16.05.2022 hier im Südkurier, Auszüge
.....Kommen wir zur Landespolitik. Sie haben dieser Tage gesagt, dass Sie als Ministerpräsident mit Ihrer Bilanz nicht zufrieden sind, was die aktuelle Legislatur betrifft. Warum eigentlich nicht?
Das habe
ich nur in Bezug auf die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren bei
der Windkraft gesagt – das ist ein dickes Brett. Ansonsten bin ich
zufrieden.
Wir haben das ehrgeizigste Klimaschutzgesetz der Republik
beschlossen.
Im Land kommt auf jeden Neubau eine Solaranlage .
(Anmerkung:l eider mit zu vielen Ausnahmen wird allgemein bemängelt, z.B. beim Neubau Hymer in Bad Waldsee)
Wir
treiben systematisch Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz,
Wasserstoff- und Batterietechnologien voran, um unseren Wohlstand und
Arbeitsplätze zu sichern. Und nie zuvor wurde im Land so viel in die
Förderung von bezahlbarem Wohnraum investiert.
Welche Ziele haben Sie sich für den Rest Ihrer Amtszeit denn vorgenommen?
Das Wichtigste ist, dass wir die Energiewende und den ökologischen Umbau der Wirtschaft hinbekommen. Das ist das prioritäre Ziel – aus Gründen des Klimaschutzes, aber auch, um unsere Abhängigkeiten zu verringern. Darum kümmere ich mich zur Zeit hauptsächlich, nachdem Corona gerade zum Glück in den Hintergrund gerät. Wir machen das mit unglaublich viel Dampf und Energie, um schneller voranzukommen.
In diesem Jahr wurden in Baden-Württemberg erst drei Windkraftwerke gebaut. Ihr Ziel sind laut Koalitionsvertrag aber 1000 Windräder in dieser Legislatur. Halten Sie dieses Ziel für realistisch, in dem Tempo, in dem wir unterwegs sind?
Nein. Die 1000 Windräder stehen allerdings nicht im Koalitionsvertrag. Dort steht: „...so können wir die Voraussetzung von bis zu 1000 neuen Windkraftanlagen schaffen.“ Aber klar ist: Wir wollen 1000 bauen – und zwar so schnell wie möglich. Ich sehe aber nicht, wie diese innerhalb der nächsten vier Jahre gebaut werden sollen. Wir brauchen mehr Flächen und eine höhere Geschwindigkeit, aber wir müssen uns auch mit dem Bund abstimmen, weil dort die wichtigsten Hebel liegen. Der Bund wird bis Sommer seine Vorschläge vorlegen. Wir müssen also erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Hochlauf erfolgen kann. Auch in Brüssel sind wir unentwegt am Schieben.
Wie sehr leiden Sie unter der Trägheit der Instanzen?
Wahnsinnig. Das bringt mich echt an den Rand. Ich beschäftige mich jetzt seit Monaten mit diesen Fragen, und man merkt am Beispiel Windkraft, in welchem Maß wir in Deutschland überbürokratisiert sind. Wenn wir das nicht ändern, wird Deutschland im globalen Wettbewerb ins Hintertreffen geraten. Davon bin ich inzwischen fest überzeugt.
Die Bürokratie bremst nicht nur Windräder...
... gerade habe ich in Kressbronn eine Agri-Photovoltaikanlage besichtigt. Das ist eine Apfelplantage mit Solarpanels dazwischen. Es wird also keine Fläche versiegelt. Trotzdem ist das rein planungsrechtlich Bauen und wird auch so behandelt. Es unterliegt dem gesamten Regelungskorpus, als ginge es um ein Gewerbegebiet. Das ist doch offenkundiger Unfug. Schon wieder ein Beispiel, wo ich denke, das darf doch nicht wahr sein. Zum Schluss schützen wir statt der Natur die Naturschutzgesetze.
Wer kann das ändern, wer wird das ändern, wenn Sie sagen, Sie verzweifeln daran?
Verzweifelt bin ich, weil ich das allein nicht ändern kann. Das Problem ist, dass hier viele Regelungen auf unterschiedlichen Ebenen verwoben sind und ineinandergreifen – EU, Bund, Land und Kommunen. Wir können es nur ändern und entbürokratisieren, wenn alle kooperieren. Der Druck ist jetzt da und erkannt. Das ist eine riesige Chance für die Energiewende.
Und wer sagt, jetzt geht es los mit der Entbürokratisierung?
Schon bei den Koalitionssondierungen im Bund habe ich prominent angemahnt, dass wir entbürokratisieren müssen. Jetzt haben wir ein Beispiel – die Energieversorgung -, wo wir das exemplarisch machen. Da sind die Köpfe da, im Bund gibt Habeck Gas, wir bei uns im Land, nur in der EU müssen wir noch strampeln.
Ist das nicht ein aussichtsloses Unterfangen?
Es darf nicht aussichtslos sein. Wir müssen es hinbekommen und wir werden es hinbekommen. Die Welt wartet nicht mehr auf Deutschland. Dann sind andere schneller – und auf Geschwindigkeit kommt es im globalen Wettbewerb an. Da steht der Wirtschaftsstandort Deutschland mitten im Feuer.
Ein anderes Beispiel für die Beharrungskräfte: Es kommen viele ukrainische Schüler an unsere Schulen. Sie haben den Vorschlag gemacht, bei den Teilzeit-Lehrkräften eine Stunde draufzusatteln, um das zu schaffen. Die Folge war ein riesiger Aufschrei in der Lehrerschaft und nicht etwa Bereitschaft. Haben Sie damit gerechnet?
Nein. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich dachte, wir sind alle aufgewacht und haben gemerkt, dass wir in einer schweren Krise sind und einen Zeitenbruch erleben. Der Anlass war ja, dass wir in den kommenden Monaten Zehntausende ukrainische Kinder und Jugendliche in unseren Schulen integrieren müssen. Da müssen wir wegkommen von den üblichen Reflexen. Jeder muss jetzt einfach aufwachen und sich fragen, was sich in der Welt geändert hat, statt das zu sagen, was er schon immer gesagt hat. Für uns alle gilt jetzt: Wir müssen uns mehr einbringen und uns neben dem eigenen Wohlergehen stärker ums Gemeinwohl kümmern.
Haben Sie die Hoffnung, dass unsere Gesellschaft von diesen Abwehrreflexen irgendwann wegkommt?
Ja,
diese Hoffnung habe ich. Denn wir können dabei als Gesellschaft
gewinnen. Krisen sind immer auch Chancen, seine Prinzipien, seine
Haltungen, seine Reflexe, sein Weltbild zu überprüfen.
Das kennen wir
aus dem Privatleben, das gilt aber auch für Politik und Gesellschaft.
Wir müssen in vielen Fragen umdenken, sonst kommen wir aus den Krisen
nicht oder nur schwer und mit Schmerzen heraus. Aber wenn jeder sich ein
Stück zurücknimmt und wir gemeinsam handeln, kriegen wir das gestemmt –
und rücken dabei auch noch stärker zusammen.
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