Mittwoch, 12. Januar 2022

Agrarminister Cem Özdemir: „Die Strafbarkeit des Containerns ist absurd“

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RND-Interview Landwirtschaft Cem Özdemir

  • Fleisch solle kein Luxusgut werden, aber Landwirte und Schlachter müssten auch leben können, sagt der neue Agrarminister Cem Özdemir.
  • Im RND-Interview kündigt er die Neuausrichtung der Agrarfinanzierung an und erteilt der Strafbarkeit des Containerns eine Absage.
  • Und er spricht über den Sinn von Veggie-Days sowie über seinen ganz persönlichen Zugang zum Thema als Enkel von Landwirten.

Berlin. Herr Özdemir, Sie sind kaum im Amt und haben schon Ärger. „Keine Ramschpreise für Lebensmittel“ haben sie gefordert, mit Blick auf Bauern, Tierwohl und Klima. Wie sollen sich diejenigen höhere Preise leisten, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen?

Jeder soll sich weiterhin Fleisch leisten können. Es soll kein Luxusgut werden. Aber es erstaunt mich doch immer wieder, dass gerade Union und Linkspartei stets dann die Sozialpolitik für sich entdecken, wenn es um den Dieselpreis oder billiges Fleisch geht. Ich finde es unredlich, wenn nun bestimmte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.

Soziale Gerechtigkeit beginnt für mich auch bei den Arbeiterinnen und Arbeitern in den Schlachthöfen, deren Mindestlohn wir endlich anheben werden. Und es geht um unsere Landwirtinnen und Landwirte, die wie alle anderen auch von ihrer Arbeit leben können müssen. Außerdem wollen wir das Klima schützen und die Tierhaltung verbessern. Landwirtschaftspolitik muss selbstverständlich sozial sein – aber sie ersetzt eben nicht die Sozialpolitik.

Auch die Grüne Jugend kritisiert, bevor es höhere Lebensmittelpreise gebe, müssten die Menschen erst mal aus der Armut geholt werden. Sind Ihre Ideen Luxusdenken?

Es ist Luxus, weiterhin nichts zu tun, bis irgendwann der Stein der Weisen gefunden ist. Ich freue mich über die Debatte, und wir alle wissen, dass wir jetzt endlich anfangen müssen mit konkreten Verbesserungen beim Tierwohl und beim Klimaschutz. Zumindest auf grüner Seite haben wir da keinen Dissens. Die öffentliche Diskussion hilft, sich darüber bewusst zu werden, wo die Lebensmittel herkommen und welche Leistung dahintersteckt. Wenn wir die knalligen Überschriften jetzt mal hinter uns lassen und mehr Differenzierung wagen, dann wird das was.

Trifft Sie der Vorwurf der sozialen Ungerechtigkeit nicht?

Mir muss als Arbeiterkind niemand von sozialer Gerechtigkeit erzählen. Ich weiß, was es heißt, wenn beide Eltern arbeiten mussten, in Schichtarbeit, im Akkord. Mein Vater hatte neben seinem Job in der Fabrik sogar noch einen Zweitjob an der Tankstelle, um die Familie über Wasser zu halten. Ich wehre mich dagegen, die Strukturen eines kranken und ausbeuterischen Systems einfach zu belassen.

Wie soll nun die Geringverdienerin mit ihrem Budget auskommen, wenn Essen teurer wird?

Unsere Koalition dreht an vielen Rädern gleichzeitig: Es wird einen höheren Mindestlohn geben, wir werden die Sozialleistungen erhöhen. Wir sorgen für gute Bildungspolitik, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und bessere Renten. Aber wir können nicht innerhalb von wenigen Wochen alle Probleme auf einmal lösen, die sich in 16 Jahren angehäuft haben. Aber wir haben angefangen.

Was machen Sie anders als Ihre Vorgängerin Julia Klöckner?

