Samstag, 30. März 2024

Klima-Buch „Hoffnung für Verzweifelte: Kühler Blick auf heiße Zeiten"

Wenn man die Kommentare unter diesem Text liest, dann wird schnell klar, dass Hannah Ritchie`s  optimistische Aussagen sehr umstritten sind.

Ein Kommentar, dem ich nicht widersprechen möchte, beginnt mit diesen Sätzen: "Ritchie ist keine Klima- sondern eine Datenexpertin bei "Our World in Data" Ich finde immer bemerkenswert, wenn Personen ohne jede Klima-Expertise den besten Klimawissenschafterinnen der Welt (ob Schellnhuber, Hansen oder Rockström) ausrichten, dass alles halb so schlimm sei, wie sie behaupten - nur weil es im Moment noch nicht so schlimm ist und einige Entwicklungen positiv verlaufen."

Dennoch möchte ich nicht alles verwerfen, was sie sagt. Sehr schön finde ich z.B. ihren Satz: "Oft entsteht eine Dynamik, wenn man Fortschritte erkennt; es ist viel einfacher, einen bereits rollenden Ball in Bewegung zu halten, als ihn aus dem Stillstand zu bewegen". Oder ihre Überzeugung, dass wir trotz Klimaerwärmung  trotzdem bessere Lebensbedingungen erreichen könnten in einer nahen Zukunft.

Natürlich müssen wir auch die erzielten Fortschritte im Auge behalten, damit wir nicht in Panik verfallen auf unserem mühsamen Weg in die Zukunft.

hier Standard  Philip Pramer  12. Jänner 2024

Klimaexpertin Ritchie: "Vieles bewegt sich in die richtige Richtung"

Die rapide gefallenen Kosten für saubere Energie stimmen Hannah Ritchie optimistisch. Ihr neues Buch "Not the End of the World" ist eine Gegenerzählung zur Klimaangst

Hannah Ritchie glaubt schon länger nicht mehr an den Weltuntergang durch den Klimawandel. Je intensiver sich die Umweltwissenschafterin mit den harten Zahlen beschäftigte, desto mehr ging ihr anfänglicher Pessimismus über die Zukunft der Welt zurück. Klimafreundliche Technologien seien auf dem Vormarsch, in Industrieländern gingen die CO2-Emissionen zurück, und die Temperaturprognosen seien nicht mehr ganz so düster wie noch vor wenigen Jahren.

Trotzdem sei es normal geworden, Kindern zu erzählen, dass sie am Klimawandel sterben werden, stellt Ritchie zu Beginn ihres am Donnerstag veröffentlichten Buches "Not the End of the World" fest. Als Forschungsleiterin bei der Plattform Our World in Data kämpft sich schon länger gegen Untergangstimmung, die oft aus Halbwissen und falschen Annahmen entsteht, sagt Ritchie.

Auf der von der Universität Oxford betriebenen Datenplattform liest man etwa, dass die "Auslagerung" westlicher Emissionen nach China nicht die ganze Wahrheit sei, dass Kohlestrom rund 800-mal tödlicher als Atomenergie sei oder dass es für den Fußabdruck der eigenen Ernährungsweise fast egal sei, woher das Essen kommt. Ihr nüchterner Blick auf die Klimaproblematik zieht sich auch in ihrem Buch fort. Ihr geht es nicht darum, die Klimakrise zu verharmlosen, sagt sie. Optimismus könne aber helfen, die dringend notwendigen Entwicklungen zu beschleunigen.

Hannah Ritchie wünscht sich mehr Klimaoptimismus.

STANDARD: Ihr Buch trägt den Untertitel "Die erste Generation, die einen nachhaltigen Planeten schaffen kann" – eine offensichtliche Anspielung auf die Letzte Generation. Welche Sichtweise bieten Sie als Alternative an?

Ritchie: Im Begriff Letzte Generation steckt ja die durchaus legitime Prämisse, dass wir die letzte Generation sind, die den Klimawandel eindämmen kann. Aber es schwingt auch Angst mit, es geht vor allem um Schadensbegrenzung, ums Überleben. Ich versuche, eine optimistischere Version der Zukunft zu zeichnen, die sich nicht darum dreht, was wir verlieren, sondern was wir gewinnen können. Klimaschutz und Fortschritt werden oft gegeneinander ausgespielt – dabei ist beides gleichzeitig möglich.

