Freitag, 1. März 2024

Umweltministerin stellt 100 Millionen Euro für neue Hecken bereit

Riffreporter  hier  von Christian Schwägerl  29.02.2024

Dieser Artikel ist Teil unserer Recherche-Serie „Countdown Earth: So lösen wir die Klima- und Artenkrise“.

Klimaschutz mit der Natur: Nicht nur Moore und Wälder, sondern auch Feldgehölze können große Mengen CO₂ binden. Ab 2025 steht für neue Hecken eine Rekordsumme bereit. Werden Landwirte und Grundbesitzer die Chance nutzen?

...Backhaus rackert gemeinsam mit Lokalpolitikern, Naturschutzexperten und Grundstücksnachbarn auf einem sechs Meter breiten Streifen zwischen zwei ausgedehnten Äckern, der der Gemeinde gehört und gegen Wildverbiss eingezäunt ist. Die Sträucher, die er bei diesem Freiluft-Festakt pflanzt, sind die ersten von insgesamt 1600. Schon bald soll sich hier eine 500 Meter lange Hecke erstrecken – keine tote Gartenhecke aus Thuja, sondern eine, die vor Leben nur so strotzt und brummt. Backhaus gerät ins Schwärmen über Hecken als „Multitalente der Landschaft“ und sieht hier in Grambow ein künftiges Habitat für mehr als tausend Arten vor seinen Augen, darunter „Käfer, Schmetterlinge und Vögel wie Rebhuhn, Dorngrasmücke und Neuntöter“. Die Landschaft sei zu DDR-Zeiten „sehr ausgeräumt worden“, sagt er. 6500 Kilometer teils uralter Hecken wurden seinem Ministerium zufolge allein in Mecklenburg-Vorpommern zerstört. Nun soll das Leben zurückkommen.

„Landschaft sehr ausgeräumt“

Knapp 26 Jahre ist Backhaus im Amt und hat in dieser Zeit schon bei vielen Terminen öffentlichkeitswirksam Bäume gepflanzt. Trotzdem ist dieser Tag etwas Besonderes: „Wir bringen ein neues Wertpapier auf den Markt“, sagt er in die Runde, die dem nasskalten Wetter trotzt. Der Minister klingt in diesem Moment wie der Chef einer Firma beim Börsengang: „Eine der sichersten Aktien der Welt“ würde hier gerade lanciert. In Wahrheit geht es um das neueste „ökologische Wertpapier“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Heckenscheck-Projekt in Mecklenburg-Vorpommern.

Bereits vier solche Wertpapiere hat das Land im Angebot. Das Prinzip ist bei allen gleich: Interessierte können über den Kauf symbolischer Aktien helfen, Maßnahmen für den Umwelt- und Klimaschutz zu finanzieren. Den Anfang machten die „Moorfutures“ für die Wiedervernässung der Feuchtgebiete. Es folgten „Waldaktien“ und „Streuobstgenussscheine“. Als viertes Wertpapier gibt es nun den „Heckenscheck“. Ein Augenzwinkern ist dabei. Es geht aber, wie Backhaus in ernstem Ton sagt, „um Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Artenschutz, also einige der wichtigsten Aufgaben der Menschheit.“

Das Feldgehölz, das zwischen zwei ausgedehnten Ackerflächen bei Grambow entsteht, ist das Pilotprojekt der Heckenscheck-Initiative. Firmen und Privatpersonen können Anteilsscheine kaufen, eine Agentur des Landes setzt mit dem eingenommenen Geld die Pflanzungen um. Den Clou des Wertpapiers hebt sich der Minister bis zuletzt auf: Die Neupflanzung dient auch dem Klimaschutz. „Ein Quadratmeter Hecke bindet mindestens 40 Kilogramm CO₂, das ist wahnsinnig beeindruckend“, sagt Backhaus. Wer Heckenschecks kaufe, könne damit ab sofort freiwillig CO₂-Emissionen kompensieren.

Hecken speichern Wasser und Kohlenstoff

Schon seit langem werden Feldhecken aus Sträuchern wie Weißdorn, Schlehen und Hasel dafür gepriesen, wie viel Leben sie in die Landschaft bringen. Zwischen den oft intensiv genutzten Feldern bieten sie Hasen und Rebhühnern Nahrung und Schutz, Schmetterlingen und Schwebfliegen Nektar – und sind zudem schön anzuschauen. Hecken sind eigentlich auch für Landwirte gut: Sie wirken der Bodenerosion entgegen, bremsen starke Winde ab, speichern für Dürrezeiten Wasser in den Boden ein.