In meinem Haus wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen, umsetzen, verändern. Entscheidungen wurden bisher von der Führung ausgesessen – aus Angst vor Gegnern, aber auch vor der eigenen Partei. So läuft das mit mir nicht. Wir müssen am großen Rad drehen.

Kurz vor der Bundestagswahl hat die EU für die nächsten sieben Jahre die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) festgelegt. Die Grünen haben sie als zu wenig weitreichend kritisiert. Was können Sie jetzt noch tun?

Ich habe diese Reform leider geerbt und kann das erst mal nicht ändern. Es ist bedauerlich, dass die Agrarzahlungen weiterhin vor allem den Landbesitz belohnen statt Leistungen für den Umwelt- und Klimaschutz. Das ist nicht mein System, das können Sie mir glauben. Blockiert habe ich es dennoch nicht, weil die Bäuerinnen und Bauern jetzt Planungssicherheit brauchen.

2024 werden wir es jedoch mit Blick auf die Zielerreichung überprüfen und anpassen sowie ein Konzept für die nächste Agrarreform erarbeiten. Unser Ziel ist es, dass es Finanzierung aus öffentlichen Kassen dann nur noch für öffentliche Leistungen gibt. Landwirtinnen und Landwirte müssen mit Umwelt-, Tier- und Klimaschutz Geld verdienen können, als verlässliche Einkommenssäule.

Über die Agrarpolitik haben sich mehrere Kommissionen Gedanken gemacht. Die Borchert-Kommission hat vorgeschlagen, Landwirten Umbaukosten für Arten- und Klimaschutz zu bis zu 90 Prozent zu erstatten. Das kostet drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. Ist das der richtige Weg?

Wenn wir Strukturreformen wollen, müssen wir die Landwirtinnen und Landwirte finanziell unterstützen. Es kostet nun mal viel Geld, einen Stall umzubauen. Kein Bauer steht morgens auf und sagt, er will Tiere schlecht halten oder Nitrat im Boden und im Grundwasser haben. Es sind die Strukturen, die das bislang erzwingen – und die wir ändern wollen. Im Vergleich zu den Summen, die wir in der Automobilindustrie aufwenden für die Transformation vom fossilen Verbrenner zur emissionsfreien Mobilität, ist der Unterstützungsbedarf der Landwirtschaft relativ bescheiden.

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Das Containern, also das Herausnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarkt-Abfallcontainern, ist strafbar. Wollen Sie das ändern?

Ja, das finde ich schon ziemlich absurd. Wir wollen die Lebensmittelverschwendung in der gesamten Wertschöpfungskette – vom Feld bis zum Handel – reduzieren. Es hat sich gezeigt, dass es nicht reicht, auf freiwillige Vereinbarungen zu setzen, wie es die Vorgängerregierung gemacht hat. Gerade im Handel geht es um die Erleichterung von Spenden, damit nicht mehr so viel weggeworfen wird.

Dafür sind haftungs- und steuerrechtliche Fragen zu klären: Die Angst vor zivilrechtlichen Klagen ist für viele Unternehmen ein Hemmschuh. Und es könnte helfen, wenn die Umsatzsteuer bei Lebensmittelspenden auch dann wegfällt, wenn die Ware beispielsweise falsch etikettiert ist. Das mache es für den Handel attraktiver, sie zu spenden anstatt wegzuwerfen.

Im Januar ist es bei der Eier-Produktion in Deutschland verboten, männliche Küken zu töten. Tierschützer wünschen sich weitergehende Regelungen, etwa auch für Eier, die als Zutaten verwendet werden. Ist das denkbar?

Es ist höchste Zeit, dass das Verbot kommt. Die Vorgängerregierung hat da mehrere Fristen gerissen. Wie es mit der Eierkennzeichnung weitergeht, werden wir prüfen. Ich halte eine Ausweitung auf verarbeitete Produkte durchaus für sinnvoll.

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