STANDARD: Auch Sie haben als Jugendliche geglaubt, dass die Folgen des Klimawandels uns alle umbringen werden, liest man in Ihrem Buch. Was hat Ihre Ansicht geändert?

Ritchie: Ich bin Teil einer Generation, die sich dauernd mit dem Klimawandel auseinandersetzt. Ich habe dann noch Umweltwissenschaften studiert, wo zum Klimawandel noch etliche andere Umweltprobleme dazukamen. Das hat sich bedrückend angefühlt. Ich hatte den starken Drang, eine informierte Bürgerin zu sein, jede Katastrophe in den Nachrichten zu verfolgen, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben. Damals nahm ich einfach an, dass die Welt immer schlimmer wurde. Ein entscheidender Wendepunkt war, als ich auf Hans Rosling gestoßen bin. Er war ein schwedischer Statistiker, der mit Daten belegte, dass viele unserer Vorstellungen falsch sind. Denn viele Dinge werden besser.

STANDARD: In Roslings Bestseller "Factfulness" geht es vor allem um Lebenserwartung, Bildung und Einkommen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten positiv entwickelt haben. Beim Klima sieht es weniger gut aus, die Treibhausgasemissionen steigen immer weiter.

Ritchie: Alle Kennzahlen, bei denen es um das menschliche Wohl geht, haben sich in die richtige Richtung entwickelt, allerdings auf Kosten der Umwelt. Aber der Zustand der Welt wird nicht nur durch die Menge an Treibhausgasen definiert. Der menschliche Fortschritt war schneller als die steigenden Temperaturen. Die Auswirkungen des Klimawandels sind schlimmer geworden, aber wir haben gleichzeitig Widerstandskraft aufgebaut. Der Klimawandel hat unsere Anpassungsfähigkeit bisher nicht überholt. Die Frage ist, ob wir diese Geschwindigkeit beibehalten können. Viele glauben, dass bei der Bekämpfung des Klimawandels seit Jahrzehnten nichts weitergeht. Dabei bewegt sich vieles in die richtige Richtung – wenn auch nicht schnell genug.

STANDARD: Wo?

Ritchie: Viele Leute glauben, dass die CO2-Emissionen überall auf der Welt steigen – aber das stimmt nicht. In vielen, insbesondere wohlhabenden Staaten gehen sie zurück. Was mir Hoffnung macht, ist, dass die Kosten für kohlenstoffarme Technologien wie Photovoltaik, Windenergie, Batterien oder E-Autos sinken – und zwar massiv. Und wir nutzen sie auch. China hat im vergangenen Jahr so viele Windkraft- und Solaranlagen gebaut, dass die den Strombedarf von Großbritannien oder Frankreich decken könnten – in einem einzigen Jahr! Wir sind heute in einer komplett anderen Position als noch vor zehn Jahren. Auch Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommen werden diese klimafreundlichen Technologien nutzen, selbst wenn sie sich nicht um das Klima kümmern – einfach weil sie billiger sind, als fossile Brennstoffe zu nutzen.

STANDARD: Und trotzdem werden fleißig Kohlekraftwerke gebaut und neue Öl- und Gasvorkommen angezapft.

Ritchie: Der Bau von Solar- und Windkraftanlagen schreitet aber viel schneller voran. Sie sind pro Energieeinheit zwar günstiger als fossile Kraftwerke, aber die Vorlaufkosten sind bei erneuerbaren Energien höher. Wenn Sie eine Wind- oder Solaranlage bauen, fallen fast alle Kosten im Voraus an, dafür läuft das Ding fast kostenlos, wenn es erst einmal installiert ist. Das ist ein Problem für einkommensschwache Staaten. Sie entscheiden sich dann oft für fossile Kraftwerke, bei denen die Anfangskosten moderater sind, dafür laufende Kosten für die Brennstoffe anfallen. Deshalb plädiere ich auch dafür, dass reiche Staaten einkommensschwache Länder bei diesen Anfangskosten unterstützen.

STANDARD: Ist nicht auch die Speicherung erneuerbarer Energien ein Problem?