Trotzdem galten Hecken während der Industrialisierung der Landwirtschaft Bauern als lästige Hindernisse für große Landmaschinen und als Platzverschwendung, weil sie auf diesen Flurstücken nichts anbauen können und auch kein Gras wächst. Seit den 1950er Jahren sind in Deutschland rund 90.000 Kilometer Hecken beseitigt worden, teils im Rahmen von Flurbereinigungen, teils für Baumaßnahmen, teils in Nacht-und-Nebel-Aktionen von Landwirten. Die lebenden Wälle galten Bauern lange als Hindernisse für ihre immer größeren Landmaschinen. Sie zu beseitigen, schuf zudem neue Anbauflächen. Ein erheblicher Teil der früheren Heckensäume entlang von Äckern, Weiden und Wegen – es könnte bis zur Hälfte sein – wurde deshalb zerstört. Entsprechend leer und verarmt sieht die Agrarlandschaft vielerorts aus.

Landwirtschaft ist nur zukunftsfähig, wenn neue Gehölze gepflanzt werden.
Jochen Fritz, Baumland-Kampagne

Doch nun kommt neuer Schwung in die Neuanpflanzung von Hecken. Projekte wie „Heckenscheck“ setzen auf eine bislang übersehene und hochaktuelle Fähigkeit der Feldgehölze: Kohlendioxid aufzunehmen und im Holz sowie im Boden zu binden. Das Potenzial zur CO₂-Speicherung wird als so groß angesehen, dass Bundesumweltministerin Steffi Lemke nach Informationen von „RiffReporter“ von Anfang 2025 bis Ende 2027 als Teil ihres „Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz“ stolze 100 Millionen Euro für neue Hecken zur Verfügung stellen will. Das stellt alle bisherigen Förderprogramme in den Schatten. Die Investition soll dabei helfen, eine „grüne Infrastuktur“ aus neuen Feldgehölzen, Knicks, Hecken und Baumpflanzungen auf Äckern zu schaffen, die landwirtschaftliche Anbauflächen gegen Erosion und Dürre schützt und die Artenvielfalt steigert. Damit will Lemke Landwirten helfen, sich auf Klimaextreme vorzubereiten und auch die Ziele des „Nature Restoration Law“ verfolgen, das vor wenigen Tagen das EU-Parlament verabschiedet hat.

Beitrag zum Klimaschutz mit Waagen bestimmt

Bisher standen bei den sogenannten „natur-basierten Lösungen“ im Klimaschutz hauptsächlich Moore und Wälder im Vordergrund. Wie groß indes das Potenzial von Hecken ist, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen-Instituts ermittelt, einer Bundesbehörde für Agrarforschung mit Sitz in Braunschweig. Im Projekt „CarboHedge” haben sie zwischen 2019 und 2023 an 23 Standorten in ganz Deutschland gemessen, wie viel Kohlenstoff normaler Ackerboden und normales Grünland speichern und was Hecken zusätzlich leisten können. Die Forscher untersuchten dazu, wie viel Biomasse das Gehölz auf die Waage bringt, aber auch, wie viel Kohlenstoff in den Wurzeln der Heckenpflanzen sowie im Boden im Vergleich zu Acker- und Grünlandfläche gespeichert wird.

Feldarbeit für das Projekt „CarboHedge“.

Projektkoordinatorin Sophie Drexler vom Thünen-Fachinstitut für Agrarklimaschutz bewertet die Ergebnisse sehr positiv: „Wird eine Hecke auf Ackerland neu gepflanzt, werden im Durchschnitt rund 380 bis 400 Tonnen Kohlendioxid pro Hektar gebunden“, sagt sie. Neuere Untersuchungen deuten sogar auf 500 Tonnen pro Hektar hin. Das entspricht zum Beispiel auf einem zehn Meter breiten Streifen mit einem Kilometer Länge den durchschnittlichen Emissionen von 48 bis 63 Menschen in Deutschland aus einem Jahr. Der heimische Pro-Kopf-Ausstoß von CO₂ pro Jahr liegt derzeit bei acht Tonnen.

Auch für die Anpassung an immer härtere Klimabedingungen und Extremwetter eignen sich Hecken gut, weil sie die Landschaft gegen Stürme und Dürre wappnen. Mit dem Nachfolgeprojekt „CatchHedge” will das Thünen-Institut nun herausfinden, wie groß das Potenzial insgesamt ist: Wie wirken sich großangelegte Heckenpflanzungen auf den Wasserhaushalt der Umgebung aus? Beeinflussen sie die Ernten der Feldfrüchte? Und vor allem: Wie werden sie wirtschaftlich attraktiv – könnten CO₂-Zertifikate helfen? Denn ob Hecken gepflanzt werden oder nicht, das steht und fällt mit der Akzeptanz und dem Interesse bei Landwirten und Grundbesitzern.

