ARD hier Stand: 19.05.2022
Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat die Bundesregierung dazu aufgerufen, die Artenvielfalt zu schützen und den Klimawandel zu bekämpfen - und zwar nicht nur in Deutschland. Dass die Forderung jetzt kommt, ist kein Zufall.
Ein Bündnis aus renommierten Forscherinnen und Forschern hat die Bundesregierung dazu aufgerufen, mehr gegen den Verlust der Artenvielfalt und gegen den Klimawandel zu tun. Dazu gaben die Wissenschaftler in Berlin eine Erklärung ab. Bei der Vorstellung des Papiers sagte der Generaldirektor am Berliner Museum für Naturkunde, Johannes Vogel, "der Verlust von Arten sei nicht rückholbar".
Johannes Vogel, Generaldirektor am Museum für Naturkunde Berlin, zu der Biodiversitätskrise
Gelinge es in dieser Dekade nicht, den Verlust der Biodiversität aufzuhalten, bestehe die Gefahr, bis zu eine Million Arten zu verlieren, heißt es in dem Papier. So können Prognosen zufolge innerhalb der nächsten Jahrzehnte 40 Prozent aller Insekten weltweit aussterben.
Zu den rund 40 Erstunterzeichnern der Erklärung zählen unter anderem der Berliner Virologe Christian Drosten, der österreichische Gewässerökologe Klement Tockner sowie die Biologin Aletta Bonn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.
Klare Erwartungen an G7-Gipfel in Bayern
Um die biologische Vielfalt zu schützen und den Klimawandel zu bekämpfen, brauche es "mutige politische Schritte und eine fundamentale Transformation in der Gesellschaft", fordern die Forscher. Wie diese Schritte konkret aussehen könnten - dazu finden sich in dem Papier einige Vorschläge. So heißt es etwa, um wirkmächtige Maßnahmen zu ermöglichen, brauche es unter anderem konkrete Absichtserklärungen der G7-Staaten.
Dass die Forscher sich ausgerechnet jetzt an die Bundesregierung wenden, hat auch damit zu tun, dass Deutschland aktuell die G7-Präsidentschaft innehat. Die sieben wichtigsten demokratischen Industriestaaten kommen Ende Juni in Bayern zu einem G7-Gipfel zusammen.
Aus für umweltschädliche Subventionen
Der Direktor des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels, Bernhard Misof, unterstrich in Berlin, es müsse ein gemeinsamer Wille bestehen, um etwas zu bewegen. So müssten Lieferketten beispielsweise ökologisch und sozial nachhaltig sein. Misof kritisierte zugleich umweltschädliche Subventionen in Deutschland unter anderem in den Bereichen Verkehr, Energie und Gebäudeerrichtung. Kein Land sei besser aufgestellt als Deutschland, um "wirklich was zu bewegen", sagte Misof.
In ihrer "Berliner Erklärung" fordern die Forscherinnen und Forscher außerdem mehr Gelder für internationale Artenschutzprogramme. Darüber hinaus müssten Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft national und international zusammenarbeiten.
Deshalb sei es wichtig, dass der bereits mehrfach verschobene Weltnaturgipfel stattfinde. Der Generaldirektor der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung, Klement Tockner, erklärte, die Kosten, die aus jedem weiteren Warten entstünden, "werden unsere Kinder und Enkelkinder zu tragen haben". Der für Ende August geplante Weltnaturgipfel im chinesischen Kunming biete die Gelegenheit einer notwendigen Trendumkehr zugunsten von mehr Klima- und Biodiversitätsschutz.
RND hier Jan Kuipers 19.05.2022
Dieses Mal ist allein der Mensch verantwortlich: neue Welle des Artensterbens droht
Vor dem Weltnaturgipfel
haben Forscher vor dem weltweiten Artensterben gewarnt. Ohne einen
konsequenten Artenschutz seien auch die Klimaziele nicht zu erreichen.
Deutschland sehen die Wissenschaftler dabei besonders in der Pflicht.
Es ist ein kleiner Stein mit großer Symbolkraft – mit einem Stück des Meteoriten, der einst die Dinosaurier auslöschte, versucht der Direktor des Berliner Naturkundemuseums seinen Appell an die Politik plastisch zu verdeutlichen. Es habe in der Erdgeschichte sechs große Wellen des Artensterbens gegeben: Fünf davon seien durch externe Faktoren verursacht worden, für die sechste, gerade laufende Periode des Artensterbens sei allein der Mensch verantwortlich.
Fast auf den Tag genau dreißig Jahre nach der Unterzeichnung der ersten internationalen Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt erneuert Johannes Vogel gemeinsam mit zwei anderen Direktoren der großen Leibniz-Forschungsmuseen seine Forderung an die Weltgemeinschaft. Seit 1992 sei zu wenig passiert, „wir sehen keinen Effekt, der den Verlust der Artenvielfalt aufhält“, sagt Bernhard Misof, Direktor des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels.
Die „Zwillingskrisen“
Das Problem sei dabei drängender denn je, Klimawandel und Artensterben müssten als „Zwillingskrisen“ betrachtet werden. So droht in den kommenden Jahren der Verlust von 40 Prozent aller Insektenarten, die nicht zuletzt für die globale Landwirtschaft unerlässlich sind. Auch Moore bieten beispielsweise ein enormes Speicherpotenzial für CO₂.
Nachdem der Weltnaturgipfel seit zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie verschoben werden musste, soll er nun im August im chinesischen Kunming stattfinden. Deutschland sei in diesem Jahr mit der G7-Präsidentschaft in einer besonders guten Lage, um eine neue Konvention zum Schutz der weltweiten Artenvielfalt herbeizuführen, finden die drei Initiatoren.
Es müssten Vereinbarungen getroffen und auch umgesetzt werden. „Wir können es uns nicht leisten, dass dieser Gipfel noch einmal scheitert“, warnt Klement Tockner, Direktor der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung.
Nachhaltige Lieferketten und nasse Moore
Die „Berliner Erklärung“ der drei Leibniz-Direktoren haben knapp 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachgebieten unterschrieben. Darin wird unter anderem eine Aufstockung der Mittel für „naturbasierte Maßnahmen“, also beispielsweise der Einrichtung von Schutzgebieten oder der Wiedervernässung von Mooren gefordert. Dazu sollen 30 Prozent der globalen Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden, weitere 20 Prozent sollen renaturiert werden.
Auch Lieferketten müssten nachhaltiger gestaltet werden, damit das Konsumverhalten des globalen Nordens nicht zur Vernichtung von Naturräumen in anderen Erdteilen führt. Bei der Wirtschaft beginne hier bereits ein Umdenken. „Wir sehen immer mehr, dass Unternehmen sich ihrer Verantwortung bewusst sind“, berichtet Vogel. Die Erhaltung der Ressourcen, mit denen die Unternehmen wirtschaften, sei immerhin ein Eigeninteresse.
Laut den Initiatoren sind die naturbasierten Maßnahmen das entscheidende Instrument, um sowohl Klimawandel als auch Artensterben aufzuhalten. Die dabei entstehenden Interessenskonflikte müsse die Politik durch Prioritätensetzung überwinden. „Ich sehe derzeit kein drängenderes Problem als den Verlust der biologischen Vielfalt“, so Tockner. Schließlich seien einmal ausgestorbene Arten für immer verloren.
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