Ritchie: Definitiv. Wir haben Lösungen, um Energie kurzfristig speichern zu können, einige Stunden oder Tage. Die saisonale Speicherung ist problematischer. Ich glaube aber, dass es auch dafür Lösungen gibt. Wir müssen nicht nur auf eine einzige, sondern auf ein breites Portfolio an Energiequelle setzen: Wind, Sonne, Erdwärme, Kernenergie – ein bisschen was von allem. Wasser, in dem man Energie speichern kann, wird die Netze künftig unterstützen. Mit Hochspannungsleitungen kann man Energie über große Entfernungen transportieren und den Bedarf so ausgleichen. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber ja, saisonale Speicherung wird ein Problem werden, wenn wir einen sehr hohen Anteil an erneuerbaren Energien erreichen. Davon sind wir aber noch weit entfernt.

STANDARD: Sie betonen oft, wie wichtig Daten und Fakten für die Bekämpfung der großen Probleme sind. Wo liegen die größten Wissenslücken und Missverständnisse in der Klimadebatte?

Ritchie: Es ist wichtig, die Fortschritte, die es in vielen Ländern gibt, hervorzuheben. Sie machen nicht nur Mut, sondern üben auch Druck auf die Verantwortlichen in anderen Ländern aus, zu handeln. Die einfachste Ausrede für eine Regierung, nichts zu unternehmen, ist die Wahrnehmung, dass auch die anderen nichts tun. Die große Herausforderung ist auch zu verstehen, wie wirksam die unterschiedlichen Maßnahmen sind. Oft täuscht uns unsere Intuition darüber, was wirklich umweltfreundlich ist.

STANDARD: Zum Beispiel beim Thema Palmöl, für das Sie in Ihrem Buch eine Lanze brechen. Viele bringen es mit der Abholzung des Regenwaldes in Verbindung.

Ritchie: Ich sage nicht, dass Palmöl kein Problem für die Umwelt ist. Aber wir müssen uns fragen, was die Alternativen sind. Die Ölpalme ist eine sehr ertragreiche Pflanze. Will man auf Palmöl verzichten, muss die Nachfrage nach Pflanzenölen mit anderen Ölen gedeckt werden, die weniger Ertrag liefern und deshalb mehr Fläche benötigen. Ebenso wenig wie ein Boykott ist die Lösung aber auch nicht, einfach alles so zu belassen, wie es ist. Es muss wirklich strenge Standards geben, damit für Palmöl keine Wälder abgeholzt werden.

Ritchie: Ich glaube, dass es vor allem eine Zeitfrage ist. Uns bleiben fünf oder sechs Jahre, um die Erderwärmung auf rund 1,5 Grad zu beschränken. Wir haben einfach keine Zeit dafür, das System zu stürzen. Die Lösungen liegen auf dem Tisch – wir können viel mehr erreichen, wenn wir sie innerhalb unseres kapitalistischen Systems einsetzen, auf verantwortungsvolle Weise. Das Hauptproblem ist, dass die ökologischen und sozialen Kosten in den Produkten, die wir konsumieren, nicht eingepreist sind. Das müssen wir versuchen zu ändern.

STANDARD: Sie setzen große Hoffnung in wirtschaftliche und technologische Entwicklungen. Retten am Ende diese und nicht die Politik das Klima?

Ritchie: Ich glaube, dass der wirtschaftliche und technologische Fortschritt der Schlüssel ist. Wir müssen kohlenstoffarme Technologien unglaublich billig machen. Dennoch glaube ich nicht, dass man Wirtschaft und Politik voneinander trennen kann. Auch wenn freie Märkte den Preisverfall von Batterien, Sonne- und Windenergie vorangetrieben haben, war es oft die Politik, die veranlasst hat, dass überhaupt in diese Technologien investiert wurde, die zunächst teuer waren. In vielen Bereichen können politische Entscheidungen viel ausmachen, etwa beim Schutz von Wäldern oder der Luftverschmutzung.

STANDARD: Wenn Alarmismus zu verbreiten also nicht die richtige Lösung ist, wie sollen sich Menschen dann engagieren, die sich Sorgen um den Planeten machen?

