Das finde ich total spannend weil es sich nach einer großen Chance anfühlt. Derzeit wird auf 70% unserer Äcker Tierfutter hergestellt! Und noch zusätzliches Futter importiert. Wir brauchen gar nicht mehr über Flächenknappheit für Nahrungssicherheit zu diskutieren , wenn man sich erst mal diese Fakten vor Augen hält!
Unsere Nachbarn in Dänemark und den Niederlanden haben schon wieder die Nase vorn. Schön ist das, dass tatsächlich überall nach neuen Wegen für die Zukunft gesucht wird. In der Not wird man fündig , das ist die das allerbeste Erkenntnis!
hier Stern
Vergesst Fleisch!
Nach Veggie-Fleischwurst und Mett aus Pflanzenproteinen zündet jetzt die nächste Stufe der Fleischalternativen: Steaks, die sich von ihren tierischen Vorbildern kaum mehr unterscheiden. Vorn dabei im umkämpften Markt: deutsche Start-Ups.
Beim Thema Fleisch und seinen vegetarischen Alternativen kochen die Gemüter hoch. Mit enormer Wucht prallen Meinungen aufeinander, in den Sozialen Medien sowieso, aber auch in der Politik. So beschloss die rechtskonservative Regierung Italiens nach heftigen Debatten als einziges Land in der EU ein Verbot von Fleischimitationen aus tierischen Stammzellen. "Laborfleisch" nennen es die Gegner verächtlich, "Fleisch aus dem Fermenter" heißt es bei den Befürwortern. Der Kampf zwischen Fleischindustrie und Veggie-Anbietern ist längst auch ein Ringen um die Deutungshoheit von Worten. Pflanzliche Alternativen müssen in Italien fortan anders heißen als ihre tierischen Originale. Die Begründung der Regierung ist emotional. Man wolle die italienische Tradition des Essens und Metzgerhandwerks schützen.
In Deutschland werden Fleischalternativen auf Basis neuer Techniken dagegen als Chance begriffen, wirtschaftlich als auch für die Klimaziele. Keine Woche nach der Entscheidung in Italien, gab der Bundestag 38 Millionen Euro für ein umfassendes Programm zur Förderung der fleischloseren Ernährung frei. Ziel ist die Umstellung der Landwirtschaft, weg vom Tierfutter hin zu eiweißreichen Pflanzen für Lebensmittel. Neben eigenen Sojasorten auch Eiweißpflanzen wie Ackerbohne, Erbse und Luzerne. Finanziell unterstützt werden zudem Firmen mit neuen Herstellungsverfahren für vegetarische Produkte.
Derzeit wird auf 70 Prozent der Äcker Tierfutter angebaut. Zusätzlich muss die EU aus Süd- und Nordamerika jährlich 35 Millionen Tonnen Soja für die Tierfutterproduktion importieren, der Großteil davon genverändert. Eine von er EU kritisch betrachtete wirtschaftliche Abhängigkeit, die den heutigen Hochleistung-Nutztierarten geschuldet ist. Die optimierte Milchkuh mit fast zehn Tonnen Milch pro Jahr oder das Schlachthuhn, das schon sechs Wochen nach dem Schlüpfen zwei Kilo wiegt, brauchen die hohe Proteindichte des Sojas aus Übersee.
Doch warum Pflanzenproteine einem Schlachttier geben, wenn sie sich auch direkt zu Lebensmitteln verarbeiten ließen, die nicht nur schmecken, sondern auch gesund und sogar Fleisch ähnlich sind? Die "Eiweißpflanzenstrategie" existiert in Deutschland und der EU seit rund zehn Jahren, allerdings fielen die jährlichen Fördergelder hierzulande selten in zweistelligen Millionensummen aus und die Gelder wurden hauptsächlich für die Eiweißpflanzen verwendet, die die Nutztiere fressen. Das soll sich ändern. Insofern ließen sich die 38 Millionen Euro als Bekenntnis zum Wandel interpretieren.
Wer mehr über Fleischalternativen der Zukunft und Godo Röben wissen will: Der Wissenschaftsjournalist Christian Weymayr beschreibt beide kenntnisreich auf 128 sehr unterhaltsamen Buchseiten. Vergesst Fleisch, Rowohlt Verlag.
Godo Röben jedenfalls ist zufrieden. Einst transformierte er mit mehr Mut als Wissen den einstigen Wurstbetrieb Rügenwalder Mühle zu Deutschlands führendem Veggie-Anbieter. Heute dreht er größere Räder. Er entscheidet als einer der Stakeholder, wie es neudeutsch heißt, mit darüber, wie das Millionenbudget möglichst effektiv eingesetzt wird. Politisch sitzen dem Beratungsgremium Renate Künast und Dr. Zoe Mayer von den Grünen vor. Welche Verbände aus der Landwirtschafts- und Lebensmittelbranche noch dazukommen, steht noch nicht fest.
