Freitag, 21. Januar 2022

Experte Brunnengräber: Darum ist Atomkraft im Kampf gegen den Klimawandel keine Hilfe

 Web.de  hier   Aktualisiert am 21.01.2022, 15:03 Uhr von Stefan Matern

In immer mehr Ländern erfährt die Atomkraft ein Comeback. Die Internationale Atomenergiebehörde meldet eine sprunghaft ansteigende Nachfrage.

Im Kampf gegen den Klimawandel macht Frankreich Druck und versucht Europa auf den Weg einer Nukleartechnologie 2.0 zu bringen.

Ein Experte klärt über Risiken und Nutzen der Atomenergie sowie deren Auswirkung auf die Klimapolitik auf.



EINE ANALYSE

Die Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 hat die deutsche Atompolitik wesentlich geprägt. Die schwarz-gelbe Koalition unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel hatte den noch ein Jahr zuvor von Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg zunächst rückgängig gemacht, nur um ihn dann in Reaktion auf Fukushima doch wieder in Kraft zu setzen.

Im Jahr 2010 belief sich laut statista.de der Anteil der Kernenergie in Deutschland auf fast 23 Prozent des verbrauchten Stroms, im Jahr 2020 waren es noch 11,3 Prozent. Das Ziel für das Jahr 2023 lautet null Prozent. Doch viele europäische Länder gehen einen anderen Weg und wollen an der Nuklearenergie zur Erreichung der Klimaziele festhalten oder sogar neue Kernkraftwerke bauen.

Experte erklärt: Erneuerbare Energien können Strombedarf decken

Nun fordern einige Stimmen auch für Deutschland ein Comeback der Nuklearenergie. Denn laut einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums wird der Strombedarf im Vergleich zum Jahr 2018 bis 2030 um elf Prozent steigen. Die Argumentation der Atomkraft-Befürworter: Einzelne Sektoren entwickeln bis 2030 einen steigenden Bedarf an Elektrizität, weil dort verstärkt auf klimafreundlichere Technologien gesetzt und die fossilen Energieträger ersetzt werden. Beispiel sind die Elektromobilität, Wärmepumpen oder auf übergeordneter Versorgungsebene die Herstellung grünen Wasserstoffs.

Die Atomkraftbefürworter prognostizieren daher eine Versorgungslücke, die allein durch erneuerbare Energien nicht zu schließen sei. Achim Brunnengräber von der FU Berlin hält die Sorge im Gespräch mit unserer Redaktion jedoch für unbegründet: "Es gibt wissenschaftliche Studien, beispielsweise des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie oder des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die klar aufzeigen, dass der Energiebedarf aus erneuerbaren Energien gedeckt werden kann." Auch das Deutsche Klimakonsortium (DKK) erklärt in einer Stellungnahme, die Grundlast-Energieversorgung sei auch ohne Kohle- und Atomstrom gesichert.

Darüber hinaus erklärt Brunnengräber: "Der erhöhte Energiebedarf wird nicht von heute auf morgen entstehen, sondern sich langsam entwickeln. In dieser Zeit muss der Ausbau der Erneuerbaren massiv vorangetrieben werden."

Experte Brunnengräber: Haben Energiewende in Deutschland verschleppt

Es fragt sich aber, ob auch der politische Wille dafür gegeben ist: "In den letzten Jahren haben wir die Energiewende verschleppt und durch politische Entscheidungen ausgebremst", sagt Brunnengräber. Dabei geht Deutschland mit seinem vergleichsweise rigorosen Atomausstieg einen Sonderweg. ....

Atomkraft: Weder CO2-frei noch saubere Energie

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, ob Atomenergie einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leisten kann. Experte Brunnengräber ist skeptisch: "Sie ist keine saubere Energie. Der Uranabbau in den Ländern des globalen Südens hat Folgen für die Landschaft und die Menschen dort und beim Transport, der Vorbereitung, der Verarbeitung, der Herstellung der Brennstäbe sowie beim Bau, dem Rückbau und der Endlagerung fällt CO2 an", erklärt der Experte.

Je nachdem, ob nur der Prozess der Energiegewinnung im engeren Sinn, oder die gesamte Lebensspanne des AKW betrachtet wird, ergeben sich andere Zahlen. Atomstrom steht zwar besser da als Gas oder Kohle: "Aber dass Kernenergie CO2-frei funktioniert, ist falsch. Hinzu kommt, dass es weltweit noch kein betriebsbereites Endlager gibt. Bei der Frage der Entsorgung stehen wir noch ganz am Anfang. Sie wird uns noch über Generationen beschäftigen und Ressourcen binden", erklärt Brunnengräber.

Der IPCC-Report von 2014 zeigt, dass die Zahlen zum CO2-Ausstoß von AKWs deutlich variieren. Nach noch unveröffentlichten Daten des deutschen Umweltbundesamtes, auf die sich dw.de bezieht, sind Photovoltaik-Anlagen der Kernkraft aber deutlich überlegen. Bei letzterer werde 3,5-Mal mehr CO2 pro Kilowattstunde ausgestoßen. Im Vergleich zur Windkraft an Land seien es sogar 13-Mal mehr CO2, gegenüber der Wasserkraft 29-Mal mehr CO2.

Bau von Atomkraftwerken: Verzögerungen und Kostenexplosion

Doch selbst wenn Atomstrom CO2-frei wäre, bestünden beim Kampf gegen den Klimawandel einige weitere Probleme: "Wir müssten uns fragen: Ist der Ausbau der Atomenergie in den nächsten Jahren so möglich, dass es dem Klimaschutz dient?" Die Antwort sei ein klares Nein, so Brunnengräber. Man müsse nur ins Ausland, beispielsweise nach Frankreich, Großbritannien oder Finnland schauen, um überall das gleiche Bild zu sehen: "Es kommt zu jahrelangen Verzögerungen und die Kosten explodieren."

Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht das ähnlich: "Atomenergie ist enorm teuer, erneuerbare Energien sind viel billiger." Das schlägt sich auch statistisch nieder, so Brunnengräber: "Seit 2006 der Höhepunkt der weltweiten Atomstrom-Erzeugung erreicht wurde, sehen wir einen Niedergang der Atomenergie, der noch deutlicher ausfällt, wenn der erzeugte Atomstrom von China unberücksichtigt bleibt. Und das ist eigentlich das beste Zeichen, dass sich diese Energieform ökonomisch nicht rechnet. Ohne staatliche Subventionen kann kein einziges AKW mehr gebaut werden", sagt der Experte.....

Deshalb meint der Experte: "Die Verknüpfung von Atomkraft und Klimawandel, die wir derzeit beobachten, hat vor allem eine Feigenblatt-Funktion." Bei der Diskussion um Atomstrom geht es für manche Länder nicht allein um die möglichen Auswirkungen auf die Klimakrise. Für Frankreich, wie auch Großbritannien oder die USA spielt die Verbindung zwischen zivilem und militärischem Nuklearsektor eine Rolle. "Zivile und militärische Nutzung von Nuklearenergie sind schon immer eng verzahnt", sagt Brunnengräber.

Darüber hinaus weist der Politikwissenschaftler auf die terroristische Gefahr hin, die von jedem einzelnen Reaktor ausgehen würde: "Jeder dieser Minireaktoren ist ein potenzielles Ziel für Terroristen, die mit einem Flugzeug hineinfliegen oder durch Diebstahl in den Besitz von Uran kommen können. Dieses Gefahrenpotenzial ist hoch und wird gern in der Debatte vergessen", erklärt Brunnengräber.....

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