Samstag, 16. März 2024

Tempolimit: "Wir sehen Deutsche als Menschen, die gerne rasen"

Man erlebt es tatsächlich sehr eindrücklich, wenn man mal im Ausland unterwegs ist mit dem Auto. Schon in Österreich wird`s hektisch, aber Deutschland ist unfassbar stressig.

Zeit hier  Von Kerstin Schweighöfer  16. März 2024

Seit vier Jahren gilt in den Niederlanden Tempo 100. Das hat Autofahren nicht nur sicherer und umweltfreundlicher gemacht – sondern auch billiger und entspannter.

Es wäre in Deutschland undenkbar: In den Niederlanden darf auf Autobahnen tagsüber nicht schneller als 100 gefahren werden. Seit vier Jahren gilt das nun schon. Die niederländische Regierung hat Tempo 100 allerdings nicht etwa eingeführt, um den Verkehr sicherer zu machen, oder weil sie etwas zum Klimaschutz beitragen will. Die rechtsliberale VVD-Partei von Langzeitpremier Mark Rutte, der inzwischen nur noch geschäftsführend im Amt ist, gilt als Partei der Autofahrer und Unternehmer. 2012 hatte sie dafür gesorgt, dass die Höchstgeschwindigkeit von 120 auf 130 erhöht wurde.

Ein Gerichtsurteil hat das Kabinett zu Tempo 100 gezwungen.

Die Massentierhaltung belastet die Natur so stark mit Stickstoffoxiden, dass ihr keine weiteren Emissionen zugemutet werden können. Durch den Einsatz von Maschinen wird auch beim Straßen- und Wohnungsbau Stickstoff freigesetzt. Viele Bauprojekte liegen seit dem Urteil still – trotz der großen Wohnungsnot. Rutte sprach von der größten Krise seiner Amtszeit. Wenn die Niederlande zusätzlichen Stickstoff ausstoßen wollen, muss sie ihn erst anderswo einsparen – und so wurde Tempo 100 zum notwendigen Übel.

Der Verkehr ist zwar nur für rund 15 Prozent der Stickstoffemissionen verantwortlich. Aber durch Tempo 100 wollte die Regierung zumindest kurzfristig etwas Stickstoff einsparen, damit weitergebaut werden konnte. Um keine Wählerinnen und Wähler zu verlieren, versprach sie, keine zusätzlichen Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen. Außerdem gilt das Tempolimit nur zwischen 6 und 19 Uhr. Nachts, wenn weitaus weniger Autos fahren und damit auch entsprechend weniger Stickstoff ausgestoßen wird, dürfen weiterhin bis zu 130 Kilometer pro Stunde gefahren werden.

Kaum Widerstand gegen Tempo 100

"Ohne diese beiden Zugeständnisse hätte es mehr Widerstand gegeben", sagt Stefan Westerman vom ANWB, dem niederländischen Automobilbund. So aber sei es bei gemopper geblieben, Gemecker. Obendrein galt auf vielen Teilstrecken bereits Tempo 100. Und da, wo 130 erlaubt war, konnte es bei Weitem nicht immer gefahren werden. Die Niederlande zählen zu den dichtbesiedelsten Ländern der Welt; im Ballungszentrum zwischen Rotterdam und Amsterdam gehen die Stoßzeiten morgens so gut wie nahtlos in die des Abends über.

Auf Tempo-130-Strecken wurde vor dem Einführen von Tempo 100 durchschnittlich nur 117 gefahren, auf Tempo-120-Strecken nur 114. "Die Maßnahme fiel also nicht so stark ins Gewicht", sagt der niederländische Verkehrspsychologe Gerard Tertoolen.

Hilfreich war auch der Zufall, dass das Tempolimit zeitgleich mit den Corona-Lockdowns eingeführt wurde. Das sorgte für Ablenkung, die Autobahnen waren ohnehin leer. Und jetzt, vier Jahre später, sei es kein Thema mehr. Der Widerstand sei nie untersucht worden, sagt Tertoolen: "Wozu auch? Es regte sich ja keiner auf." 

"Wenn doch eins vorbeirast, ist es ein deutsches"

Eine Untersuchung im Auftrag der niederländischen Weg- und Wasserbaubehörde ergab, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit jetzt nur noch 104 Kilometer pro Stunde beträgt. Die meisten Niederländer und Niederländerinnen hätten das Tempolimit akzeptiert, sagt Tertoolen: "Die Zeiten, dass mich ein Auto mit 140 Sachen überholte, sind vorbei. Und wenn doch eins vorbeirast, ist es ein deutsches."

Ein Tempolimit schützt das Klima besser als gedacht

Dadurch ist auch die Zahl der Unfälle mit Verletzten und Getöteten gesunken: 2021 um 16 Prozent verglichen mit dem Durchschnittswert von 2015 bis 2019. Jüngere Zahlen liegen nicht vor. Die Forscher konnten nachweisen, dass diese Abnahme nicht allein auf die Lockdowns zurückzuführen ist. Dazu haben sie die Autobahnteilstücke, auf denen die Geschwindigkeit gesenkt wurde, mit denen verglichen, wo bereits vor der Einführung des Tempolimits Tempo 100 galt. Ergebnis: Auf den Teilstücken, auf denen sich das Tempo geändert hat, sind die Unfälle sowohl 2020 als auch 2021 weitaus stärker zurückgegangen. 2020 war die Abnahme mit 52 Prozent sogar mehr als doppelt so hoch wie auf den Strecken, auf denen alles beim Alten geblieben ist.

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