"Ein paar andere Länder investieren zwar mehr, doch zumindest kann Deutschland mit der Spitzengruppe weiter Schritt halten. Und es ist ein wichtiges Zeichen an alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette - vom Landwirt bis zum Lebensmitteinzelhandel", sagt Röben.
Sein persönlicher Traum: In Deutschland ein führendes Kompetenzzentrum für Alternative Proteine aufzubauen, wie zum Beispiel das "Food & Biobased Research Center" im niederländischen Wageningen. Die Niederlande investieren mehr als 60 Millionen Euro in ein komplettes Ökosystem für pflanzliche Proteine. Dänemark nimmt gar rund 240 Millionen Euro für seine "Proteinwende" in die Hand, davon zehn Millionen Euro direkt für die Erforschung klimafreundlicher Lebensmittel.
....Das Thema vegetarische Ernährung habe ihn damals bei Rügenwalder gepackt. Mit wenig Wissen und kaum Erfahrung habe man eine neue Marke aufgebaut, einen Markt nicht nur erschlossen, sondern ihn weitgehend selbst erschaffen. Wie kein Zweiter hatte Röben dabei Hand und Nase in der kompletten Veggie-Wertschöpfungskette. Von der Produktidee, der Lebensmitteltechnik, dem Beschaffen der Zutaten, den Rezepten, der Herstellung, dem Vertrieb bis zum Marketing und der Lobbyarbeit in der Politik. Heute treibt er als Netzwerker, Investor und Berater in diversen Beiräten die deutsche Veggie-Szene voran. Er berät unteranderem den Rewe-Konzern, Lebensmittelhersteller wie InFamily Foods bei ihren vegetarischen Ausgründungen, investiert in Startups und ist per Du mit vielen aus der Politik.
Ein Veggie-Missionar ist Röben jedoch nicht. "Wenn ich irgendwo mit unterwegs Freunden bin und es gibt Currywurst, lehne ich die nicht ab. Aber wenn es leckere vegetarische Alternativen gibt, greife ich zu denen", sagt er. Der Mensch jage, halte und esse Tiere seit zehntausenden Jahren, das sei tief in uns. Fleisch werde immer gegessen werden, so Röben. Die Frage sei nur wieviel. So, wie es derzeit ist, gehe es jedenfalls nicht weiter. Die Fleischindustrie zählt vom Futtermittelanbau, über die Tierhaltung bis zum Transport der Tiere und Lagerung der Gülle zu den größten Klima- und Umweltsündern. Vor allem Wiederkäuer wie Rinder produzieren eine erhebliche Menge an CO2, Methan und Lachgas bei der Verdauung. Methan und Lachgas sind zwar flüchtiger als CO2, allerdings um ein Vielfaches Klimaschädlicher. Insgesamt steuert die Nutztierhaltung etwa 15 Prozent der vom Menschen produzierten Treibhausgase bei.
Global betrachtet ließe sich die Zeit nicht zurückdrehen. Man könne nicht mehr in die sechziger Jahre, wo der Bauer seine Handvoll Schweine zum Schlachter brachte und so den Fleischbedarf der Kundschaft deckte. "Damals waren wir drei Milliarden auf dem Planeten, heute sind wir acht und es ist nicht mehr lange hin, dann sind wir zehn Milliarden. Die Bullerbü-Zeit ist vorbei, diese Anzahl bekommt man nur mit alternativen Proteinen und neuen Verfahren satt", steht für Röben fest. Sein Ziel sei ein Anteil an alternativen Proteinen von bis zu 40 Prozent bis 2040 in Deutschland.
In 40 Jahren wird Fleisch aus Pflanzen völlig normal sein
"Ich glaube, solche großen Wenden vollziehen sich immer nach dem gleichen Muster über Zeitraum von 40 bis 60 Jahren, ob nun die Mobilitätswende, die Energiewende oder die Wende bei der Umstellung von Fleisch auf Veggie", sagt Röben. Die Energiewende habe in den 80er Jahren mit der Anti-Atomkraft-Bewegung begonnen. "Die ersten sind immer die Freaks, bei denen sich alle anderen denken, was die denn eigentlich wollen." Zuerst sei diese Gruppe gegen Atomkraft gewesen und hätte dann fossile Energieträger in den Blick genommen. Gute 20 Jahre später sei die einst als absonderlich beargwöhnte Haltung schließlich massentauglich und damit politikfähig geworden. Etwa 40 Jahre nach den ersten "Atomkraft-Nein-Danke"-Stickern beziehe Deutschland seine Energie zu 40 Prozent aus erneuerbaren Quellen und wolle in naher Zukunft bei 80 Prozent sein.
So ähnlich werde das bei der Ernährungsumstellung auch laufen. Entscheidend für den Erfolg seien dabei nicht die Vegetarier oder Veganer, sondern die Flexitarier, den Alternativen gegenüber aufgeschlossenen Fleischessern. Sie stellen Umfragen zufolge 45 Prozent der potenziellen Veggie-Kundschaft in Deutschland. Flexitarier mögen Fleisch und Wurst, würden aber aus Gründen des Tierwohls und des Klimagedankens umstiegen – wenn die Produktalternativen mit dem Original mithalten können.
