Sonntag, 29. Mai 2022

Agrosprit - Kein Essen mehr in den Tank!

 Foodwatch  hier

Agrosprit ist Irrsinn: Jeden Tag landet Getreide für umgerechnet 15 Millionen Brote in Europas Autotanks. Gleichzeitig drohen in Ländern im Nahen Osten und in Afrika katastrophale Hungersnöte. In diesen Wochen wird die Bundesregierung entscheiden, ob Essen im Tank bald der Vergangenheit angehört. Denn „Bio“-Diesel und Co. werden noch immer staatlich gefördert. Damit muss endlich Schluss sein!


Stern hier  24.02.2022

Neue Studie Deutsche Umwelthilfe
Agrosprit ist schädlicher fürs Klima als fossile Kraftstoffe

Agrosprit soll eigentlich zum Klimaschutz beitragen. Eine von der Deutschen Umwelthilfe in Auftrag gegebene Studie ist allerdings zu dem Ergebnis gekommen: Der pflanzenbasierte Kraftstoff ist klimaschädlicher als fossile Kraftstoffe.

"Pflanzenbasierte Agrokraftstoffe sind noch klimaschädlicher als bisher bekannt". So heißt es in einer aktuellen Studie des ifeu-Instituts. Grund dafür ist demnach der "enorme Flächenbedarf".

Derzeit seien über 1,2 Millionen Hektar Agrarflächen in der Welt für den Anbau von Raps, Getreide und Co. zur Produktion von Agrosprit für deutsche Diesel- und Benzinautos belegt. "Dieser immense Flächenverbrauch macht den angeblichen Klimavorteil von Agrokraftstoff gegenüber fossilem Sprit mehr als zunichte", so die Studie. Schließlich könnte sich dort auch natürliche Vegetation entwickeln, welche CO2 binde.

  Deutsche Umwelthilfe fordert sofortiges Ende von Agrosprit

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert deshalb, die Förderung von Agrosprit in Deutschland und der EU sofort zu beenden. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH, sagt: "Der Anbau von Pflanzen für die Produktion von sogenannten ‚Bio-Kraftstoffen‘ schadet dem Klima und der biologischen Vielfalt. Viel Platz für Raps- und Getreideanbau für den Tank – allein in Deutschland sind dafür fast 500.000 Hektar Fläche belegt – bedeutet letztlich weniger Platz für natürliche Ökosysteme, die CO2 binden und vielfältige Lebensräume bieten." Ackerland müsse für die naturverträgliche Nahrungsmittelproduktion priorisiert und geeignete Flächen, wie etwa entwässerte Moore, konsequent für Renaturierung zur Verfügung gestellt werden.

Eine EU-Vorschrift sieht vor, dass Diesel und Benzin einen bestimmten Prozentsatz an CO2-ärmeren Kraftstoffen enthalten müssen. Das ist momentan vor allem der Agrosprit, auch als Biokraftstoff bezeichnet. Deutschland hat deshalb die Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) eingeführt, wonach Mineralölkonzerne zurzeit eine Quote von sechs Prozent erfüllen müssen. Das können sie durch Kraftstoff, dem sie zum Beispiel pflanzliche Anteile beimischen. Diese ist zuletzt zu Beginn des Jahres 2022 angestiegen und soll bis 2030 auf 25 Prozent steigen.

 Der Studie zufolge könnten jedoch durch eine alternative Nutzung der jetzigen Anbauflächen, wie etwa durch Wald, über einen Zeitraum von 30 Jahren pro Jahr durchschnittlich 16,4 Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre gebunden werden. Das seien 7,2 Millionen Tonnen CO2 mehr, als die Nutzung von Agrokraftstoffen in Deutschland, die laut amtlichen Angaben im Jahr 2020 eingespart wurden.

Ein sofortiger Ausstieg aus Agrosprit in Deutschland als auch weltweit würde zu einer Flächenentlastung führen. Schließlich ließe sich erneuerbare Antriebsenergie für Fahrzeuge auch durch andere erneuerbare Energieträger herstellen. Für die gleiche Kilometerleistung benötige die Erzeugung von Solarstrom für Elektrofahrzeuge 97 Prozent weniger Fläche als die Produktion von Agrosprit für Verbrennerfahrzeuge, schreiben die Studienautoren.

