Für all jene, die sich von der grünen »Transformation« noch keinen rechten Begriff machen können, hatte Robert Habeck Schaubilder mitgebracht. Auf Grafiken war zu lesen, wie weit Deutschland bei der Einsparung von Treibhausgasen hinterherhinkt oder wie der Ausbau der erneuerbaren Energien stockt. Zusammen mit den Plänen, die der erste Klimaminister der Bundesrepublik zu seiner Pressekonferenz mitgebracht hatte, mit denen er diesen Zustand zu ändern gedenkt, entstand ein ziemlich konkretes Bild, was eben jene Transformation an Veränderungen für das Land bereithält:
- Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird vorangetrieben und
das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) überarbeitet. Unter anderem wird die
EEG-Umlage ab 2023 abgeschafft. 2030 sollen 80 Prozent des
Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden.
- Solarenergie soll weiter ausgebaut werden.
Alle geeigneten Dachflächen sollen genutzt werden.
- Jedes Bundesland soll zwei Prozent seiner Fläche für den Ausbau von
Windenergie nutzen. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen
beschleunigt werden.
- Die Transformation in der Industrie soll mit »Klimaschutzdifferenzverträgen«
(Carbon Contracts for Difference) gefördert werden.
- Gebäude sollen energieeffizienter gebaut und saniert werden. Dazu soll
das Gebäudeenergiegesetz überarbeitet werden.
- Die Produktion von grünem Wasserstoff soll verdoppelt werden.
Was sich die Ampel beim Ausbau der erneuerbaren
Energien vorgenommen hat, ist enorm. Vor allem im Vergleich zu den zurückliegenden
Jahren des Stillstands. Umso auffälliger ist die breite Unterstützung für die
Pläne des Ministers, von Umwelt-NGOs kam ebenso Zuspruch wie von der
Chemieindustrie.
Es bleibt die bange Frage, ob das reicht
Und das, obwohl sich bei vielen Details Fragen
ergeben: Wenn etwa die Flächen für Windräder deutlich ausgeweitet werden
sollen, wie verträgt sich das mit dem Artenschutz? Wie lassen sich Menschen vor
Ort von Grünstromprojekten überzeugen und Einwände ernst nehmen, wenn
gleichzeitig Planung und Bau erheblich beschleunigt werden sollen? Und wie
viele Konflikte drohen mit Bundesländern wie etwa Bayern, wo die geltenden Abstandsregeln für Windräder dem Ansinnen Habecks deutlich zuwiderlaufen?
Selbst wenn der ehrgeizige Plan aufgeht, steht über
all dem – wie fast immer in der jüngeren Geschichte der Klimapolitik – die
bange Frage: Wird das reichen, um die Ziele von Paris einzuhalten?
Hat sich Robert Habeck zu einem Emissionsbudget
bekannt?
Ob er den Minister da gerade richtig verstanden habe, hakte der Journalist Tilo Jung in der Fragerunde nach den Statements von Habeck nach.
Bekennt sich der Grüne nun zu einem finalen CO₂-Budget? Antwort Habeck: »Ja,
klar«. Denn aus den bestehenden Emissionspfaden – Minderung der Treibhausgase
um 65 Prozent bis 2030, um 88 Prozent bis 2040 – ergebe sich ja eine finale
Menge Treibhausgase, die Deutschland noch ausstoßen werde. Die Prozentwerte
seien immerhin an den festen Ausgangswert der Emissionen im Jahr 1990
gekoppelt. »Der Rest ist Mathematik«, so der Minister.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der
Bundesregierung (SRU), hatte schon 2020 ein Gutachten zur Berechnung eines
fairen deutschen CO₂-Budgets erstellt. Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung für
Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und Mitglied im
Rat, hat die entscheidenden Rechnungen erstellt, welche auch das
Bundesverfassungsgericht nachvollziehbar und schlüssig nannte.
Habeck habe zwar recht, dass aus dem Pfad der
Regierung eine Emissionsmenge folge. Das CO₂-Restbudget Deutschlands müsse aber
nicht aus dem Pfad, sondern aus den Klimazielen abgeleitet werden, sagt Lucht.
»In einem ersten Schritt muss man sich einigen,
welches Temperaturziel man eigentlich anstrebt, 1,5 Grad gegenüber
vorindustrieller Zeit, wie es die Bundesregierung formuliert, oder doch eher
1,75 Grad? Anschließend muss man die Frage beantworten, was ein angemessener
Anteil Deutschlands wäre«, so der Experte. Maßgeblich dafür sei die
Bevölkerungszahl und damit eine faire internationale Aufteilung. Denn diese
ergebe das Maximum dessen, was ein Staat sich ohne anderslautende
internationale Vereinbarungen selbst zusprechen könne.
»Dann kann man prüfen: Wenn wir unsere jetzigen Klimaziele
umsetzen, wie viele Tonnen emittieren wir dann noch? Wenn man das eigene
CO₂-Limit reißt, müsste man nachsteuern.«
»Wenn es hier Missverständnisse gab, dann ist das
jetzt noch mal klargestellt«
Robert Habeck rechnete allerdings genau andersherum:
Aus den schon bestehenden Klimazielen Deutschlands leitete er das Restbudget
für die Bundesrepublik ab. »Dies stellt die Rechnung auf den Kopf«, sagt Lucht.
»Die Bundesregierung müsste dann entweder erklären, warum dieses Budget aus
ihrer Sicht im weltweiten Maßstab gerecht ist, oder aber einräumen, dass zu den
Klimazielen noch eine Lücke besteht.«
Eine Nachfrage in Habecks neuem Haus ergibt: »Minister
Habeck hat den Reduktionspfad im Klimaschutzgesetz beschrieben. Wenn es hier
Missverständnisse gab, dann ist das jetzt noch mal klargestellt.« Ein
Bekenntnis zu einer echten und fairen Emissionsbudgetrechnug der
Bundesregierung steht also weiter aus.
Fragt man Wolfgang Lucht, wird auch schnell klar, was
der Grund dafür sein könnte. Denn laut seiner Einschätzung blieben Deutschland
bei einer fairen Rechnung gerade einmal noch rund drei Milliarden Tonnen
CO₂-Emissionen übrig, wenn das 1,5-Grad-Limit immerhin noch mit 50-prozentiger
Wahrscheinlichkeit erreicht werden soll. Die Emissionen der Republik beliefen
sich zuletzt auf etwa 700 Millionen Tonnen CO₂ – pro Jahr.
Die derzeitigen Regierungspläne würden nach Aussage
des Experten darauf hinauslaufen, dass sich Deutschland mit seinem durchaus
ambitionierten Klimaschutzpfad noch knapp sieben Milliarden Tonnen genehmigt –
also mehr als das Doppelte dessen, was als fairer Anteil für ein Ziel von 1,5
Grad durchgehen würde. »Zumindest wenn man sich nicht auf eine spekulative
Vergrößerung des verbleibenden CO₂-Budgets verlässt, indem man auf erhebliche
zusätzliche Maßnahmen im Ausland oder nachträglichen massiven CO₂-Entzug aus
der Atmosphäre setzt«, so Lucht.
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