Dienstag, 10. Mai 2022

Wie Deutschland seine grüne Führungsrolle verspielt hat

WiWo  hier  von Konrad Fischer 09. Mai 2022

TRACKING DER ENERGIEWENDE #14

Geschichte eines Niedergangs: Vor zehn Jahren stand jedes dritte Solarpanel und jedes achte Windrad auf dem Planeten in Deutschland. Dann begann der Boom – und Deutschland schaute nur noch zu.

Es ist eine besonders bittere Ironie der Geschichte: Ausgerechnet in dem Jahr, als Deutschland sich entschloss, aus der Atomenergie auszusteigen, begann auch der Abstieg als ökologische Vorzeigenation. 2011 war das, im März brannten die Meiler an Japans Ostküste und wenig später verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre bis dahin spektakulärste politische Wende: Raus aus der Kernenergie. Ausgerechnet Merkel, die noch wenige Jahre zuvor eine Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Meiler auf den Weg gebracht hatte, schwenkte nun, so schien es, ganz auf die grüne Linie ein. Weg mit der Atomkraft, alle Energie auf Nachhaltigkeit.

Den Ausstieg aus der Atomenergie zwar zog Merkel dann tatsächlich durch, den zweiten Teil des Versprechens aber löste sie nie ein. Das zeigen die Zahlen der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) eindrücklich.


Noch 2012 nahm das von seiner Landmasse eher kleine Deutschland bei Erneuerbaren Energien tatsächlich eine globale Vorreiterrolle ein. 104 Gigawatt Leistung lieferten die weltweit installierten Solaranlagen damals insgesamt – 34,1 kamen aus Deutschland. Als nächstgrößerer Produzent, weit abgeschlagen, folgten dahinter Italien und die USA mit 16,8 und 8,6 Gigawatt. Auch bei der Windkraft gehörte Deutschland zur globalen Spitze. 31 der insgesamt 267 Gigawatt installierter Leistung erzeugten die Windräder zwischen Emden und Cottbus. Die USA (59,1) und China (61,6) schafften jeweils rund das doppelte der deutschen Leistung, alle anderen Länder waren deutlich abgeschlagen.

In den Jahren danach dann entwickelte sich ein globaler Boom der Erneuerbaren, das deutsche Wort „Energiewende“ hielt Einzug in die englische Sprache, so wie „Angst“ oder „Kindergarten“. Staaten wie Großbritannien oder Dänemark entdeckten vor allem die Offshore-Windkraft, in den USA setzte ein Boom der Solarenergie ein.
Und in Deutschland? Ging es immer häufiger um schützenswerte Vogelarten, ihr Paarungs- und Brutverhalten – und kaum noch um rekordverdächtige Windfarmen oder Solarkraftwerke.

Anmerkung: Dieser Satz ist auf polemische Art und Weise viel zu kurz gefasst und vermittelt daher einen falschen Eindruck, den ich so auf keinen Fall stehen lasse.

Beim Ausbremsen der Erneuerbaren spielten ganz andere Dinge eine Rolle, die politisch festgezurrt wurden. Am 22.04.2016 erschien der Artikel: "Politiker aller Parteien fordern: "Ausbremsen Erneuerbarer muss ein Ende haben" in dem klar gesagt wurde: "Die EEG-Novelle 2016 nach jetzigem Stand würde dazu führen, dass der Ausbau des Ökostroms weiter zurückgeht und gleichzeitig die Kosten für den Stromkunden steigen"  hier

Einen weiteren  Eindruck vermittelt auch ein Interview im Deutschlandfunk von 2012.hier

Die erneuerbare Energien wurden als  "Preistreiber" bezeichnet, die den Strompreis für die Verbraucher nach oben trieben. Daher wurden die EEG-Umlagen eingeführt, als Bremse sozusagen. Aus dem Interview: "Die Umlage für die erneuerbaren Energien, die wird voraussichtlich um rund 50 Prozent angehoben. Das könnte Mehrkosten bedeuten für einen durchschnittlichen Haushalt von 50 bis 100 Euro. Da sind sich die Experten noch nicht so ganz einig. Und die Koalition, die sagt, das liegt am ungebremsten Ausbau der erneuerbaren Energien"

Selbst noch 2018 wurden weitere Hemmnisse eingeführt.hier die Energiegenossenschaften weiter ausbremsten.

