Montag, 23. Mai 2022

Streit um Tempolimit : Runter vom Gas!

FAZ hier  Oliver Georgi

Ein Tempolimit stünde endlich auch Deutschland gut an. Langsame Autos brauchen weniger Sprit. Das hilft kurzfristig, sich vom russischen Öl unabhängig zu machen – und langfristig dem Klima.

Europa muss unabhängig vom russischen Öl und Gas werden, und das so schnell wie möglich. Luxemburgs Energieminister Claude Turmes fordert deshalb neben zwei EU-weiten Homeoffice-Tagen auch ein koordiniertes Tempolimit. Denn langsamere Autos verbrauchen weniger Sprit. Zusammen mit autofreien Wochenenden in großen Städten, rechnet Turmes vor, könne man so 2,5 Millionen Fass Öl einsparen.

Der Vorschlag ist sinnvoll – angesichts des drohenden Ölembargos und der zu erwartenden Engpässe sollte jede Einsparungsmöglichkeit genutzt werden. Doch auch über den Krieg hinaus ist ein generelles Tempolimit hierzulande überfällig. Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem freie Bürger noch frei über die Autobahn rasen dürfen – wenn sie nicht gerade in den nächsten Stau fahren oder auf 80 runterbremsen müssen, weil eine Baustelle kommt. Trotzdem ist bislang noch jede Regierung vor einem Tempolimit zurückgeschreckt; selbst die Ampel, aus Rücksicht auf die FDP.

Weniger Menschen würden sterben

Langsamere Autos verbrennen aber auch in Friedenszeiten weniger Treibstoff – mit entsprechenden Folgen: Nach einer Studie des Umweltbundesamts könnte Tempo 130 die jährlichen CO2-Emissionen um 1,5 Millionen Tonnen senken, bei Tempo 120 wären es sogar zwei Millionen Tonnen. Hört doch auf, entgegnen die Gegner des Tempolimits: Das ist marginal; was man damit im Monat an Sprit spart, verfährt der Rest der Welt in zehn Minuten! Aber zum einen zählt angesichts der Dramatik der Klimakrise jede Tonne eingespartes CO2. Zum anderen kann es in einem Land, das sich gern seiner Vorreiterrolle auch beim Klimaschutz rühmt, kein Argument sein, dass der Rest der Welt sich auch nicht um den CO2-Ausstoß schere.

Und was ein anderes beliebtes Argument der Gegner betrifft, die Zahl der Unfälle: Mag sogar sein, dass ihre Zahl nicht eklatant sänke. Aber selbst wenn nur ein paar Menschen weniger stürben: Wären sie nicht Grund genug?

Die Mehrheit der Deutschen ist für ein Tempolimit

Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft fahren 77 Prozent der Autofahrer auf freien Strecken schon jetzt langsamer als Tempo 130. Auch das könnte vordergründig ein Argument für die Gegner sein – warum noch gesetzlich regeln, was ohnehin längst die Regel ist, und dabei ein Viertel der Autofahrer gängeln? Dabei stimmt auch der Umkehrschluss: Wieso nicht für alle verbindlich machen, was eine Mehrheit der Deutschen schon als sinnvoll erachtet? Nach einer jüngsten Umfrage plädiert die Mehrheit der Deutschen für ein Tempolimit; selbst in einer Erhebung unter ADAC-Mitgliedern waren kürzlich 50 Prozent dafür.

Ohnehin wird sich das Mobilitätsverhalten der Deutschen stark verändern. Viele aus der jüngeren Generation haben schon kein Auto mehr und fahren lieber Bahn. Und wenn unsere E-Autos erst von Computern gesteuert werden, die auf der Autobahn autonom beschleunigen, Abstand halten und affektlos und effizient Stau vermeiden, dann dürfte dies den Stellenwert des Autos weiter profanieren: weg vom emotionalisierten Distinktionsmerkmal hin zu einem Fortbewegungsmittel unter vielen. Man kann das schade finden, doch das Ende des deutschen Sonderwegs kommt so oder so. Vielleicht ist Putins Krieg aber ein Katalysator für die Erkenntnis, dass sich Freiheit nicht am Winkel des Gaspedals bemisst.

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