Es treibt schon seltsame Blüten rund um den Hype um Atomkraft. Schade, denn die investierten Milliarden könnten sicherlich besser eingebracht werden, als sie ohne Gewähr in alter Infrastruktur zu versenken. Und natürlich sollte der Kohlestrom bald ersetzt werden.
hier Focus
Jetzt wagt Biden ein Milliarden-Experiment, das in Deutschland nicht mehr geht
Die USA setzen auf Atomkraft - doch der Bau konventioneller neuer Kraftwerke ist zu teuer. In einer Premiere soll daher im US-Staat Michigan ein stillgelegtes Akw wieder fit gemacht und hochgefahren werden. Noch bleiben aber viele Fragen offen.
Es ist ein Dilemma, das derzeit viele Industriestaaten kennen: Die USA wollen wieder verstärkt auf die Atomkraft setzen, doch die Konstruktion neuer Meiler ist atemberaubend teuer. Im Vogtle-Atomkraftwerk nahe der Stadt Waynesboro im Bundesstaat Georgia gingen im Juli 2023 und in diesem März zwei neue Reaktorblöcke in Betrieb - für insgesamt 35 Milliarden Dollar.
Was in Georgia passierte, soll sich in Michigan nicht wiederholen. Für zusätzliche Kernenergie baut man dort kein neues Atomkraftwerk - sondern holt ein altes aus der Mottenkiste. Das Kernkraftwerk Palisades am Ufer des Lake Michigan im Südwesten des Bundestaates stellte im Mai 2022 seinen Betrieb ein, das Unternehmen Holtec International aus Florida will es jetzt wieder hochfahren.
Nukleare US-Premiere
Dafür stellt die Regierung von US-Präsident Joe Biden große Summen bereit. Am Mittwoch gab das Energieministerium bekannt, das Projekt mit einer Bürgschaft über 1,5 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Bis mindestens 2051 soll das flottgemachte Kraftwerk dann betrieben werden.
„Die Kernenergie ist unsere größte Quelle von CO2-freier Energie und schafft 100.000 Jobs im ganzen Land“, sagte Energieministerin Jennifer Granholm in einer Mitteilung. Auch Gretchen Whitmer freut sich: Das Palisades-Kraftwerk werde das erste erfolgreich wiedereröffnete Kernkraftwerk der US-amerikanischen Geschichte sein, sagte die demokratische Gouverneurin von Michigan. Die Anlage könne Strom für 800.000 Haushalte erzeugen.
Verlängerung im Teufels-Canyon
Insgesamt 93 Reaktoren sind derzeit in den USA aktiv, damit stehen die Vereinigten Staaten weltweit mit Abstand auf Platz 1. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien sieht die Biden-Regierung die Kernkraft als wichtiges Puzzleteil zur Klimaneutralität. Und das nicht nur in Michigan: Im Bundesstaat Kalifornien hätte das Kraftwerk Diablo Canyon eigentlich spätestens im nächsten Jahr schließen sollen, mit Hilfe einer staatlichen Bürgschaft wurde die Laufzeit jedoch bis 2035 verlängert.
Gerade die Bevölkerungszentren an den Küsten sind auf Kohlestrom-Importe aus anderen Bundesstaaten angewiesen. Atomkraft könnten den schmutzigen Kohlestrom ersetzen. Das Palisades-Projekt alleine soll die Erzeugung von 4,47 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr vermeiden - das entspricht den Emissionen von knapp einer Million Verbrenner-Autos.
Neue Konkurrenz
Doch ob der Biden-Plan aufgeht, ist noch unklar. Denn dass Anlagen wie Palisades geschlossen wurden, hat seinen Grund: Einerseits sind viele Kraftwerke bereits in die Jahre gekommen. Der Reaktorbetrieb in den USA ist auf 40 Jahres ausgelegt - eine Verlängerung um 20 Jahre ist möglich, bedingt aber meist umfangreiche Reparatur- und Modernisierungsarbeiten. Für viele Kraftwerksbetreiber lohnt sich das nicht.
