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Mit Messer und Gabel die Artenvielfalt schützen
Der sogenannte Biodiversitäts-Fußabdruck wird relativ komplex berechnet. Die Erhebung, die WWF gemeinsam mit corsus – corporate sustainability GmbH erstellt hat, basiert auf einer Wirkungsabschätzung: So wurde die Qualität der für die Erzeugung der Lebensmittel genutzten Flächen bewertet und mit der Qualität der ursprünglich auf der Fläche vorhandenen natürlichen Vegetation verglichen. Die Differenz in der Qualität – die Biodiversitätsdifferenz – wird nun als Fußabdruck bezeichnet und unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren bewertet. Grob gesagt geht es darum, wie stark unsere Ernährung dazu führt, dass in Deutschland und rund um den Globus Naturräume mit ihren Tieren und Pflanzen beeinträchtigt werden.
In Zahlen stellen sich die konkreten Auswirkungen des Konsums verschiedener Lebensmittel den Daten nach so dar: Mit Abstand den größten Anteil am Fußabdruck haben mit 77 Prozent tierische Erzeugnisse wie Fleisch, Wurst, Eier oder Käse. Nur 23 Prozent resultieren hingegen aus dem Verbrauch pflanzlicher Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Getreide oder Nüsse.
Bei den tierischen Erzeugnissen ist es vor allem der große Flächenbedarf für Futtermittel, der negativ zu Buche schlägt. »Alles, was wir auf dem Teller liegen haben oder einkaufen, wird ja irgendwo produziert und braucht dementsprechend Fläche«, sagte Tanja Dräger, Ernährungsexpertin beim WWF Deutschland, gegenüber der dpa. Einerseits sei man abhängig von den Leistungen einer intakten Natur, andererseits gefährde man sie aber auch selbst. Daraus, so fasst die Studie zusammen, resultiert: Je höher der Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln in der Ernährung, desto kleiner der Biodiversitäts-Fußabdruck, der weltweit verursacht wird.
Die biologische Vielfalt sehen Experten schon seit längerem im Abwärtstrend: So warnt der Weltbiodiversitätsrat (IPBES), dass etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten in wenigen Jahrzehnten aussterben könnten. Dem Expertengremium zufolge spielen unsere Ernährungssysteme hier eine wesentliche Rolle. Sie sind für 70 Prozent des Verlustes an biologischer Vielfalt auf dem Land und für 50 Prozent in Flüssen und Seen verantwortlich.
Mit Pilzproteinen gegen den Waldverlust
Würden in den nächsten 30 Jahren nur 20 Prozent des weltweiten Rindfleischkonsums durch einen Fleischersatz namens Mykoprotein ersetzt, könnten sowohl die Entwaldung als auch die damit verbundenen Kohlenstoffemissionen halbiert werden. Die Methanemissionen würden um 11 Prozent sinken. Dies geht aus einem mathematischen Modell von Florian Humpenöder und seinen Kollegen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hervor. Ihre Ergebnisse publizierten sie im Fachjournal »Nature«. Das Modell berücksichtigt den geschätzten Anstieg des Bevölkerungswachstums, des Einkommens und der Nachfrage nach Vieh zwischen 2020 und 2050. Der Austausch von 50 Prozent des pro Person konsumierten Rindfleischs durch Mykoprotein würde zu einer mehr als 80-prozentigen Verringerung der Entwaldung und Emissionen führen, und der Ersatz von 80 Prozent des Rindfleischs etwa 90 Prozent des Waldverlustes verhindern.
Neben dem Ist-Zustand zeigt die WWF-Erhebung aber auch auf, wie ein veränderte Ernährungsweise der Deutschen der biologischen Vielfalt zu Gute kommen könnte. Bei einer flexitarischen Ernährung, also einem begrenzten Konsum tierischer Produkte, könnte unser Biodiversitäts-Fußabdruck insgesamt weltweit um 18 Prozent verringert werden – bei konsequenter vegetarischer Ernährung um ganze 46 Prozent, bei einer veganen Ernährung um 49 Prozent. Von einem entsprechenden Umdenken beim Speiseplan würde die Natur in Brasilien besonders stark profitieren – vor allem, weil dann wesentlich weniger Fläche für den Anbau von Soja als Futtermittel benötigt würde.
»Hier sind Politik und Wirtschaft gefragt«
(Tanja Dräger, Ernährungsexpertin beim WWF)
Ob Bienen, Braunkehlchen oder Schmetterlinge in Deutschland, Orang-Utans in Malaysia oder Ameisenbären in Brasilien: Die Arten, die durch bewusstere Ernährung geschützt werden könnten, sind zahlreich, betont Dräger. »Insofern ist das Potenzial groß, einen Beitrag zum Schutz der Lebensräume zu leisten, wenn man den Konsum tierischer Produkte reduziert. Und gleichermaßen dient es auch der eigenen Gesundheit.« Die Studie solle ein Bewusstsein dafür schaffen, was der eigene Lebensmittelkonsum bewirken könne.
Die Ergebnisse eines Forscherteams um Ann-Katrin Betz von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg legen nahe, dass Menschen im Restaurant eher zu klimafreundlichem Essen greifen, wenn es in der Speisekarte auch als solches gekennzeichnet ist, ihnen der Nutzen für die Umwelt durch ihr Konsumverhalten also bewusst gemacht wird. In der im Fachmagazin »PLOS Climate« veröffentlichten Erhebung wählten 256 Menschen aus verschiedenen hypothetischen Menüs. Es zeigte sich, dass sie mehr klimafreundliche Gerichte wählten, wenn die Kohlenstoffkennzeichnung vorhanden war und wenn die Komponenten eher aus emissionsarmen Optionen bestanden.
Dennoch: Auf die Schulter der Verbraucher allein könne man die Last nicht legen, betont Dräger. »Hier sind Politik und Wirtschaft gefragt.« Konkret fordert der WWF auf Basis seiner Ergebnisse von der Bundesregierung eine Ernährungsstrategie bis 2023 und den Weg hin zu einer Nachhaltigkeitssteuer. »Wir sehen derzeit, dass zum Teil pflanzliche Lebensmittel oder Fleischersatzprodukte teurer sind als Fleisch selbst«, kritisiert Dräger. Zudem müsse der heimische Anbau von Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten ausgebaut werden.
Antje Risius, die an der Universität Göttingen zu nachhaltigen Ernährungsstilen forscht, fasst zusammen, was jede und jeder Einzelne zum Schutz der Biodiversität tun muss und was Politik und Wirtschaft: »Vor allem anfangen.« Entscheidend sei die effiziente Nutzung der Ressourcen. Eine pflanzlich orientierte Ausrichtung der Ernährung ermögliche es, gesundheitliche, wirtschaftliche und Umwelt-Aspekte zu vereinen.
Das bedeute aber für die Verbraucher, dass Informationen und Produkte verfügbar gemacht werden müssten. »Hierbei sind natürlich diejenigen zunächst gefragt, die die Rahmenbedingungen setzen – also Politik und Wirtschaft«, sagt Risius. Faire Rahmenbedingungen für eine entsprechende Anpassung der Ernährungsgewohnheiten zu schaffen, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. dpa/AnL
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