"Für die ersten vegetarischen fleischähnlichen Produkte vor gut 20 Jahren musste man schon zutiefst überzeugter Hardcore-Vegetarianer sein. Das sah weder gut aus, noch fühlte es sich gut an und geschmeckt hat es auch nicht", erinnert sich Röben. Heute sei man zwar schon einen Schritt weiter, Fleischwurst, Fleischsalat, Burgerpattys und Salami bekäme man schon ganz gut hin. Doch die meisten Flexitarier überzeugt das immer noch nicht. "Die probieren zwar, sagen dann jedoch ne, schmeckt mir nicht und kommen erst in ein, zwei Jahren wieder. Das ist auch der Grund, warum die Branche nicht schnell genug auf Touren kommt. Wir müssen hier schneller besser werden", meint Röben.
"Keine Zusatzstoffe oder guter Geschmack? Beides geht nicht"
Das gelte auch für die Inhaltstoffe. "Bei den ersten Veggieprodukten sagte der Entwickler zu mir: Was willst du haben? Keine Zusatzstoffe oder guten Geschmack? Beides geht nicht", erinnert sich der Ex-Rügenwalder-Manager. "Mir war klar, dass man die Menschen nur über den Geschmack für diese Alternativen kriegt." Bei den ersten Fleischersatzprodukten vor zehn Jahren habe man die Pflanzenproteine genommen, Gewürze aus der bekannten Wurstrezepten und etliche Zusatzstoffe dazu. Da sei man nicht zimperlich gewesen. Die inneren Werte spielten in dieser Phase keine Rolle. Woher die Pflanzen kamen auch nicht. Das Soja wurde aus Südamerika importiert, weil es günstig war. Viele Produkte hätten den Nährwert von Esspapier gehabt.
Von dort an dauerte es neun Jahre Forschung und Entwicklung bis die Fleischalternativen so weit waren, gesund zu sein und zu schmecken. Bei der Salami und dem Schinken der neuen Marke "Billie Green" von Plantly Butchers kommen die Proteine nicht aus Übersee, sondern von deutschem Weizen. Der Weizen werde fermentiert, wodurch die Proteinausbeute um ein Dritte höher ausfiele als bei den älteren Verfahren. Zusatzstoffe würden nicht länger benötigt, so Röben.Damit habe die nächste Stufe der Entwicklung begonnen: weg vom Metzgerberuf hin zum Lebensmitteltechniker.
Völlig neue Verfahren für das pflanzliche Fleisch von morgen
Bislang werden die meisten vegetarischen Fleischalternativen mit Maschinen der traditionellen Wurstverarbeitung hergestellt. Etwa bei der Fleischwurst. Statt Fleisch werden pflanzliche Proteine, Gewürze, Wasser und Öl in dem sogenannten Cutter zu einer Masse vermengt und in Formen gepresst. Notwendig wäre das nicht, da viele vegetarischen Zutaten in Pulverform angeliefert werden. Die Hersteller sparen jedoch die Anschaffung neuer Maschinen. Doch genau das ändere sich gerade. Mit der alten Technik ließ sich zwar vegetarische Fleischwurst, Hack oder eine Veggie-Frikadelle herstellen, für komplexere Produkte ist sie ungeeignet.
Auf der Suche nach vegetarischen Alternativen, die sich tatsächlich so wie ein Steak oder ein Lachsfilet anfühlen, hat traditionelles Handwerk und seine Maschinerie weitgehend ausgedient. Vegetarischen Rohstoffe lassen sich im 3D-Drucker verarbeiten, aus tierischen Stammzellen züchten oder mittels Präzisions-Fermentation bauen. Dieb Zukunft des Essens klingt nach Lebensmittel-IT.
...Die Herstellung von pflanzlichen Fleischalternativen hat nichts mit dem Bild glücklicher Tiere, grüner Wiesen und urigen Viehwirten zu tun. "Das wird zwei Generationen dauern sich damit anzufreunden, dass diese Herstellung unappetitlich und technisch ist", ist Röben sich sicher. "Aber, was wir heute in der Fleischproduktion machen, ist deutlich unappetitlicher. Wir sind aber so sozialisiert worden und finden es daher normal. Jede Änderung empfindet man dann erst einmal komisch".
Doch bis Fleisch aus Fermentern und vergleichbare Alternativen in Massen die Supermarktregale füllen, dauert es noch Jahre der Forschung und Entwicklung. Viele Alternativen wie das Fleisch aus dem Fermenter oder aus der Präzisionsfermentation fallen unter die EU-Verordnung "Neuartige Lebensmittel" und werden nur nach intensiven Prüfungen überhaupt freigegeben. Die italienische Regierung hat folglich etwas verboten, das es derzeit ohnehin nicht gibt. Bis dahin kann man ja überall das Fleisch aus Pflanzen kaufen. Auch in Italien.
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