  Die gesamte Agrokraftstoffpolitik sei "eine fundamentale Fehlkalkulation"

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, bezeichnet die gesamte Agrokraftstoffpolitik der vergangenen 15 Jahre als "eine fundamentale Fehlkalkulation". "Weder Agrosprit noch andere sogenannte 'alternative' Kraftstoffe machen Verbrenner-Autos klimafreundlich." Er fordert schließlich eine verbindliche Festlegung des EU-weiten Verbrenner-Aus‘ bis spätestens 2030.

Horst Fehrenbach, Fachbereichsleiter des ifeu-Instituts in Heidelberg, ergänzt: "In Deutschland und weltweit sind riesige Flächen für den Anbau von Agrokraftstoffen belegt. Würde man diese Flächen der Natur überlassen anstatt intensive Landwirtschaft zu betreiben, wäre dem Klimaschutz deutlich mehr gedient als durch den Ersatz von fossilem Sprit."

Der DUH zufolge macht Agrosprit aus Raps, Getreide und Palmöl derzeit den mit Abstand größten Anteil an nichtfossiler Energie im Verkehr aus. Da die Anbauflächen für Agrokraftstoffe mit dem Nahrungsmittelanbau konkurrieren, gelten seit Kurzem Beschränkungen für Agrosprit. Darüber hinaus werde der Einsatz von Palmöldiesel schrittweise beendet, in Deutschland bereits 2023. Diese Maßnahmen würden jedoch nicht ausreichen. Denn Agrosprit sei verbunden mit hohen CO2-Opportunitätskosten, also die CO2-Menge, die durch die Regeneration von natürlicher Vegetation gebunden werden könnte, wenn keine Pflanzen für Agrokraftstoff angebaut würden.

Quellen: Deutsche Umwelthilfe, Printausgabe "TAZ"


Klimareporter -  hier        Streit um Landnutzung  03. Mai 2022 von von Joachim Wille

Mehr für den Teller statt für den Tank

Die Ampel-Regierung will die Nutzung von Agrosprit zurückdrängen. Hintergrund ist die Getreidekrise wegen des Ukraine-Krieges. Die Branche wehrt sich, auch aus der Union kommt Kritik.

Die "Tank oder Teller"-Debatte wird schärfer. Der Ukraine-Krieg und die deswegen zurückgehenden Getreidelieferungen auf den Weltmarkt, unter denen besonders Entwicklungsländer leiden, sind der Grund dafür.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) plant, den Einsatz von Agrosprit aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen hierzulande zu reduzieren. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) plädiert dafür, den Getreideanbau für Kraftstoffe angesichts der sich zuspitzenden Ernährungskrise zurückzufahren. Die Branche wehrt sich.

Lemke sagte gegenüber der Augsburger Allgemeinen: "Agrarflächen sind weltweit begrenzt, wir brauchen sie dringend für die Ernährung, das führt uns der Krieg in der Ukraine dramatisch vor Augen." Gerade im globalen Süden würden Menschen bereits unter der fehlenden Verfügbarkeit von Getreide leiden.
Es liege, so Lemke, "in unserer Verantwortung als großer Industriestaat, dass Agrarflächen für die Produktion von Nahrungsmitteln und nicht für den Tank genutzt werden".

Die Ministerin kündigte an, die Verwendung von Agrarerzeugnissen als Kraftstoffzusätze einzuschränken. Sie arbeite mit dem Landwirtschaftsministerium daran.

Auch Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) ist als Kritiker der Biosprit-Produktion bekannt. "Es ist nicht nachhaltig, Weizen und Mais in den Tank zu schütten", sagte er Ende März.

Schulze, die in der letzten Merkel-Groko Umweltministerin war, argumentiert ähnlich. "Allein in Deutschland dienen fünf Prozent der Ackerfläche der Biosprit-Produktion. Wenn es gelingt, diese Flächen Schritt für Schritt für die Nahrungsmittelproduktion zu gewinnen, wäre das ein Gewinn für die Ernährungssicherheit", sagte sie dem Handelsblatt.

