Mittwoch, 13. März 2024

Wie Protest erfolgreich sein kann

Freitag hier  Dorian Baganz

Die magischen 3,5 Prozent: Friedemann Karig erklärt, wie Protest erfolgreich wird

Klimabewegung Am „Earth Day“ 1970 demonstrierten 20 Millionen Amerikaner für den Erhalt der Umwelt – einer der größten Proteste der Menschheit. Dennoch ging der CO₂-Ausstoß weiter. Wie Klimaaktivismus erfolgreicher sein kann, erklärt Friedemann Karig

Ein Orchester aus Dutzenden Geigen, Cellos und Trompeten spielt unter Bäumen die mittelalterliche Hymne Dies irae („Tag des Zorns“). Notenständer stehen auf der vertrockneten und ausgetrampelten Wiese, Handykameras filmen, operettenhafter Gesang schallt laut über den Platz. Am Ende wird wild geklatscht. Man kann sich diese Szenen vom September 2023 heute noch bei Youtube ansehen. Wahrscheinlich markieren sie einen der euphorischsten Momente der Klimagerechtigkeitsbewegung, zumindest in jüngerer Zeit.

Die Komposition Dies irae hatten sich die Aktivisten von Extinction Rebellion (XR) nicht ohne Grund ausgesucht: Sie handelt vom Tag des jüngsten Gerichts. Das passte gut zu ihrer Blockade der sechsspurigen Autobahn A12 in Den Haag, mit der sie gegen fossile Subventionen demonstrierten. Einige Monate zuvor war durch geleakte Dokumente herausgekommen, dass der niederländische Staat bis zu 46,4 Milliarden Euro in klimaschädliche Industrien steckt: in den Schiff- und Luftverkehr, sowie in Kohlekraftwerke und Raffinieren. Also startete XR mit der A12-Blockade. Eines Tages schlossen sich Menschen mit ihren Instrumenten an und musizierten zusammen. Die Instrumente wurden zwar von der Polizei konfisziert.

Aber schon wenige Wochen später zeigte sich, wie erfolgreich ihr Protest war: Eine deutliche Mehrheit der Parlamentsabgeordneten stimmte im Oktober 2023 einem Antrag zu, der die niederländische Regierung dazu aufforderte „Szenarien aufzustellen“, damit in den nächsten Jahren endlich Schluss sei mit fossilen Subventionen. Der vielbeschworene „Druck von der Straße“ hatte in den Niederlanden Früchte getragen.

Friedemann Karig erinnert in Was ihr wollt: Wie Protest wirklich wirkt an diesen krassen Erfolg der Klimagerechtigkeitsbewegung. Zurzeit strotzt diese nicht gerade vor Selbstbewusstsein. Ihrer globalen Ikone Greta Thunberg wird Antisemitismus vorgeworfen. Und auch in Deutschland sind die Zeiten vorbei, in denen Fridays for Future an einem einzigen Tag 300.000 Menschen auf die Straße bringt, wie damals, im März 2019. Karigs neues Buch ist eine Art Anleitung für funktionierenden Aktivismus. Für die Klimabewegung kommt diese genau zum richtigen Zeitpunkt.

Karig versucht, „objektive Mechanismen von Protest festzustellen“. Dabei steht eine Frage im Vordergrund: Wann ist Aktivismus erfolgreich? Das Klima mäandert dabei als vielleicht wichtigstes Thema durch das gesamte Werk. Zum Beispiel fragt sich Karig: Wie kann es sein, dass am 22. April 1970 zum „Earth Day“ 20 Millionen Amerikaner auf die Straße gingen, um für den Erhalt unserer Umwelt zu demonstrieren und der CO₂-Ausstoß dennoch bis heute ungebremst weitergeht? Warum zur Hölle war „einer der größten Proteste der Menschheitsgeschichte“, wie Karig schreibt, so wenig erfolgreich? Zum Glück hat er einige Antworten parat, wie (Klima-)Protest in Zukunft einen größeren Impact haben könnte.

Die Klimabewegung muss die Säulen der Gesellschaft auf ihre Seiten ziehen

Zum Beispiel erinnert er an „eine inzwischen legendäre Zahl“: 3,5 Prozent. Diese geht auf eine Studie der amerikanischen Politikwissenschaftlerinnen Erica Chenoweth und Maria Stephan zurück. 2011 hatten die beiden in Why Civil Resistance Works eine bahnbrechende Entdeckung gemacht: Jedes Mal, wenn es in der Geschichte einer Bewegung gelungen war, dreieinhalb Prozent (oder mehr) der Bevölkerung zum Mitmachen zu animieren, war „grundlegende Erneuerung erreicht“ worden. Ein Beispiel: die DDR im Jahr 1989. In Deutschland entsprächen 3,5 Prozent heute ungefähr drei Millionen Menschen. Wenn man die alle dazu bekäme, bei Fridays for Future oder einer anderen Ökobewegung mitzulaufen, wären echte Klimaschutzmaßnahmen also nicht mehr aufzuhalten?

Luisa Neubauer, die Karig für sein Buch interviewt hat, gibt ihm eine überraschend ehrliche Antwort auf die Frage, wie man viele Leute auf eine Demo bekommt: „Die kurze Antwort lautet: Fomo.“ Die Abkürzung steht für Fear of Missing out, also die Angst davor, ein wichtiges Event zu verpassen. „Der Moment, wo Protest wirklich relevant wird, entsteht für mich, wenn Menschen das Gefühl haben, sie verpassen etwas, wenn sie nicht kommen“, so Neubauer.



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