hier Stand:17.03.2024, Von: Joachim Wille
Indien baut Solaranlagen satt, hängt aber noch zu sehr an fossilen Energien. Regierungschef Modi dürfte auch nach der Parlamentswahl im April und Mai den Energiemix bestimmen.
Indien ist das Land mit dem dritthöchsten Treibhausgas-Ausstoß, nach China und den USA. Doch bei den Pro-Kopf-Emissionen liegt es weit unter den Obereinheizern aus Nordamerika, Ostasien oder Europa. Ein Mensch in Indien ist im Schnitt für 1,2 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr verantwortlich, während China und die EU hier auf acht und die USA sogar auf fast 15 Tonnen kommen.
Trotzdem entscheidet die Klimapolitik in dem Riesenland mit seinen 1,4 Milliarden Menschen natürlich mit über die künftige globale Lebensqualität, denn wie sich in Indien die Emissionen entwickeln, ist ein zentraler Faktor. Und bei den in diesem Jahr anstehenden Parlamentswahlen ist das zunehmend ein Thema.
Global war das vergangene Jahr das heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen, Temperaturen näherten sich der Erwärmungsschwelle von 1,5 Grad Celsius. Das hatte Folgen, gerade auch in Indien. Das Land erlebte von Januar bis September fast durchgängig extreme Wetterereignisse, darunter schwere Hitzewellen und Mega-Regenfälle.
Klimapolitik: „hochgradig unzureichend“
Es sei die neue „Abnormalität“ in einer sich erwärmenden Welt, urteilte der Thinktank Centre for Science and Environment in Neu-Delhi. Viele auf dem Subkontinent sind damit konfrontiert, Indien hat weltweit die größte Bevölkerung, die extremen Wetterereignissen ausgesetzt ist. Kein Wunder also, wenn Aarti Khosla, Gründerin des Instituts Climate Trends, feststellt, das Thema Klimawandel bewege sich von der Peripherie stärker ins Zentrum des Wählerinteresses. Auch hätten die Parteien zunehmend Umwelt, Klima und Energie in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Die Frage ist allerdings, ob und welche Veränderungen das bringt.
Bei den Wahlen im April und Mai strebt Premierminister Narendra Modi mit seiner rechten Indischen Volkspartei (BJP) eine dritte Amtszeit an. Gegenwärtig hält sie die alleinige Mehrheit im Unterhaus des Parlaments in Neu-Delhi, der Lok Sabha. Die BJP verfügt dort über 303 der 543 Sitze. Zweitstärkste Kraft, aber weit abgeschlagen, ist die Kongresspartei, die das Land lange regiert hatte, zuletzt aber nur noch auf knapp zehn Prozent und damit 52 Abgeordnete kam.
Beobachter:innen erwarten, dass wegen der aus sehr vielen Parteien bestehenden und zerstrittenen Opposition der nächste Wahlsieger schon feststeht: Modi mit seiner BJP. Allenfalls könnte er, läuft es schlecht für ihn, auf kleinere Koalitionspartner angewiesen sein. Damit steht zu erwarten, dass die Klimapolitik weiter dem bisherigen Muster folgt, das von dem renommierten Bewertungsportal Climate Action Tracker (CAT) ein „hochgradig unzureichend“ ausgestellt bekommt – womit Indien sich freilich gleichauf mit den meisten großen Industrie- und Schwellenländern befindet.
Anstieg der Stromnachfrage
Der Subkontinent verfolgt laut dieser Analyse einen Vier-Grad-Erwärmungspfad, betreibt also eine Politik, die die Ziele des Pariser Klimavertrags mit seinem 1,5-bis-zwei-Grad-Limit weit verfehlt.
Die CAT-Fachleute sehen durchaus Lichtblicke. So gebe es „erhebliche Fortschritte“ beim Ausbau der erneuerbaren Energien, Indien belegte danach 2022 weltweit den vierten Platz bei der Neuinstallation von Solar- und Windkraft-Kapazitäten.
Das werde aber durch gegenläufige Entwicklungen konterkariert. So nehme die Abhängigkeit des Landes von fossilen Brennstoffen weiter zu, „da es Kohle- und Gaskraftwerke anweist, mit Spitzenleistung zu arbeiten, um den Anstieg der saisonalen Stromnachfrage zu decken, der durch rekordheiße Sommer verursacht wird“.
Tatsächlich ist der Anteil von Kohle am Gesamt-Energieverbrauch zwischen 2000 und 2020 von 33 auf 44 Prozent angestiegen. Im vergangenen Jahr haben sowohl die indische Kohleproduktion als auch die Kohleimporte neue Rekordhöhen erreicht. Dementsprechend weist Indiens Emissionskurve deutlich nach oben, und auch der Pro-Kopf-Ausstoß steigt an, wenngleich ausgehend von einem noch vergleichsweise niedrigen Niveau.
Es gab zuletzt durchaus positive Entwicklungen in Neu-Delhis Energiepolitik. So hat die Regierung beschlossen, dass die Energieversorger den Anteil erneuerbarer Energien im Netz von zuletzt 25 Prozent bis 2030 auf gut 43 Prozent erhöhen müssen.
Zudem sollen die Kapazitäten für Stromspeicher wachsen, und es wurde ein Anreizprogramm für die Herstellung von Elektrolyseuren zur Produktion von grünem Wasserstoff beschlossen. Damit ist Indien zwar auf dem Weg, seine selbst gesetzten CO2-Ziele für 2030 zu überbieten. Diese reichen laut den CAT-Berechnungen aber eben bei Weitem nicht aus, um das Land auf einen 1,5-bis-2-Grad-Pfad zu bringen.
Internationale Unterstützung erforderlich
Vielmehr müssten der Bau neuer Kohlekraftwerke gestoppt, die vorzeitige Stilllegung bestehender Anlagen geplant und eine neue Abhängigkeit von Flüssigerdgas-Importen durch den Bau neuer LNG-Terminals- und Pipelines, wie er derzeit läuft, vermieden werden. CAT setzt darauf, dass Indiens Regierung ihre Klimaziele mit Blick auf das 1,5-Grad-Limit verschärft.
Dafür sei allerdings „viel internationale Unterstützung“ erforderlich. „Indien könnte ein ehrgeiziges bedingtes Ziel festlegen, um anzugeben, was man zu tun bereit wäre, wenn Unterstützung zur Verfügung gestellt würde“, schreibt CAT. Ob die neue Regierung einen solchen Schritt gehen würde, ist offen.
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