Die Folgen zeigen sich am globalen Leistungsvergleich im Jahr 2021. Weltweit waren zuletzt Solaranlagen mit einer Kapazität von 849 Gigawatt in Betrieb, 58,5 davon in Deutschland. Das Land, das einst fast ein Drittel der globalen Leistung erbrachte, ist heute nur noch für rund 6,8 Prozent verantwortlich. Stieg die Kapazität an erneuerbaren Energien in den ersten paar Jahren nach dem Beschluss des Atomausstiegs zumindest noch gleichmäßig an, kam der Ausbau ab 2017 beinahe zum Erliegen.

Entsprechend weit sind inzwischen einige Länder enteilt. Die Vereinigten Staaten, die 2012 kaum ein Drittel der deutschen Leistung beisteuerten, kamen zuletzt auf die fast doppelt so große Menge (95 Gigawatt). Noch extremer ist die Entwicklung in China. 2012 waren hier nur 6 Gigawatt installiert, heute sind es mehr als 300. Aus deutscher Perspektive noch bedenklicher ist, dass auch von der Größe mit Deutschland vergleichbare Staaten inzwischen vorbeigezogen sind. Japan produziert bereits mehr als 74 Gigawatt Solarenergie.

Auch bei der Windkraft hat sich die Dynamik in andere Teile der Welt verschoben. Zwar liegt Deutschland bei der installierten Leistung nach wie vor auf Platz 3, vor allem China ist inzwischen aber weit voraus. Waren hier 2012 noch rund doppelt so viele Anlagen wie in Deutschland installiert, sind es heute fast fünfmal so viele. Beim jährlichen Zuwachs liegen heute Staaten vor Deutschland, die vor ein paar Jahren noch gar keine Rolle spielten. So zählte die IRENA in Deutschland im vergangenen Jahr einen Zuwachs von 1,7 Gigawatt, deutlich weniger als in Brasilien (3,5), Großbritannien (2,6) oder Schweden (2,2).

Auch wenn die globale Führungsrolle in Sachen Erneuerbare wohl dauerhaft woanders liegen mag: Schon um die eigenen Ziele noch zu erreichen, muss sich der deutsche Ausbau deutlich beschleunigen. Immerhin, das zeigen die Zahlen der vergangenen Wochen, verfestigt sich die zuletzt deutlich erhöhte Geschwindigkeit beim Anlagenzubau offenbar – zumindest bei der Solarkraft.

Zwar lag der Ausbau der Solarenergie in der vergangenen Woche deutlich unter dem der Vorwoche, die Ausschläge liegen aber im Rahmen des üblichen, so dass auch der niedrige Wert noch deutlich über der Schallmauer von 100 Megawatt bleibt.

Ganz anders ist die Lage bei der Windkraft. Hier wurden in der vergangenen Woche nur zwei neue Anlagen ans Netz angeschlossen, weit weniger als für die Ausbauziele notwendig. Einmal mehr stehen die neuen Windräder in Schleswig-Holstein, wo auch schon in der Woche davor einige neue Anlagen entstanden sind.

Damit verfestigt sich ein Trend, der bereits seit Jahresanfang zu beobachten ist: Dort, wo die meisten Anlagen existieren, werden auch die meisten neuen Windkraftanlagen gebaut, also vor allem im Norden und in Nordrhein-Westfalen. Einzige Ausnahme ist Sachsen-Anhalt: Hier stehen bereits eine ganze Menge von Windkraftanlagen, neue kommen derzeit jedoch kaum dazu.

Lesen Sie auch: Das Tracking der Energiewende zeigt Deutschlands große Aufholjagd beim Ausbau der erneuerbaren Energien – aktueller Stand, Probleme und Ziele auf einen Blick.

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