Klaus meint: Das gibt ganz viel Hoffnung. Hier könnte sich etwas ganz Wichtiges ereignen!!!
Frankfurter Rundschau hier 30.12.2023, Von: Moritz Maier
Ein ungewöhnlicher Prozess gegen eine Aktivistin der Letzten Generation dreht sich um die Frage, ob Straßenblockaden gerechtfertigt sind. Der Fall könnte weitreichende Folgen haben.Ein paar Tage vor Neujahr bietet sich in einem Berliner Landgericht ein Bild voller Gegensätze. Eine große Frage steht im Raum: Legitimiert das Versagen der Bundesregierung beim Klimaschutz Aktionen der Letzten Generation? Die Tragweite der Frage passt jedoch nicht zur Szenerie. Denn die Verhandlung findet nicht etwa vor dem Bundesverfassungsgericht statt, sondern in einem kleinen Gerichtssaal im Arbeiterviertel Moabit. Angeklagt ist auch nicht die Regierung, sondern eine einfache Aktivistin. Wieso also diese Grundsatzfrage? Weil die zuständige Richterin sie für relevant hält – und damit ein Urteil mit Symbolkraft fällen könnte.
Darf die Letzte Generation Straßen blockieren? Gerichtsverfahren mit Symbolkraft
Doch mit Symbolik hat der Rahmen des Prozesses kaum etwas zu tun. Er findet in einem Nebensaal des Landgerichts statt, insgesamt sind nur 17 Menschen vor Ort. Richterin, Anwälte und Justizbeamte bereits dazugezählt. Neben der Angeklagten sind ein paar Unterstützerinnen und Unterstützer der Letzten Generation vor Ort. Sonst niemand.
Auf den ersten Blick ist das Verfahren gegen die Angeklagte mit Nachnamen Kahler eines von vielen gegen Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation. Kahler hat laut eigenen Angaben ihren Job als Psychologin gekündigt, um sich voll und ganz dem Aktivismus zu widmen. So auch im Juni 2022, als die 31-Jährige an zwei Straßenblockaden in Berlin teilnahm, für die sie sich nun wegen Nötigung vor Gericht verantworten muss. Am Amtsgericht wurde der Fall bereits in erster Instanz verhandelt, nach erfolgreicher Berufung geht es jetzt am Landgericht weiter.
Erstmals werden Sachverständige zur Klimakatastrophe und Protesten angehört
Besonders wurde der Fall, als die vorsitzende Richterin den von der Verteidigung gestellten Anträgen zustimmt. Es werden Experten als Sachverständige geladen, die nichts mit den Blockaden zu tun haben. So treten die Physikerin und Klimaexpertin Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats der Bundesregierung für Klimafragen, sowie der Soziologe Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung vors Gericht.
Über den Tatbestand – die Straßenblockaden – verliert am gesamten Verhandlungstag niemand ein Wort. Die Angeklagte Kahler äußert sich nicht dazu, wird gar nicht erst befragt.
Die Bundesregierung kommt den gesetzlich vorgegebenen Klimazielen nicht nach
Stattdessen erklärt Physikerin Knopf, wie die letzte sowie die aktuelle Bundesregierung die Klimaschutzziele in den Sektoren Gebäude und Verkehr seit Jahren verfehlt und vorgeschriebene Maßnahmen zum Ausgleich nicht eingehalten hat. Knopfs Expertenrat besteht aus fünf Fachleuten und überwacht die Einhaltung der deutschen Klimaziele.
Seit 2019 gibt es ein Klimaschutzgesetz, das mehrfach nachgebessert wurde und Deutschland zur Klimaneutralität bis 2045 verpflichtet. Dabei werden jährliche Sektorenziele beschrieben. Deutschlands Verpflichtung zum Schutz künftiger Generationen ist im Grundgesetz verankert.
Hoffnung der Letzten Generation auf Freispruch wegen Klimanotstand
Protestforscher Teune erläutert dem Gericht ausführlich, ab wann Proteste und ziviler Ungehorsam in der Theorie legitim sind. Er sagt, es geht beim Protest um die Frage, „ob er geeignet ist, die Bundesregierung zum politischen Handeln zu bewegen und dadurch Leid von der Bevölkerung abzuwenden.“
Das Kalkül der Verteidigung hinter den ungewöhnlichen Anhörungen ist klar: Das Gericht soll überzeugt werden, dass die Bundesregierung die im Grundgesetz verankerte Klimapolitik verfehlt und deshalb Proteste wie Straßenblockaden als Weckruf legitim sind. Bereits in anderen Verfahren hat die Letzte Generation auf diese Taktik gesetzt, ist jedoch immer gescheitert. Die Berliner Richterin ist die erste, die der Anhörung der Experten zustimmt.
Staatsanwaltschaft ist mit Gerichtsverfahren unzufrieden
Sichtlich genervt davon zeigt sich die Klägerseite im Gerichtssaal. Der zuständige Staatsanwalt war von Prozessbeginn an gegen die Einberufung der nicht mit der Tat im Zusammenhang stehenden Experten. „Ich verstehe nicht, wieso wir überhaupt hier heute die Sachverständige anhören müssen“, sagt der Kläger während der Befragung von Klimawandel-Expertin Knopf.
Die Letzte Generation erhofft sich von dem Verfahren einen Wandel im Umgang mit den Protesten, sagt Theo Schnarr, einer der führenden Köpfe der Bewegung, der beim Prozess vor Ort ist. Künftig „sollen die legitimen Proteste auch gerichtlich als solche anerkannt werden“, sagt Schnarr. Das Urteil steht noch aus, am 16. Januar wird der bekannte Klimaforscher Stefan Rahmstorf angehört und eine Entscheidung gefällt. Der Ausgang ist offen, in der Vergangenheit wurden Fälle von Straßenblockaden sehr unterschiedlich bewertet.
Vom Verfahrensausgang könnte eine weitreichende Signalwirkung ausgehen. Die Letzte Generation dürfte sich bei einem Freispruch in ihrem Vorgehen bekräftigt und bestätigt sehen.
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