RND hier Timm Lewerenz 13.03.2024
Der „Eco-Gender-Gap“
Durchschnitts-Deutschland: Die Frau ernährt sich häufiger vegetarisch, fährt Bus, kümmert sich um die Familie – der Mann isst Fleisch und fährt Auto.
links: Plakat von einer Bauern-DemoStudien zeigen, dass Frauen umweltbewusster leben als Männer. Sogar von „fossiler Männlichkeit“ und einem „Eco-Gender-Gap“ ist die Rede. Zeitgleich leiden Frauen stärker unter Klimawandel und Umweltverschmutzung. Ein Blick in die Erforschung ökologischer Ungerechtigkeit – und eine grüne Zukunft für alle.
Wen sehen Sie vor sich, wenn Sie an Umwelt- oder Klimaschutz denken? Klimaaktivistinnen wie Luisa Neubauer oder Greta Thunberg vielleicht? Die Primatenforscherin Jane Goodall oder NABU-Gründerin Lina Hähnle? Wenn es um das Wohl des Planeten geht, scheint es an männlichen Rollenbildern zu mangeln – sieht man einmal vom Tierfilm-Urgestein David Attenborough ab.
Was ein wenig nach anekdotischer Evidenz klingt, weist auf eine tatsächliche Ungleichheit hin: Klimaschutz, ein nachhaltiger Lebensstil, die Sorge um Natur und Umwelt – in vielerlei Hinsicht sind diese Themen in unserer Gesellschaft vor allem Frauensache. Frauen verhalten sich im Durchschnitt weniger umweltschädigend, leiden aber zugleich stärker unter den Folgen von Luftverschmutzung und Klimawandel.
Genannt wird dieses Phänomen „Eco-Gender-Gap“ – in Anlehnung an den „Gender-Pay-Gap“, die Differenz im Einkommen von Mann und Frau. Doch wie macht sich der „Eco-Gender-Gap“ bemerkbar? Und lässt er sich messen?
Warum haben Männer einen höheren CO₂-Ausstoß?
Gotelind Alber ist gelernte Physikerin und Expertin für Klima und Gender. Ein Gebiet, auf dem sie unter anderem die Bundesministerien für Bau und Umwelt beraten hat. „2010 ergab eine Carbon Footprint Studie, dass Männer in Deutschland einen im Schnitt 30 Prozent höheren ökologischen Fußabdruck haben als Frauen“, sagt sie. Bemessen wurde es damals nach den Ausgaben für Haushalt, Verpflegung und Transport – aber unabhängig vom Einkommen. „Dass Männer im Schnitt mehr verdienen und sich deswegen größere Autos oder mehr Fleisch leisten können, kann dies also nicht erklären“, stellt Alber klar.
Seitdem erschienen zahlreiche Studien, die den Befund unterstützen. 2018 ergibt eine Umfrage des britischen Marktforschungsinstituts Mintel, dass 77 Prozent der Frauen recyceln und nur 58 Prozent der Männer. Frauen achten außerdem häufiger darauf, Wasser zu sparen und die Heizung auszuschalten, wenn sie das Haus verlassen.
Frauen kaufen häufiger Bio und sorgen sich um die Umwelt
2019 zeigte die Schweizer Omnibus-Erhebung: 65 Prozent der Frauen halten die Umweltbelastung für ein Problem. Bei den Männern waren es sieben Prozent weniger und das, obwohl sich die Männer für besser informiert hielten. Auch Bioprodukte werden häufiger von Frauen gekauft. Alber gibt auch hier zu bedenken: „Dass Frauen in vielen Familien für den Einkauf zuständig sind – also insgesamt mehr Nahrungsmittel kaufen –, hat damit nichts zu tun.“ Denn nicht die absolute Anzahl getätigter Einkäufe zählte hier, sondern das Verhältnis von Bio- zu konventionellen Produkten.
Bei Hitzewellen sterben hierzulande vor allem ältere Frauen –
selbst wenn man herausrechnet, dass es mehr ältere Frauen als Männer gibt.