„Heckenretter“ wollen aus Beeren hochwertige Produkte machen

Bei den Menschen, die Mitte Januar in Berlin zum „1. Bundesweiten Heckentag“ zusammenkommen, gibt es keinen Mangel an Begeisterung für die ökologischen Alleskönner. Eingeladen hatte die „Baumland-Kampagne“, eine Initiative der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“, in der Bauern und Bäuerinnen mit eher kleinen, auf Nachhaltigkeit bedachten Höfen sowie umweltbewusste Menschen zusammengeschlossen sind. Neue Initiativen stellen sich vor, darunter neben dem „Heckenscheck“-Team die „Heckenretter“ aus Hamburg. Sie organisieren Heckenpflanzungen, um später Holunder, Hagebutten oder Schlehen ernten und daraus hochwertige Produkte erzeugen zu können. Deren Verkauf soll dann die fachgerechte Pflege mitfinanzieren. Denn Hecken müssen immer wieder zurückgeschnitten werden, schon um nicht zu sehr in den Acker zu wuchern und zu viel Schatten zu werfen. Ein „regionaler Kreislauf rund um die Hecke“ ist das Ziel der „Heckenretter“.

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Förderung nicht nur in der Anfangsphase

Das Team der Baumland-Kampagne hat in mehrmonatiger Recherchearbeit versucht, die praktischen Ursachen für diese Zurückhaltung zu ergründen. Ein wesentlicher Faktor: Landwirte sind heute in vielen Fällen nicht mehr Eigentümer, sondern nur Pächter ihrer Flächen. Eigentümer wollen aber eine möglichst hohe Pacht verlangen können – und die lässt sich nur durch die maximale Nutzung der Flächen darstellen. Zuschüsse für Hecken gibt es nur einmal, Ernteerträge jedes Jahr neu.

Rebhühner sind selten geworden – auch weil schützende Hecken fehlen.

Größere Hecken werden nach dem Gesetz aber in ihrer Einstufung dauerhaft vom Agrarland abgezogen und dürfen eigentlich nie wieder entfernt werden, was eine neuerliche Nutzung zum Anbau für immer ausschließt. Ein Landwirt, der aktuell eine Fläche pachtet, könnte also durchaus an der Anlage einer Hecke interessiert sein – doch der Grundeigentümer legt sich in vielen Fällen quer, weil auf den Flächen nie wieder angebaut werden kann. Hier könnte ein „Naturschutz auf Zeit“ helfen, sodass Landwirte und Eigentümer zum Beispiel nach zehn Jahren entscheiden können, ob sie die Hecke beibehalten oder das Land wieder für andere Zwecke brauchen.

Es gibt die Hecken, weil sie nützlich sind, aber dann dürfen sie nicht genutzt werden.

Alexandra Werdes, Heckenretter

Als weiteres großes Hemmnisse beschreiben Praktiker, dass der Staat bisher Fördergelder nur für die erste Phase der Anpflanzung bietet. Hecken bedürfen aber der Pflege. Sie müssen zum Beispiel zurückgeschnitten werden, um nicht zu viel Schatten zu werfen. „Es braucht nicht nur attraktive, sondern vor allem auch langfristige Fördermaßnahmen, die die Pflege dauerhaft einschließen“, fordert Malin Tiebel, Koordinatorin bei der Baumland-Kampagne.

Führt mehr Freiraum bei der Nutzung zu mehr Hecken?

Alexandra Werdes, Gründerin der „Heckenretter“, bemängelt allzu strenge Naturschutzgesetze, die die Nutzung von Hecken erschwerten. Einmal als „wertvolles Landschaftselement“ kategorisiert, unterliegen Hecken nämlich auch starren Regeln, die Landwirten bei ihrer wirtschaftlichen Nutzung die Hände binden. So ist es zum Beispiel ohne aufwändige Genehmigungen selbst auf dem eigenen Grund und Boden verboten, Schlehen gewerblich abzusammeln und etwa als Essig oder Spirituosen weiterzuverarbeiten. Ebenfalls untersagt ist vielfach, die Hecken auf den Stock zu setzen, also stark zu stutzen, und das Schnittgut gehäckselt für die Wärmeerzeugung einzusetzen, während die Gehölze nachwachsen.