"Agrokraftstoffe nicht länger fördern"

Derzeit werden Agrokraftstoffe dem Sprit aus Erdöl zugesetzt, um die CO2-Bilanz zu verbessern. Bei Benzin sind es bis zu zehn Prozent Bioethanol ("E10" an der Tanksäule), der zumeist aus Getreide wie Weizen oder Roggen oder aus Zuckerrüben gewonnen wird. Bei Dieselkraftstoff geht es um sieben Prozent Pflanzenöl-Erzeugnisse, die aus Raps- oder Palmöl stammen.

Da diese Produkte auch zu Lebensmitteln verarbeitet werden können, läuft seit Längerem eine Debatte, ob dies ethisch vertretbar ist. Außerdem ist die Klima-Entlastungswirkung umstritten, besonders bei Palmöl. Um die Plantagen anzulegen, wird in den Anbauländern oftmals Regenwald vernichtet.

Lemke erinnerte daran, dass hierzulande ab 2023 die Verwendung von Palmöl als Kraftstoffzusatz im Diesel nicht mehr als Biosprit anerkannt werde.
Sie wolle nun "den nächsten Schritt gehen und auch den Einsatz von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen weiter reduzieren".

Laut dem Umweltministerium werden im Schnitt rund neun Prozent der Weltgetreideernte zu Agrosprit verarbeitet. Bei Mais und Zuckerrüben liegt der Anteil danach bei 14 Prozent.

Unterstützung finden Lemke und Schulze bei Umweltverbänden. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, forderte, Agrokraftstoffe "mit sofortiger Wirkung vollständig und dauerhaft aus der Förderung zu nehmen".

Eine Studie im Auftrag der DUH hatte jüngst ergeben, dass aktuell mehr als 1,2 Millionen Hektar Agrarflächen weltweit für den Anbau von Raps, Getreide und Co zur Produktion von Agrosprit für deutsche Diesel- und Benzinautos belegt sind.

"Dieser immense Flächenverbrauch macht den angeblichen Klimavorteil von Agrokraftstoff gegenüber fossilem Sprit mehr als zunichte", heißt es in der Studie des Heidelberger Ifeu-Instituts. Hauptargument: Auf den Flächen könne sich sonst natürliche Vegetation entwickeln, die CO2 aus der Atmosphäre binde.

"Wir nutzen kein Brotgetreide"

Aus der Union kommt Kritik am Kurs der Ampel-Minister:innen. CSU-Energieexperte Andreas Lenz warnte vor einem Verzicht auf Agrosprit. "Biokraftstoffe verringern den Bedarf an fossilen Kraftstoffen deutlich und leisten damit einen Beitrag zur Versorgungssicherheit und weniger Abhängigkeiten", sagte er.

Auch der Verband der Biokraftstoffindustrie wehrt sich gegen die Pläne. Geschäftsführer Elmar Baumann sagte: "Ohne Biokraftstoffe werden die gesetzlichen Vorgaben zum Klimaschutz auf Jahre krachend verfehlt." Zudem hätten die Hersteller die Produktion wegen der hohen Rohstoffpreise bereits eingeschränkt.

Der Biosprit- und Biogas-Hersteller Verbio aus Zörbig (Sachsen-Anhalt) betonte, er nutze für die Kraftstoff-Produktion schon allein aus Kostengründen "vor allem minderwertige Getreide-Qualitäten und kein Brotgetreide". Zum Ausbau der Produktion setze man auf Reststoffe wie Schlempe und Getreidestroh, sagte Verbio-Chef Claus Sauter.

In dem Sektor ist Verbio nach eigenen Angaben weltgrößter Produzent. In den Anlagen entstünden pro Jahr rund 100 Millionen Kubikmeter Biomethan aus Reststoffen in Erdgasqualität und somit über 90 Prozent CO2-Einsparung. Damit werde bereits heute ein Teil des russischen Erdgases ersetzt.

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