Freitag, 14. Januar 2022

"Das ist so, als würde man Pommes frites als Salat bezeichnen"

Süddeutsche Zeitung hier Von Petra Blum, Verena von Ondarza und Nils Wischmeyer, Köln

Atomkraft und Gas in der EU

Was ist ein grünes Investment? Dazu beraten Experten für nachhaltige Finanzen die EU-Kommission - und sind nun von deren Entwurf schockiert. Ein Wissenschaftler spricht vom "wohl größten Greenwash aller Zeiten".

Als eines von 57 Mitgliedern der "Plattform für nachhaltige Finanzen" berät Hoepner die EU-Kommission als unabhängiger Professor zur sogenannten grünen Taxonomie. Die Experten sollen klären, welche Investments nachhaltig sind - und welche nicht. Die Taxonomie gilt als Meilenstein auf dem Weg der EU zu einem verantwortungsbewussteren Umgang mit endlichen Ressourcen.

Entsprechend scharf kritisieren Hoepner und weitere deutsche Forscher nun den Vorschlag der EU-Kommission. Von einem faulen Kompromiss ist gegenüber NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung die Rede, Hoepner spricht vom "wohl größten Greenwash aller Zeiten." Auch sein Kollege Sebastian Rink, Wissenschaftler an der Frankfurt School of Finance, der dem Beirat zuarbeitet, hält die Vorlage für eine "Verwässerung", durch die die gesamte Taxonomie ihre Glaubwürdigkeit verliert.

Mehr als ein Jahr haben die Plattformmitglieder - unterschiedliche Interessenvertreter von Wirtschaft bis Wissenschaft - ihre Einschätzungen diskutiert und Lösungsvorschläge erarbeitet. Das klappte lange gut, doch in den vergangenen Wochen zerfaserte das Projekt zwischen Lobbying und politischem Gerangel. Die jetzige Vorlage der EU-Kommission greift die Vorschläge der Berater für nachhaltige Finanzen kaum auf. Das macht die Forscher wütend.

Die Taxonomie war als klare Öko-Richtschnur für den Finanzmarkt gedacht

Denn die Taxonomie der Europäischen Union hatte ursprünglich nur einen Zweck: Sie sollte erstmals klar und transparent zeigen, ob eine Investition für Anleger wirklich nachhaltig ist - eine Art Ökologie-Ampel für Investments. Dem verpönten Greenwashing sollte die Taxonomie gerade vorbeugen, also verhindern, dass Unternehmen Erzeugnisse nachhaltig nennen können, obwohl sie es nicht sind.

Vor allem die Sonderregeln für Atomstrom und Gas verärgern die Wissenschaftler. Hoepner rechnet vor, dass der Vorschlag rund 1,4 Milliarden Tonnen CO₂ als "grün" definiert - so viel Kohlendioxid, wie Frankreich innerhalb der vergangenen drei Jahre produziert hat. "Das ist so, als würde man Pommes frites als Salat bezeichnen", kritisiert Hoepner, der als Professor in Dublin lehrt. 

In der Verantwortung für dieses Greenwashing sieht er in erster Linie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Insbesondere der Plan, Richtwerte über einen Durchschnitt von 20 Jahren statt jährlich festzulegen, führe dazu, dass neue Gaskraftwerke als "grün" bezeichnet werden dürften, selbst wenn sie Millionen Tonnen CO₂ ausstoßen.

Nicht minder enttäuscht ist Sebastian Rink von dem Entwurf. Er sei "nicht wissenschaftlich und nicht unbedingt produktiv, was die weitere Entwicklung der Taxonomie angeht", sagt der Experte für klimafreundliche Investitionen. Das eigentliche Ziel sei schließlich die Förderung von Technologien, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten - genau das werde aber untergraben. Damit schaffe die EU-Kommission einen "Präzedenzfall" und würde schlimmstenfalls sogar einen Dammbruch auslösen: Auch andere Industrien könnten dann bei der Einstufung eine Sonderbehandlung verlangen.

Rinks Befürchtung ist keinesfalls haltlos. Ein Beispiel für solcherlei Extrawünsche existiert bereits. Der Bundesverband der Deutschen Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie will seine Unternehmen ebenfalls in die EU-Taxonomie einbringen, mit der Begründung, dass Sicherheit die Mutter der Nachhaltigkeit sei.

Das Vertrauen zwischen EU-Kommission und Beratern ist schwer gestört

Bis zum 21. Januar soll das Gremium sein Feedback zu der hoch umstrittenen Vorlage der EU-Kommission einreichen. Ursprünglich war die Frist noch kürzer, wurde dann aber verschoben. Dennoch, viel Zeit bleibt den erbosten Beratern nicht.

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