Montag, 17. Januar 2022

SPIEGEL Klimabericht vom 15.1.22

Für all jene, die sich von der grünen »Transformation« noch keinen rechten Begriff machen können, hatte Robert Habeck Schaubilder mitgebracht. Auf Grafiken war zu lesen, wie weit Deutschland bei der Einsparung von Treibhausgasen hinterherhinkt oder wie der Ausbau der erneuerbaren Energien stockt. Zusammen mit den Plänen, die der erste Klimaminister der Bundesrepublik zu seiner Pressekonferenz mitgebracht hatte, mit denen er diesen Zustand zu ändern gedenkt, entstand ein ziemlich konkretes Bild, was eben jene Transformation an Veränderungen für das Land bereithält:

  • Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird vorangetrieben und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) überarbeitet. Unter anderem wird die EEG-Umlage ab 2023 abgeschafft. 2030 sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden.
  • Solarenergie soll weiter ausgebaut werden. Alle geeigneten Dachflächen sollen genutzt werden.
  • Jedes Bundesland soll zwei Prozent seiner Fläche für den Ausbau von Windenergie nutzen. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden.
  • Die Transformation in der Industrie soll mit »Klimaschutzdifferenzverträgen« (Carbon Contracts for Difference) gefördert werden.
  • Gebäude sollen energieeffizienter gebaut und saniert werden. Dazu soll das Gebäudeenergiegesetz überarbeitet werden.
  • Die Produktion von grünem Wasserstoff soll verdoppelt werden.

Was sich die Ampel beim Ausbau der erneuerbaren Energien vorgenommen hat, ist enorm. Vor allem im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren des Stillstands. Umso auffälliger ist die breite Unterstützung für die Pläne des Ministers, von Umwelt-NGOs kam ebenso Zuspruch wie von der Chemieindustrie.

Es bleibt die bange Frage, ob das reicht

Und das, obwohl sich bei vielen Details Fragen ergeben: Wenn etwa die Flächen für Windräder deutlich ausgeweitet werden sollen, wie verträgt sich das mit dem Artenschutz? Wie lassen sich Menschen vor Ort von Grünstromprojekten überzeugen und Einwände ernst nehmen, wenn gleichzeitig Planung und Bau erheblich beschleunigt werden sollen? Und wie viele Konflikte drohen mit Bundesländern wie etwa Bayern, wo die geltenden Abstandsregeln für Windräder dem Ansinnen Habecks deutlich zuwiderlaufen?

Selbst wenn der ehrgeizige Plan aufgeht, steht über all dem – wie fast immer in der jüngeren Geschichte der Klimapolitik – die bange Frage: Wird das reichen, um die Ziele von Paris einzuhalten?

Um darauf eine Antwort zu erhalten, würde die Berechnung eines CO₂-Budgets helfen. Dieses gibt einen Richtwert an, wie viele Tonnen Treibhausgase die Weltgemeinschaft noch in die Atmosphäre entlassen  darf, ohne dass bestimmte Schwellen in der Temperaturentwicklung gerissen werden, das 1,5-Grad-Limit etwa. Doch in den zurückliegenden Jahren legte die Bundesregierung der Öffentlichkeit kein Zahlenwerk vor, was eine solche Berechnung auf Deutschland heruntergebrochen bedeuten würde – sofern sie denn überhaupt existiert. Wie viel CO2-Kontingent genehmigt sich Deutschland vom weltweiten Restbestand und wäre das ein fairer Anteil angesichts der Tatsache, dass auch andere Länder zumindest übergangsweise Emissionen verursachen müssen und Deutschland vor allem historisch gesehen zu den Topverschmutzern der Atmosphäre zählt? Die Merkel-Regierung schwieg.

Hat sich Robert Habeck zu einem Emissionsbudget bekannt?