Gotelind Alber, Physikerin und Expertin für Klima und Gender
In manchen Bereichen ist der Fußabdruck der Frauen größer. Dies zeigte 2021 die schwedische Mistra-Studie: In Sachen Kleidung übersteige der Verbrauch der Single-Frau jenen des Single-Mannes. Letzterer hat aber dennoch einen rund 18 Prozent höheren Gesamtverbrauch – aufgrund seines Urlaubs- und Mobilitätsverhaltens.
Lebt vegetarisch: Jede siebte Frau, jeder vierzehnte Mann
Zu guter Letzt: Wie steht es mit der Ernährung? 2022 stellte die Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes fest: Jede siebte Frau lebt vegetarisch, aber nur jeder vierzehnte Mann. Mehr als jede dritte Frau isst nie oder selten Fleisch, von den Männern nur jeder fünfte. Der gemeinsame Tenor all dieser Studien: Männer fahren mehr Auto, essen häufiger Fleisch und interessieren sich weniger für die Umwelt.
So viel zu den ökologischen Ungleichheiten im Verhalten von Mann und Frau. Wie aber wird daraus die Ungerechtigkeit des „Eco-Gender-Gap“?
Alber, die auch Mitgründerin des Vereines „GenderCC-Women for Climate Justice ist“, gibt drei Beispiele: „Umweltverschmutzung, so zeigen Studien etwa für Hamburg, betrifft Menschen mit geringerem Einkommen stärker – und das sind zum großen Teil Frauen.“ Eine Verschmutzung, die von jenen verursacht wird, die durch diese Stadtteile mit dem Auto fahren – und das sind meistens Männer.
Wer kommt bei Extremwetter und Umweltkatastrophen ums Leben?
Beispiel Nummer zwei: „Im globalen Süden sind die Todeszahlen bei Umweltkatastrophen unter Frauen höher“, sagt Alber. Im Norden seien es – etwa bei Überflutungen – eher die Männer, weil sie die riskanteren Tätigkeiten ausüben. „Bei Hitzewellen sterben hier allerdings vor allem ältere Frauen – selbst wenn man herausrechnet, dass es mehr ältere Frauen als Männer gibt“, sagt die Forscherin.
An der Pendlerpauschale verdienen vor allem die Männer,
die mit dem Wagen längere Strecken zur Arbeit fahren.
Gotelind Alber, Physikerin und Expertin für Klima und Gender
Doch auch politische Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit können zu Ungerechtigkeiten führen, wie ihr drittes Beispiel verdeutlicht: „CO₂-Bepreisung betrifft die schlechter Gestellten stärker und damit vor allem ältere Frauen und Alleinerziehende.“ Hier warte man noch immer auf das versprochene Energiegeld.
Warum die Pendlerpauschale vor allem den Männern hilft
„An der Pendlerpauschale verdienen vor allem die Männer, die mit dem Wagen längere Strecken zur Arbeit fahren“, sagt Alber. Die Frauen dagegen würden viele kurze Strecken fahren: Sie bringen die Kinder zur Schule, bevor sie ins Büro fahren, machen den Einkauf, holen die Kinder ab und wenn die Großeltern zum Arzt müssen, übernehmen sie meist auch diese Fahrt. „Dafür aber gibt es keine Förderung.“
Hier wird deutlich: Wer den „Eco-Gender-Gap“ begreifen und ihm entgegensteuern will, darf ein Thema nicht aussparen – das Verkehrsverhalten. Ines Kawgan-Kagan ist Verkehrsingenieurin, Soziologin und Beraterin für Gender und Mobilität in Berlin. Sie ist überzeugt: Eine nachhaltige Strategie, um unser Zusammenleben zu verbessern, müsse den geschlechterspezifischen Unterschieden im Verkehrsverhalten Rechnung tragen.
Was ist eine „feministische Verkehrswende“?
