hier Süddeutsche Zeitung 22. März 2024, Von Michael Bauchmüller
Die Preise für Strom und Gas fallen, sind weit entfernt von den Spitzenwerten des Sommers 2022. Doch viele Bürger stecken in teuren Altverträgen - und dann steht da noch die Präsidentschaftswahl in den USA an.
Der Winter ist vorbei, passiert ist schon wieder: nichts. Keine Notlage auf dem Gasmarkt, kein Blackout, kein Industriebetrieb, der mangels Brennstoff die Produktion drosseln musste. Die Gasspeicher sind immer noch zu zwei Dritteln gefüllt, die Preise für Strom und Gas fallen. War es das etwa mit der Energiekrise?
Ja, sagt die Nürnberger Ökonomin und Wirtschaftsweise Veronika Grimm: "Die unmittelbare Energiekrise ist vorbei." Zwar könne immer noch Unerwartetes passieren. "Aber wir sind besser aufgestellt als früher." Russisches Gas strömt seit 2022 nicht mehr direkt ins Land, stattdessen wird nun an vier schwimmenden LNG-Terminals Flüssigerdgas angelandet, zwei weitere sollen folgen. Norwegen liefert Gas wie nie. Und der Winter war mal wieder mild.
Auch die Bundesnetzagentur, Schaltzentrale im Fall einer Gasmangellage, gibt vorsichtig Entwarnung. "Wir blicken recht entspannt auf 2024", sagt deren Präsident Klaus Müller. "Das hätte alles viel schlimmer kommen können." Überstanden sei aber längst noch nicht alles. "Auch im nächsten Winter wird die Gefahr von Engpässen ein Thema bleiben", sagt Müller.
Weiterhin bestehe die Gefahr, dass Russland über Nacht die Gaslieferungen nach Osteuropa und Österreich einstelle, als Teil einer Eskalation. Damit könnte der Kreml Europa erneut unter Druck setzen. "Und keiner weiß, wie kalt der nächste Winter wird", sagt Müller. "Wir werden also weiter wachsam sein." An den Märkten für Strom und Gas allerdings spiegelt sich die Sorge nicht. Gas wird mittlerweile zu Preisen wie zuletzt 2021 gehandelt. Der Strompreis pendelt irgendwo zwischen 50 und 100 Euro je Megawattstunde - alles weit entfernt von den Spitzenwerten im Spätsommer 2022, nach dem plötzlichen Ende russischer Gaslieferungen. Strom und Gas in der Spitze kosteten da mehr als zehnmal so viel.
Die Wirtschaftsweise Grimm war damals eine der Vorsitzenden einer Regierungskommission zur Bewältigung der Krise. Wer einen neuen Gasvertrag abschloss, zahlte seinerzeit nicht 6,8 Cent je Kilowattstunde wie im Herbst 2021, sondern 21 Cent. Die Kommission sah in hohen Preisen eine neue Realität, an die man sich gewöhnen müsse. Um Haushalte zu entlasten, entwickelte sie eine "Gaspreisbremse".
Die ist mittlerweile Geschichte, Ende 2023 lief die Preisbremse aus. Die hohen Preise sind es aber auch. Für neue Verträge meldet das Vergleichsportal Verivox nun einen Durchschnittspreis von 6,7 Cent - niedriger als zu Krisenbeginn.
"Das hat sich alles viel schneller normalisiert, als wir es im Herbst 2022 erwartet hatten", sagt Grimm. Auch der Verbrauch ging zurück - allerdings teilweise, weil energieintensive Betriebe die Produktion drosselten. "Die Frage ist, ob diese Industrie zurückkommt", sagt Grimm. "Ich kann nur sagen: Hoffentlich."
Zumindest viele Haushalte können aber aufatmen. "Die Aussichten sind viel besser als vor zweieinhalb Jahren", sagt Thomas Engelke, Energieexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband. "Aber das heißt nicht, dass die Preise für alle Haushalte jetzt wieder unten sind." Viele steckten noch in alten Verträgen, die sie zu hohen Preisen abgeschlossen haben. Gesunken sind die Preise aber nur für neue Verträge. "Es lohnt sich also, die Anbieter zu wechseln, wenn man aus den Altverträgen rauskann", rät Engelke.
Auf viele Mieterinnen und Mieter kommen Nachzahlungen für das teure Jahre 2022 zu
Obendrein bekommen viele Mieterinnen und Mieter die Krise mit Verzögerung zu spüren - weil jetzt noch verspätete Nachzahlungen für das teure Jahr 2022 auf sie zukommen. Gerade bei der Fernwärme sind diese Nachzahlungen oft hoch, denn Wettbewerb gibt es dort nicht. Ein gravierendes Problem, klagt Engelke. Insgesamt aber habe Berlin in der Krise vieles richtig gemacht. "Sicher war nicht alles perfekt", sagt er. "Aber die schlimmsten Folgen für die Haushalte hat die Regierung abwenden können."
Nicht alle sehen das so positiv. Deutschland habe zwar schnell reagiert, sagt Karen Pittel, die das Münchner Ifo-Zentrum für Klima, Energie und Ressourcen leitet, "aber die Europäer haben das zu wenig untereinander koordiniert". Als Forscher kürzlich die Reaktionen in der EU zählten, kamen sie auf 439 verschiedene Maßnahmen. "In einer Zeit, in der das Nationale wieder stärker wird, hat der Umgang mit der Energiekrise die Europäer sicher nicht geeint", sagt Pittel. Auch den Ausbau der LNG-Terminals habe Berlin kaum abgestimmt - und gleichzeitig zu wenig getan, um vom Gas loszukommen.
Das nächste Problem könnte so schon nach einer Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten dräuen, denn Deutschland ist nun auf Gas aus den USA angewiesen wie nie. "In gewisser Weise", sagt Pittel, "haben wir da eine Abhängigkeit durch eine andere ersetzt."
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