Mittwoch, 18. Mai 2022

STANDPUNKT: Tempolimit ist durch Krisen unausweichlich

 15.05.2022  |  VON ERNST HEBEKER  hier im Südkurier

Dass die Umweltminister der Länder sich kürzlich – einstimmig unter Vorbehalten von Bayern und NRW – für ein Tempolimit auf Autobahnen ausgesprochen haben, war alles andere als eine Überraschung. Was sollten Umweltminister wohl anderes fordern als eine Maßnahme, durch die unbestreitbar Energieverbrauch und Schadstoffausstoß verringert werden? Der Druck auf die zuständige Berliner Ampel in dieser Uralt-Debatte wird stärker. Von einem Tempolimit auf Autobahnen steht nach dem Willen der FDP nichts im Koalitionsvertrag. Wie lange werden FDP und Scholz-Regierung das noch durchhalten?

Der Glaubenskrieg um ein allgemeines Tempolimit auf Bundesfernstraßen geht vorerst weiter. Er wird von den Gegnern immer noch so geführt, als hätten sich die äußeren Bedingungen nicht fundamental verändert.

Erderwärmung und Energiekrise, nicht zuletzt auch das Argument der Verkehrs-Sicherheit bei gewaltig gestiegener Mobilität, haben ein Szenario geschaffen, das die Gründe gegen allgemeine Tempolimits immer fadenscheiniger werden lässt. Auch der Verfasser dieser Zeilen hat mit Blick auf die individuelle Pflicht zur Verantwortung lange gegen ein Tempolimit argumentiert – wenn auch nicht gerade mit dem eher peinlichen Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“. Nun ist es Zeit, dies zu revidieren.

Wer heute auf deutschen Autobahnen unterwegs ist, kann dies beim besten Willen nicht mehr als Erlebnis von Freiheit empfinden. Verglichen mit entspannten Reisen auf tempolimitierten Fernstraßen im Ausland arten Langstrecken in Deutschland allein schon durch die großen Unterschiede der gefahrenen Geschwindigkeiten in puren Stress aus. Die Befürworter der „freien Fahrt“, allen voran die FDP und der Verband der Automobil-Industrie (VdA), führen dagegen nur geringe Vorteile für die Umwelt und Rückschläge für den internationalen Wettbewerbsvorteil des deutschen Automobil-Exports ins Feld. Man muss kein radikaler Klimaschützer („Tempolimit für ICE-Züge“) oder Gegner individueller Mobilität sein, um beide Gründe zumindest für fragwürdig zu halten.

Für ein Minus bei Energie und Schadstoffen durch ein Tempolimit auf Autobahnen existieren sehr unterschiedliche Berechnungen. Zum Beispiel die, dass bei Maximaltempo 130 jährlich so viel CO2 eingespart werden könnte, wie der gesamte innerdeutsche Flugverkehr ausstößt. Selbst der ADAC, jahrzehntelang Hauptgegner eines Tempolimits, sieht die Frage inzwischen wesentlich differenzierter. Entscheidend ist: Auf ein Minus kommen die Modellrechnungen alle. Und darauf kommt es in diesen Zeiten an.

Im Übrigen wird man beim VdA wissen, dass sich das Thema „freie Fahrt“ angesichts des selbst vorangetriebenen Übergangs zur Elektro-Mobilität jedenfalls beim derzeitigen Stand der Batterie-Technik in Zukunft praktisch kaum stellen dürfte. Mit E-Autos schneller als, sagen wir 130, zu fahren, wird mit drastischen Einbußen bei der Reichweite und sehr hohen Stromkosten bezahlt. Noch ist es reine Zukunftsmusik, bis sich das Thema von allein erledigt. Bis dahin sollte getan werden, was die Vernunft unter den aktuellen Krisen-Bedingungen bei Klima und Energie gebietet.

Der Autor war stellvertretender Chefredakteur dieser Zeitung und arbeitete zuletzt als Sprecher des Bundestags. 

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