Und dann ist da noch die Konkurrenzsituation: Vor allem erneuerbare, aber auch fossile Energien sind in den USA mittlerweile sehr viel günstiger in ihrer Erzeugung als die Kernkraft. Das Palisades-Kraftwerk musste schließen, weil es fast 100 Prozent seines Stroms an einen örtlichen Versorger namens Entergy abgab - der aber den Liefervertrag nicht mehr verlängern wollte, aus Kostengründen. Es gebe mittlerweile „ökonomischere Alternativen, um die Versorgung der Region mit verlässlicher Energie sicherzustellen“, hieß es in einer Mitteilung von Entergy aus dem Dezember 2016.
Zu welchen Preisen das wiederbelebte Kraftwerk einmal seinen Strom anbieten kann, ist noch unklar. Und auch die Biden-Regierung will sich nicht alleine darauf verlassen: Das Energieministerium fördert ebenfalls mit Milliardensummen die Erforschung und den Bau sogenannter Mini-Reaktoren, der „small nuclear reactors“ (SMR). Auch auf dem Palisades-Gelände in Michigan sollen einmal zwei dieser Reaktoren stehen, verkündete Eigentümer Holtec. Mitte der 2030er-Jahre sollen die Mini-Akws den Betrieb aufnehmen - direkt neben dem Reaktor aus der Mottenkiste.
hier Frankfurter Rundschau 29.03.2024 Rainer Grießhammer
High Risk und High-Cost
Deutschlands Atom-Ausstieg ist vollzogen, andere Länder steigen voll ein. Das zeigt auch der kürzlich abgehaltene Atomenergie-Gipfel in Brüssel – wo Gegenargumente vergessen werden. Die Kolumne.
Wenn es dunkel und unsicher wird im Wald, fängt man an zu pfeifen. Das dürfte der wesentliche Grund für den ersten internationalen Atomenergie-Gipfel gewesen sein, der just in Brüssel stattfand. Denn die Aussichten für AKW sind denkbar schlecht. Mehr Silllegungen als Neubau. Und bei allen der vier Entscheidungskriterien für nachhaltige Technologien schneidet die Atomenergie miserabel ab.
Die Kosten für neue AKW und für Atomstrom steigen massiv an: Paradebeispiel ist das britische Hinkley Point – mit voraussichtlichen Kosten von 40 bis 50 Milliarden Euro. Laut „Manager-Magazin“ wäre es „das teuerste Kraftwerk, seit es Elektronen gibt.“ Die Stromkosten werden dann bei über 15 Cent pro Kilowattstunde liegen, weit über dem Marktpreis. Das US-Leuchtturmprojekt für die als besonders kostengünstig angepriesenen Mini-AKW (SMR) wurde eingestellt, weil die Kosten des Atomstroms deutlich über denen der Erneuerbaren Energien liegen würden.
Die Risikopotentiale der Atomenergie
Die Abhängigkeit von ausländischen Importen ist sehr hoch. Deutschland hat keine Uranreserven. Hauptlieferant für Europa ist ausgerechnet Russland!
Es gibt wohl keine andere Technologie, die so große Risikopotentiale hat wie die Atomenergie. Das gilt nicht nur für Super-GAUs wie in Tschernobyl und Fukushima, sondern auch für konventionelle Kriege (siehe Ukraine), für potentielle Terrorangriffe auf AKW und Zwischenlager sowie für die Proliferation von Plutonium für Atomwaffen.
Für den Klimaschutz käme ein Ausbau viel zu spät
Für den Klimaschutz müssen die CO2-Emissionen niedrig sein, und die Technologie schnell und weltweit breit einsetzbar sein. Die CO2-Emissionen sind bei AKW niedrig, aber höher als bei den Erneuerbaren Energien (wegen des aufwendigen Baus der AKW und der Uranaufbereitung). Weltweit wurden 2022 aber nur noch neun Prozent des Stroms durch AKW erzeugt.
Wenn man nur die Hälfte des globalen Stromverbrauchs mit AKW produzieren wollte, bräuchte man statt bisher 450 dann 2500 große AKW oder 250 000 Mini-AKW à 10 Megawatt. Aber die dürften natürlich nicht in Krisenregionen stehen – also nicht in Afghanistan, Pakistan, Nahost, Ukraine ... Unabhängig davon würde ein Ausbau vieler AKW mindestens 20 bis 30 Jahre dauern und käme für den Klimaschutz viel zu spät.
Fazit: Ab ins Endlager mit allen Ausbau- und Neubauphantasien für Atomkraftwerke.
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