Süddeutsche Zeitung hier Von Michael Bauchmüller, Berlin
Aufbruch auf dem Land
In normalen Jahren würde jetzt die Grüne Woche starten, das Festival der Landwirtschaft. Doch die Messe fällt wieder aus - in einem Jahr, in dem sich so viel Wandel ankündigt wie nie.
Allein 23 Millionen Schweine leben in diesem Land, dazu elf Millionen Rinder. Die Bedingungen in den Ställen entsprechen zwar europäischen Vorgaben, nicht aber dem, was sich viele Verbraucher unter artgerechter Haltung vorstellen. In ihrem Koalitionsvertrag stellten SPD, Grüne und FDP den Tierschutz gleich an den Anfang des Agrarkapitels, und weit vorne steht er nun auch für den neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Noch in diesem Jahr will er eine verbindliche Kennzeichnung von Fleischprodukten einführen. Sie soll Aufschluss darüber geben, wie es dem Vieh ergeht, wie viel Auslauf es bekommt und wie viel Platz im Stall. "Wenn es dann mehr Luft gibt im Stall, weniger Tiere", sagt Özdemir, "dann muss es auch kompensiert werden."
Einen Vorschlag dazu hatte schon in der vorigen Legislaturperiode eine Kommission unter Vorsitz des einstigen Agrarministers Jochen Borchert (CDU) erarbeitet. Landwirte sollten hier verbindlich Mittel für den Umbau ihrer Ställe erhalten, die Kommission veranschlagte sie auf bis zu 3,6 Milliarden Euro jährlich. Aufbringen sollten das entweder die Verbraucher, über eine Fleischabgabe, oder der Steuerzahler. So könnte die Mehrwertsteuer für Fleischprodukte von sieben auf 19 Prozent erhöht werden - wenn die Koalition sich darauf verständigen kann. Damit nicht genug, steht doch häufig das Baurecht gegen den Umbau der Ställe, es müsste entsprechend geändert werden. Und viel Zeit bleibt auch nicht: Vielen Betrieben steht das Wasser bis zum Hals, seit die Schweinepest die Exportmärkte hat zusammenbrechen lassen. Umweltschützer verlangen schon seit Langem, dass die Zahl der Nutztiere sinkt.
Insgesamt geht es der Landwirtschaft nicht gut. "Bäuerinnen und Bauern bekommen miserable, existenzbedrohende Preise", sagt Elisabeth Fresen, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. "Wir sind mitten im Höfesterben." Binnen zehn Jahren hatte sich die Zahl der Betriebe zuletzt um mehr als 36 000 verringert. Die bewirtschaftete Fläche aber blieb gleich - die verbliebenen Betriebe wurden also immer größer. "Wachse oder weiche, das will ich ändern", sagt Özdemir. Das System des "Immer höher, schneller, weiter" sei an eine Grenze gekommen.
....So lief es auch mit den deutschen Regeln zum Schutz des Grundwassers. Seit drei Jahrzehnten gilt in der EU eine Nitrat-Richtlinie, der Bundesregierung war das lange egal. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs erzwang schließlich eine neue Düngeverordnung, mit der unter anderem der Eintrag von Gülle in den Boden begrenzt werden sollte - jedenfalls in sogenannten roten Gebieten. Doch diese Gebiete wurden so weit eingegrenzt, dass von den knapp fünf Millionen Hektar nitratbelasteten Böden nur auf zwei Millionen Hektar besonders strenge Düngeregeln gelten.
Damit ist Brüssel nicht einverstanden, es drohen Strafzahlungen von mehr als 800 000 Euro - täglich. Fieberhaft suchen Bund und Länder nach einer Lösung. Nach Lage der Dinge dürfte die für viele Landwirte Einschränkungen bedeuten, und nicht alle sind gewillt, das hinzunehmen. Als vor zwei Jahren Bauern die Straßen Berlins belagerten, war die Düngeverordnung einer der Gründe......
Allianzen als Antwort
Immerhin tun sich aber nun ganz neue Partnerschaften auf. Der Bauernverband sucht die Nähe zum Naturschutzring, und das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium, die sich zuletzt nach Kräften gegenseitig blockierten, haben nun eine "strategische Allianz" besiegelt. Obendrein ist Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Agraringenieurin.
"Wir haben jetzt eine Umweltministerin mit Ahnung von Landwirtschaft und einen Landwirtschaftsminister ohne Stallgeruch, aber mit Pragmatismus", sagt Martin Hofstetter, Agrarexperte bei Greenpeace. "In der Konstellation steckt Musik."
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