„Mobilität ist kein Selbstzweck“, sagt Kawgan-Kagan. „Wir sind aus verschiedenen Gründen unterwegs und diese unterscheiden sich durch die alltäglichen Aufgaben, die wir so erledigen.“ Rund die Hälfte der Frauen, die in Deutschland einer bezahlten Tätigkeit nachgehen, seien in Teilzeit beschäftigt. „Das wirkt sich natürlich darauf aus, wie, wann und wo wir unterwegs sind.“ Eine „feministische Verkehrswende“ erkenne diese Unterschiede an und schaffe ein Verkehrssystem, das bestimmte Personen nicht kategorisch ausschließt.
Einerseits gilt das Laute, Stinkende eines Verbrenners vorrangig als maskulin,
aber auch Elektroautos sind eine Männerdomäne.
Ines Kawgan-Kagan, Verkehrsingenieurin und Beraterin für Gender und Mobilität
Dabei würden auch weitere Faktoren neben dem Geschlecht berücksichtigt wie Gesundheit, Einkommen und Alter. Ein Beispiel sei die Berücksichtigung der sogenannten „Mobility of Care“, also der Mobilität, die durch Versorgungs- und Betreuungsaufgaben entstehe. Aufgaben, die zum größten Teil noch immer Frauen übernehmen.
Auto als Symbol: Der Mann hält „das Steuer in der Hand“
„Generell sollten wir Mobilität und verschiedene Verkehrsmittel nicht einem Geschlecht zuordnen, sondern neutral an das Thema herangehen“, sagt Kawgan-Kagan. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in großen Teilen der Gesellschaft noch immer einer starke Verbindung von Männlichkeit und „das Steuer in der Hand halten“ besteht.
„Einerseits gilt das Laute, Stinkende eines Verbrenners vorrangig als maskulin, aber auch Elektroautos sind eine Männerdomäne“, stellt Kawgan-Kagan fest. Letzteres habe vor allem den Hintergrund, dass Männer im Schnitt stärker an technischen Innovationen interessiert sind.
„Fossile Männlichkeit“ und Technik statt Verzicht
Die Geistes- und Sozialwissenschaften kennen dafür zwei Begriffe: „Ökomodernismus“ bezeichnet die Überzeugung, die Herausforderungen des Klimawandels ließen sich durch neue Technologien bewältigen. Es bräuchte keine Begrenzung von Konsum, Industrie oder Wirtschaft, sondern bloß Investitionen in die richtige Technik.
Die US-Politologin Cara New Daggett sieht darin die Fortsetzung dessen, was sie „Fossile Männlichkeit“ nennt. In Ihrem Essay „Petromaskulinität. Fossile Energieträger und autoritäres Begehren“ erläutert sie die Verbindung von konservativen Männlichkeitsidealen, fossilen Brennstoffen und der Leugnung des Klimawandels.
„Klimapolitik ist ein gesellschaftlicher Lernprozess“
So sehr Elon Musk den „Ökomodernismus“ vertrete, so eindrucksvoll repräsentiere Donald Trump den Charakter der „Fossilen Männlichkeit“. Erster erkennt zumindest den Klimawandel mitsamt seiner Konsequenzen an; doch beiden ist die Überzeugung gemein, dass ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel nicht nötig sei.
Alber betont: „Natürlich brauchen wir neue Technik, aber durch sie allein lässt sich die Klimakrise nicht lösen.“ Klimapolitik sei ein gesellschaftlicher Lernprozess und der schließe das Überdenken traditioneller Geschlechterrollen mit ein.
Nicht nur Familie: Das „Care-Prinzip“ für Natur und Demokratie
„Das Care-Prinzip, das traditionell den Frauen anerzogen wird, kann sich nicht nur auf das Umsorgen der Familie beziehen, sondern ebenso auf die Natur und sogar auf die Demokratie“, sagt Alber. An dieses Prinzip müssten auch die Männer herangeführt werden. Zumal „caring“ nicht „schwach sein“ bedeute.