Ob er den Minister da gerade richtig verstanden habe, hakte der Journalist Tilo Jung in der Fragerunde nach den Statements von Habeck nach. Bekennt sich der Grüne nun zu einem finalen CO₂-Budget? Antwort Habeck: »Ja, klar«. Denn aus den bestehenden Emissionspfaden – Minderung der Treibhausgase um 65 Prozent bis 2030, um 88 Prozent bis 2040 – ergebe sich ja eine finale Menge Treibhausgase, die Deutschland noch ausstoßen werde. Die Prozentwerte seien immerhin an den festen Ausgangswert der Emissionen im Jahr 1990 gekoppelt. »Der Rest ist Mathematik«, so der Minister.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU), hatte schon 2020 ein Gutachten zur Berechnung eines fairen deutschen CO₂-Budgets erstellt. Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung für Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und Mitglied im Rat, hat die entscheidenden Rechnungen erstellt, welche auch das Bundesverfassungsgericht nachvollziehbar und schlüssig nannte.

Habeck habe zwar recht, dass aus dem Pfad der Regierung eine Emissionsmenge folge. Das CO₂-Restbudget Deutschlands müsse aber nicht aus dem Pfad, sondern aus den Klimazielen abgeleitet werden, sagt Lucht.

»In einem ersten Schritt muss man sich einigen, welches Temperaturziel man eigentlich anstrebt, 1,5 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit, wie es die Bundesregierung formuliert, oder doch eher 1,75 Grad? Anschließend muss man die Frage beantworten, was ein angemessener Anteil Deutschlands wäre«, so der Experte. Maßgeblich dafür sei die Bevölkerungszahl und damit eine faire internationale Aufteilung. Denn diese ergebe das Maximum dessen, was ein Staat sich ohne anderslautende internationale Vereinbarungen selbst zusprechen könne.

»Dann kann man prüfen: Wenn wir unsere jetzigen Klimaziele umsetzen, wie viele Tonnen emittieren wir dann noch? Wenn man das eigene CO₂-Limit reißt, müsste man nachsteuern.«

»Wenn es hier Missverständnisse gab, dann ist das jetzt noch mal klargestellt«

Robert Habeck rechnete allerdings genau andersherum: Aus den schon bestehenden Klimazielen Deutschlands leitete er das Restbudget für die Bundesrepublik ab. »Dies stellt die Rechnung auf den Kopf«, sagt Lucht. »Die Bundesregierung müsste dann entweder erklären, warum dieses Budget aus ihrer Sicht im weltweiten Maßstab gerecht ist, oder aber einräumen, dass zu den Klimazielen noch eine Lücke besteht.«

Eine Nachfrage in Habecks neuem Haus ergibt: »Minister Habeck hat den Reduktionspfad im Klimaschutzgesetz beschrieben. Wenn es hier Missverständnisse gab, dann ist das jetzt noch mal klargestellt.« Ein Bekenntnis zu einer echten und fairen Emissionsbudgetrechnug der Bundesregierung steht also weiter aus.

Fragt man Wolfgang Lucht, wird auch schnell klar, was der Grund dafür sein könnte. Denn laut seiner Einschätzung blieben Deutschland bei einer fairen Rechnung gerade einmal noch rund drei Milliarden Tonnen CO₂-Emissionen übrig, wenn das 1,5-Grad-Limit immerhin noch mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit erreicht werden soll. Die Emissionen der Republik beliefen sich zuletzt auf etwa 700 Millionen Tonnen CO₂ – pro Jahr.

Die derzeitigen Regierungspläne würden nach Aussage des Experten darauf hinauslaufen, dass sich Deutschland mit seinem durchaus ambitionierten Klimaschutzpfad noch knapp sieben Milliarden Tonnen genehmigt – also mehr als das Doppelte dessen, was als fairer Anteil für ein Ziel von 1,5 Grad durchgehen würde. »Zumindest wenn man sich nicht auf eine spekulative Vergrößerung des verbleibenden CO₂-Budgets verlässt, indem man auf erhebliche zusätzliche Maßnahmen im Ausland oder nachträglichen massiven CO₂-Entzug aus der Atmosphäre setzt«, so Lucht.

Das Anerkennen eines niedrigen Emissionsbudgets würde eine noch schnellere Dekarbonisierung nötig machen. Das wäre dann vielleicht doch ein bisschen viel Transformation auf einmal. Auch für einen Robert Habeck.

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