„Es gibt die Hecken, weil sie nützlich sind, aber dann dürfen sie nicht genutzt werden“, kritisiert Werdes. Hemmt also ausgerechnet das gesetzliche Verbot, Hecken zu nutzen und wieder zu beseitigen, ihre Neuanlage? Werdes fordert, die Regeln flexibler zu gestalten und Neues auszuprobieren. Angesichts des dringenden Bedarfs an neuen Feldgehölzen brauche es „jetzt auf jeden Fall Raum für Experimente.“

Aber nicht nur private Grundbesitzer und Bauern können neue Hecken pflanzen, auch Gemeinden. Einer der erfolgreichsten Heckenexperten des Landes ermuntert beim „Heckentag“ Kommunen, ihre Feldwege neu zu vermessen. Hermann Wiesing ist ausgebildeter Landwirt, hat sich aber seit den 1990er Jahren der Bereicherung der Flur verschrieben. Mit seinem Planungsbüro hat er bis jetzt in Brandenburg 200 Kilometer Hecken projektiert, 16 Kilometer allein im letzten Jahr.

Wiesing sagt, dass vielerorts Landwirte aus Eigeninteresse Hecken pflanzen wollen, um sich für die Folgen des Klimawandels zu wappnen. Er weiß aber auch zu berichten, dass es viel Widerstand gibt und eine schleichende Vereinnahmung von Flächen durch die Landwirte. „Oft sind Wege nur noch 3,5 Meter breit und grenzen direkt an Äcker, obwohl der Gemeinde 10 Meter gehören“, sagt Wiesing. Das bedeutet, dass Flächen von Gemeinden untergepflügt wurden. Er schlägt vor, dass sich die Gemeinden ihre Flächen mittels Vermessung zurückholen und mit Hecken bepflanzen..

Naturgenuss Feldhecke.

Am Geld jedenfalls dürfte das Heckenpflanzen in den kommenden Jahren nicht mehr scheitern. Beim „Heckentag“ Mitte Januar musste sich Bettina Hoffmann, parlamentarische Staatssekretärin des Bundesumweltministeriums, bei dem Thema noch in Schweigen hüllen. In vielen Beiträgen ging es darum, wie wenig Geld in manchen Bundesländern zur Verfügung steht, und wie schwierig es wegen der komplizierten Bedingungen wiederum anderswo ist, genügend interessierte Landwirte zu finden.

Hecken können nicht unser Klima retten, aber sie können einen wichtigen Beitrag leisten.

Sophie Drexler, Thünen-Institut

Doch nun steht die stolze Summe von 100 Millionen Euro für Hecken im Rahmen des „Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz“ fest, die Umweltministerin Lemke investieren will. „Erhaltung und Neuanlage von Strukturelementen und Flächen insbesondere der Agrarlandschaften mit einer positiven Klima- und Biodiversitätswirkung (Hecken, Knicks, Agroforstsysteme, Baumreihen oder Feldgehölze) gezielt fördern“ heißt der Posten.

Neue Hecken könnten Emissionen von bis zu 200.000 Menschen binden

Von dem Geldregen für Hecken können Landwirte unmittelbar profitieren. Die größte Unbekannte dabei ist allerdings, ob solche zukunftsgewandten Ansätze in der aktuell angespannten politischen Stimmung rund um die Landwirtschaft eine Chance haben. Obwohl Umweltmaßnahmen inzwischen einen erheblichen Anteil am Einkommen von Bäuerinnen und Bauern haben und die Höfe gegen zunehmende Klimaextreme schützen können, werden sie auf vielen der Kundgebungen und Traktorprotesten der Landwirte derzeit als Zumutung und Schikane angeprangert.

Das Potenzial für den Klima-, Natur- und Artenschutz durch neue Hecken ist jedenfalls enorm. Beim Thünen-Institut wird bereits das Szenario durchgespielt, das deutschlandweite Netz der Hecken in seiner früheren Länge wiederherzustellen. Würde man die seit den 1950er Jahren zerstörten 90.000 Kilometer wieder anpflanzen, könnte man nicht nur sehr viel für die bedrohten Tier- und Pflanzenarten der Agrarlandschaften tun und Äcker gegen Wind und Dürre schützen, sondern auch die CO₂-Reduktion voranbringen: Bei einer Breite von sieben Metern über zwanzig Jahre hinweg würden die neuen Hecken jedes Jahr rund 1,2 Millionen bis 1,6 Millionen Tonnen CO₂ einspeichern. Das entspricht über diesen Zeitraum jeweils den jährlichen heutigen Emissionen von 150.000 bis 200.000 Menschen in Deutschland oder von zwei Zementwerken. „Hecken können nicht unser Klima retten“, sagt Thünen-Forscherin Sophie Drexler, „aber sie können einen wichtigen Beitrag leisten.“

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