Durch die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern entstehe der Eindruck, nur die Frauen könnten die Krise lösen. In der Forschung spricht man von einer „Feminisierung der Umweltverantwortung“. Aus Sicht von Alber ein Irrtum: „Sowohl Gender als auch Umwelt geht uns alle an und wir alle müssen an diesen gesellschaftlichen Transformationen mitwirken.“
Wer hierbei auf die junge Generation setzt, der dürfe sich keine Illusionen machen, gibt die Forscherin zu bedenken. Eine Umfrage der Financial Times ergab, dass sich vor allem in der Generation Z – also ab dem Jahrgang 1996 – eine weitere Kluft zwischen den Geschlechtern auftue: Immer mehr Männer seien konservativ bis stark rechts eingestellt, immer mehr Frauen dagegen liberal bis links. Der Klimawandel trifft sie beide. Und die Frauen erst recht.
RND hier 02.03.2023
Rückschritte in der Gleichberechtigung
Verliererinnen der Krise: Wie die Pandemie Frauen nicht nur ausgebremst, sondern ihnen nachhaltig geschadet hat
Die Corona-Pandemie wäre in Deutschland eine Chance gewesen, eine Krise anders anzugehen. Etwa mit dem Fokus darauf, Nachteile für Frauen zu vermeiden. Für manche Forscherinnen wurde das vertan. Zu lernen gibt es trotzdem viel – für die Zukunft.
Karriereknick, Gehaltseinbußen und zu wenig Beachtung in der Medizin? Die Corona-Pandemie könnte vielen Frauen in Deutschland auch langfristig Nachteile bringen. Aus Soziologie und Medizin kommen zum Internationalen Frauentag am 8. März kritische Stimmen. Die Krisenzeit erscheint im Rückblick als Beispiel für manche verpasste Chance – und als Weckruf, in Zukunft mehr an Frauen zu denken.
Kurz vor Beginn der Pandemie veröffentlichte die britische Journalistin und Feministin Caroline Criado-Perez ein viel beachtetes Buch mit dem Titel „Invisible Women“ – unsichtbare Frauen. Es lieferte eine Fülle von Belegen für den Gender Data Gap. Das ist nach Definition der Autorin eine Art Patriarchat der Daten, in dem männliche Maße, Erfahrungen und Perspektiven als universell angesehen werden, weibliche dagegen als Randerscheinungen. Oft geschehe es nicht in böser Absicht, eher aus zu wenig hinterfragten Traditionen, schreibt Criado-Perez. Für sie bleibt eine Datenlücke, die sich bis in IT-Algorithmen fortschreiben kann: Künstliche Intelligenz hält einen Mann in der Küche dann mitunter für eine Frau.
Wie steht es um den Willen, etwas zu verändern?
Doch mangelt es nur an Daten – oder auch am Willen, etwas zu verändern? Die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger empfahl schon vor der Pandemie eine Viertagewoche für Männer und Frauen und plädierte nach skandinavischem Vorbild für mehr Väterzeit. Sie machte darauf aufmerksam, dass Auszeiten und Teilzeittätigkeiten von Frauen auch an fehlenden Möglichkeiten für Betreuung liegen – sei es für Kinder oder für pflegebedürftige Eltern. Zu Beginn der Pandemie warnte sie lautstark vor Rückschritten in der Gleichberechtigung. Und was denkt sie heute?
„In der Pandemie sind in vielen Lebensverläufen Weichen gestellt worden, die sich nicht einfach zurückdrehen lassen“, fasst Allmendinger zusammen. „Für Frauen werden Lücken in ihrer Karriereentwicklung bleiben, die sich bei ihren Lebenseinkommen und Altersrenten zeigen werden.“ Sie hat es an ihrem Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung selbst erlebt. „Ich habe glänzende Wissenschaftlerinnen verloren, die in den administrativen Bereich gewechselt sind. Der Weg zur Professur ist damit verbaut.“
Frauen mit kleinen Kindern sind die Verliererinnen
Allmendinger zählt auf: In der Pandemie waren Frauen weniger erwerbstätig. Sie haben ihre Arbeitszeit reduziert, Jobs gewechselt oder sind eher ins Homeoffice gegangen. Sie haben länger als geplant Elternzeit genommen. Auch Frauen, die in großen, global ausgerichteten Unternehmen auf der Überholspur waren, seien in Teilzeit gegangen oder hätten ganz pausiert. Ausgebremst. Viele hätten in den drei Pandemiejahren Karrierestufen verpasst. „Die Verliererinnen sind vor allem Frauen mit kleinen Kindern und Frauen mit Pflegeverantwortung für die Elterngeneration“, fasst sie zusammen.
