränke oder Fernseher. Die Energiestandards für Haushaltsgeräte und Gebäude wurden verschärft. Weil China so viel ins Ausland verkauft, haben dortige Standards laut Li großen Einfluss: „Je höher die Standards in den Exportmärkten, desto höher auch in China.“

Doch solange China auf Schwerindustrien wie Zement und Stahl setzt, wird es zunehmend härter, noch viel Energie einzusparen. Die Hoffnung in Peking ist, dass sie das nicht mehr müssen, wenn genügend erneuerbare Energie zur Verfügung steht.

Elektroautos in Norwegen

Wer aus Deutschland in eine norwegische Stadt kommt, macht eine befremdliche und auch gefährliche Erfahrung. Der Straßenverkehr wirkt, als wäre man in einem dreidimensionalen Stummfilm gelandet. Überall Autos, aber keinerlei Geräusch. E-Autos sind nun mal sehr leise, man schaut sich in Oslo immer besser zweimal um, bevor man die Straße überquert.

Im vergangenen Jahr waren 80 Prozent der in Norwegen verkauften Neuwagen Elektrofahrzeuge. In der EU waren es etwa 13 Prozent, in Deutschland 18. Der Kauf wird vom norwegischen Staat und den Kommunen massiv unterstützt: Die 25 Prozent Mehrwertsteuer, die beim Kauf eines Benzinautos dazukommen, fallen komplett weg. Außerdem muss man für jedes Auto eine Umweltabgabe zahlen, die sich aus einer Kombination aus Gewicht, CO₂- und NOx-Emissionen berechnet.

Das heißt, Autos mit hohen Emissionswerten sind enorm teuer. Wer dagegen ein E-Auto kauft, spart auch im Alltag, schließlich darf man billiger parken, zahlt weniger für Autofähren und das Laden ist spottbillig, Norwegen hat durch die Wasserkraft Strom im Überfluss. Noch ein Incentive gefällig? Wer ein E-Auto fährt, darf die Bus- und Taxispuren benutzen.

Kritiker sagen freilich, es wäre schön, wenn der norwegische Staat genauso entschlossen den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs fördern würde, wie er den Kauf von meist sehr großräumigen E-Autos unterstützt. Zudem wirkt die Umstellung auf Elektromobilität schon auch wie eine Art kollektiver Ablasshandel, schließlich wissen die Norweger nur zu genau, dass sie ihren immensen Reichtum der Erschließung und dem Export immer neuer Öl- und Gasfelder verdanken. Man verkauft das CO₂-Gift also in alle Welt, um sich selbst dann von den Gewinnen gesunde Autos leisten zu können.

Waldschutz in Brasilien

Dass mit dem Klima etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, daran gibt es auch in Brasilien keinen Zweifel mehr: Gerade werden große Teile des Landes von einer Hitzewelle heimgesucht, dazu kommt andernorts eine extreme Dürre, Flüsse verwandeln sich in Rinnsale, Fische verenden.

Da ist es ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass die Abholzung im Amazonas dieses Jahr zurückgegangen ist, um 22 Prozent zwischen August 2022 und Juli dieses Jahres, der niedrigste Wert seit 2019, und das ist erst der Anfang, verspricht die linke Regierung: Bis 2030 soll die Entwaldung auf null sinken.

Ein ehrgeiziges Ziel, keine Frage, die Werkzeuge aber hätte Brasilien: Das Land hat eine fortschrittliche Umweltgesetzgebung, die Verfassung sogar ein eigenes Kapitel, in dem es ausschließlich um die Natur und deren Schutz geht. Staatliche Institutionen sollen die Einhaltung dieser Gesetze überwachen, mit Satellitenbildern kann Kahlschlag erkannt werden, es gibt eine bewaffnete Elite-Einheit, die Holzfäller oder illegale Goldsucher auch noch im tiefsten Wald aufspüren kann.

So weit zumindest die Theorie. Denn unter Brasiliens letztem Präsidenten, dem rechtsextremen Jair Bolsonaro, wurden Umweltgesetze ausgehöhlt und Schutzeinrichtungen geschwächt. Die Abholzung stieg sprunghaft an. Dass der Kahlschlag nun wieder zurückgeht, liegt vor allem daran, dass die aktuelle linke Regierung diese zerstörerische Politik wieder rückgängig macht.

Der Kampf ist also hoffnungsvoll – und gleichzeitig zäh. Im Amazonas mag zwar die Abholzung zurückgegangen sein, dennoch wüten riesige Brände, deren Rauchwolken die Metropole Manaus verdunkeln. Und anderswo, im Feuchtgebiet Pantanal, stehen komplette Inseln in Flammen. Brasilien mag also auf dem richtigen Weg sein, es gibt aber auch noch viel zu tun.

Verkehrswende in der Schweiz

Nirgendwo macht Bahnfahren mehr Spaß als in der Schweiz: weitgehend pünktliche Züge, ein dichter Taktfahrplan und nahezu überall gut funktionierende Anschlüsse, sodass man das Land bis in seine hintersten Täler per Bahn, Bus, Seilbahn und Schiff bereisen kann.

Weil das Ganze so gut funktioniert, nutzen die Schweizerinnen und Schweizer das Angebot auch rege. Gemäß dem Bundesamt für Verkehr fahren sie pro Jahr im Durchschnitt rund 70 Mal mit der Bahn und legen dabei etwa 2400 Kilometer zurück, damit stehen sie europaweit mit Abstand an erster Stelle. Zum Vergleich: Die Deutschen legen nur halb so viele Personenkilometer in der Bahn zurück, obwohl ihr Land um einiges größer ist.

Für eine Mobilitätswende hin zu möglichst viel öffentlichem und möglichst wenig Individualverkehr ist die Schweiz entsprechend gut aufgestellt. Der Grund dafür liegt aber weniger in einem frühen Klimabewusstsein, sondern vor allem darin, dass die Bahn in der Schweiz als Teil eines „Service Public“ verstanden wird – also als eine Art Grundversorgung, für die man auch Geld in die Hand nimmt.

Bestimmte Dienstleistungen, so die Mentalität in dem ansonsten dezidiert wirtschaftsliberalen Land, muss der Staat allen und überall im Land zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung stellen. Analog zu den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) existieren deshalb auch staatsnahe Betriebe in den Bereichen Telekommunikation, Post oder im Zahlungsverkehr.

Für die Schweizer Bahn bedeutet das: Unter Privatisierungsplänen oder finanzieller Vernachlässigung hatte sie noch nie zu leiden. Oder, wie es der Chef des Schweizer Bundesamts für Verkehr einmal der SZ sagte: „Die SBB soll zwar solide wirtschaften, aber sie muss keine Gewinne maximieren. Die Bahn wird an der Qualität gemessen, am Angebot und an der Pünktlichkeit. Das ist tief verankert bei uns Schweizern.“

Entsprechend großzügig wird investiert: Laut der jährlichen Auswertung von Allianz pro Schiene steckte die Schweiz im vergangenen Jahr 450 Euro pro Kopf in ihre Schieneninfrastruktur. In Deutschland waren es lediglich 126 Euro.

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