Die Soziologin spürt noch etwas, jenseits von Geld und Karriere. Es geht um Einstellungen, Normen und Gesellschaftskultur. „Negative Einstellungen gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern – also die unsägliche Vorstellung einer „Rabenmutter“ – haben in der Pandemie größeren Zuspruch erfahren als davor“, sagt sie. Wenn jetzt die Öffnungszeiten von Kitas wieder zur Debatte stünden, werde klar, wie hartnäckig sich diese überkommenen Ansichten hielten.
Frauen sind einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt
Szenenwechsel, harter Schnitt in Richtung Medizin und Forschung. Die Corona-Pandemie hat auch hier ein Schlaglicht darauf geworfen, welche Nachteile Frauen haben können. Selbst nach der heißen Anfangsphase samt Impfstoffsuche, die manches verzeihen lasse, seien sie nicht ausreichend gesehen worden, resümiert Ute Seeland, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin und Internistin an der Berliner Charité.
Dabei sei es nicht allein um die Tatsache gegangen, dass Frauen durch ihren hohen Anteil in Fürsorgeberufen ohne Chance auf Homeoffice einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt waren. „Männer und Frauen haben ein unterschiedliches Immunsystem“, betont Seeland. „Sie können deshalb auch unterschiedlich auf eine Impfung reagieren – wie eben auf jeden anderen Wirkstoff auch.“
Eine klassische Rollenverteilung kommt nicht nur in der Küche häufig vor.
Psychologin Patricia Cammarata:
Warum Frauen in Job und Privatleben häufig die Mehrarbeit haben
Frauen machen die Forschung komplizierter
Besonders jüngere Frauen mit hohem Östrogenspiegel spürten demnach zum Beispiel in Studien bei gleicher Dosierung der Corona-Impfstoffe zum Teil mehr Nebenwirkungen als Männer. Hätten Frauen in diesem Lebensabschnitt vielleicht niedrigere Dosierungen gebraucht? „Diese Frage ist nicht konsequent verfolgt worden“, kritisiert die Ärztin. Solche Erkenntnisse seien bei Herstellern wenig beachtet geblieben und stünden auch in Studien eher versteckt im Anhang.
Denn Frauen mit ihrem unterschiedlichen Sexualhormonstatus – mit Menstruationszyklus, während einer Schwangerschaft und nach der Menopause – machen Forschung generell komplizierter und damit auch teurer. „Und dann heißt es schnell, der Nutzen für die Gesellschaft ist größer, wenn wir es jetzt nicht so kompliziert machen“, sagt Seeland. „Das ist die Krux. Frauen müssen nicht allein in Studien eingeschlossen werden. Man muss aus den Ergebnissen dann auch Konsequenzen ziehen.“
Care-Arbeit lässt sich nicht nur in Stunden messen
Zurück zur Gesellschaft und ihren Daten. Nach dem jüngsten Bericht vom Dezember an die G7, einem Zusammenschluss westlicher Industriestaaten, leisten Frauen in Deutschland im Schnitt vier Stunden und zwei Minuten unbezahlte Familienarbeit am Tag. Bei Männern sind es zwei Stunden und 30 Minuten. International gesehen ist das kein Ruhmesblatt.
Soziologin Allmendinger sind das darüber hinaus zu vage Angaben, da die psychische Belastung außen vor bleibe. „Care-Arbeit lässt sich nicht allein in Stunden und Minuten messen. Sie ist auch mit unsichtbarer Verantwortung verbunden“, erläutert sie. „Wenn wir uns zum Beispiel nachts im Bett herumwälzen und überlegen, ob wir alle Geschenke für den Kindergeburtstag haben oder wie wir den Tag wuppen, wenn das Auto mal in der Werkstatt steht.“
Unbezahlte Familienarbeit dreht sich auch nicht allein um Kinder. In Deutschland geht es zunehmend um alternde Eltern. Die Mehrheit von ihnen wird zu Hause gepflegt – oft auch von Töchtern oder Schwiegertöchtern. Denn Pflegeheime sind bei geringen Renten nicht selten zu teuer oder ein Schreckgespenst. Soziologin Allmendinger beobachtet darüber hinaus, dass sich Paare viel häufiger als früher noch mit über 60 Jahren scheiden lassen – und sich dann auch nicht mehr gegenseitig pflegen.
Das zarte Pflänzchen Homeoffice
Mit der wachsenden Lebenserwartung rolle auf die jüngere Generation mehr Pflegeverantwortung zu. Doch die Politik verdränge das vor lauter Digitalisierung, Klimadebatte und Krieg in der Ukraine, kritisiert Allmendinger. „Wir bauen nicht die Strukturen auf, die wir brauchen.“
Bereits jetzt, so hat die Bertelsmann Stiftung 2020 errechnet, geht es im Lebenserwerbseinkommen von Männern und Frauen in Deutschland um Unterschiede von bis zu einer Million Euro. Autorin Criado-Perez rechnet vor, dass sich mit mehr Erwerbseinkommen von Frauen – statt mehr unbezahlter Arbeit – allein aus Steuermitteln vieles finanzieren ließe: mehr Ganztags-Kitas und -Schulen zum Beispiel. Warum nicht auch bezahlbare innovative Pflegeangebote statt der Haushaltshilfe aus Polen, die dann dort mitunter ihren eigenen Eltern fehlt.
Gibt es gar nichts Positives, das bleibt, als Lehre aus der Pandemie? „Das zarte Pflänzchen Homeoffice ist während Corona kräftig gewachsen“, sagt Allmendinger. „Homeoffice durchbricht die Anwesenheitskultur. Vielleicht stellt sich heraus, dass damit auch ein Einstieg in eine Viertagewoche gemacht ist.“
Weg mit dem Ehegattensplitting und Minijobs
Wenn Deutschland jetzt auch entschlossen daranginge, das Ehegattensplitting – das große Einkommensunterschiede der Partner steuerlich begünstigt – und die Minijobs abzuschaffen, wäre für die Soziologin viel gewonnen. Das alles sei „Teufelszeug“ für die Unabhängigkeit von Frauen. „Es gibt enorme finanzielle Anreize, dass ein Partner lange ausscheidet, nur in Teilzeit oder in Mini- oder Midijobs arbeitet“, sagt Allmendinger. „Ich würde da nicht von freiwilligen Entscheidungen reden.“ Wenn Forscherinnen und Forscher mit Familien sprächen, hörten sie: Der Steuerausgleich war so, dass ich für nichts und wieder nichts gearbeitet hätte. Oder: Die Kita kostet mehr, als ich netto verdienen würde.
„Wenn wir aus zwei Vätermonaten sechs Vätermonate machten, die verfallen, wenn man sie nicht nimmt, wäre das ein wichtiger weiterer Schritt“, ergänzt die Forscherin. Wenn Männer sich generell länger um ihre Kinder kümmerten, wäre das gute Vorsorge. „Aber wir tun da weiterhin zu wenig. Dabei müssten auch Arbeitgeber spätestens in der Pandemie gelernt haben, dass sie eine wertvolle hochproduktive Ressource – so sprechen sie ja über Frauen – in Zeiten von Fachkräftemangel nicht einfach außen vor lassen können.“
Einer Gesellschaft ohne Zeit fehlt der „soziale Kitt“
Und es geht um noch mehr bei Allmendingers Vorschlag einer Viertagewoche für alle. „Eine Gesellschaft ohne Zeit füreinander fliegt leicht auseinander, der soziale Kitt fehlt“, sagt sie. Und es geht ihr erneut nicht nur ums Geld. „Es gibt eine soziale Ungleichheit im Alter, die wir zu selten im Blick haben.“
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