Ritchie: Es muss ein Gleichgewicht geben zwischen dem Bewusstsein für die Dringlichkeit und das Ausmaß der Probleme und dem Optimismus, dass wir sie lösen könnenDas Ziel ist also, das Handeln zu beschleunigen. Oft entsteht eine Dynamik, wenn man Fortschritte erkennt; es ist viel einfacher, einen bereits rollenden Ball in Bewegung zu halten, als ihn aus dem Stillstand zu bewegen. Es gibt viele verschiedene Wege, einen Unterschied zu machen. Wer wie ich an den technischen Fortschritt glaubt, könnte in diesen Bereich einsteigen und die Lösungen voranbringen. Aber auch die Finanzbranche, die oft geschmäht wird, ist sehr wichtig für die Lösungen auf globaler Ebene. Andere werden politisch aktiv. Ich bin etwas zurückhaltend darin, Menschen zu predigen, was sie tun sollten, weil sie oft nicht gut darauf reagieren. Aber vorbildliches Verhalten zu zeigen und über positive Veränderungen zu sprechen kann ziemlich ansteckend sein. 


hier  Spiegel  Ein Interview von Alina Schadwinkel und Jolan Geusen (Grafik)  28.03.2024

Nachhaltigkeit und Klimakrise

»Die Mikrowelle ist die effizienteste Art zu kochen«

Die Klimakrise lässt viele Menschen verzweifeln. Nicht Hannah Ritchie. Die Datenwissenschaftlerin ist überzeugt: Nie zuvor hatte die Menschheit so viele Möglichkeiten, nachhaltig und umweltschonend zu leben.

SPIEGEL: Frau Ritchie, Sie setzen sich für einen CO₂-armen Lebensstil ein. Was haben Sie heute zu Mittag gegessen?

Ritchie: Einen Bagel mit abgepacktem Fleischersatz. So eine Art Wurst, die man in der Mikrowelle aufwärmt.

Zur Person

Hannah Ritchie, 30, ist Umwelt- und Datenwissenschaftlerin an der University of Oxford. Als leitende Forscherin der Website Our World in Data  betrachtet sie die langfristigen Daten, um den Zustand der Erde abzubilden. Seit dem 28. März ist ihr Buch »Hoffnung für Verzweifelte  – Wie wir als erste Generation die Erde zu einem besseren Ort machen« auf Deutsch erhältlich.


SPIEGEL: Und das ist eine nachhaltige Mahlzeit?

Ritchie: Absolut. Fleischersatz mag unnatürlich erscheinen, ist aber viel besser für die Umwelt als Fleisch; er spart Wasser, Kohlendioxid und Platz. Verpackungen machen nur einen winzigen Teil des ökologischen Fußabdrucks eines Lebensmittels aus, verlängern aber oft dessen Haltbarkeit. Und die Mikrowelle ist die effizienteste Art zu kochen. Aber wissen Sie, was verrückt ist?

SPIEGEL: Was?

Ritchie: Obwohl ich das sicher weiß, fühlt es sich trotzdem manchmal falsch an. Dummerweise hält uns die Intuition oft davon ab, beim Umweltschutz das Richtige zu tun – selbst Menschen, die ernsthaft darum bemüht sind.

Demonstrationen für mehr Klimaschutz: »Dummerweise hält uns die Intuition oft davon ab, beim Umweltschutz das Richtige zu tun«

SPIEGEL: Wann zum Beispiel?

Ritchie: Nehmen wir die eben angesprochene Plastikverpackung. Sie ist als Ökosünde verschrien, doch Daten eröffnen eine andere Perspektive: Der CO₂-Fußabdruck einer Plastikverpackung ist winzig im Vergleich zu dem des Lebensmittels, das darin steckt. Sie machen nur vier Prozent aller Lebensmittelemissionen aus. Der größte Teil kommt aus Landnutzungsänderungen und Emissionen im laufenden Betrieb; Ausstoß von Düngemitteln und Gülle oder Treibhausgasen, die aus Böden freigesetzt werden. Zudem ist die Verschwendung von Lebensmitteln ein erheblicher Klimafaktor. Verpackte Produkte bleiben meist länger frisch, es landet weniger im Müll. Viele Hersteller verwenden zu viel Kunststoff, da lässt sich was sparen. Aber komplett – ohne Alternative – darauf zu verzichten, könnte die Umwelt noch mehr schädigen als bisher.

SPIEGEL: Mit Ihrem Buch »Hoffnung für Verzweifelte« wollen Sie über weitverbreitete Irrtümer beim Umweltschutz und den Zustand der Erde aufklären. Der laut Ihnen größte Irrtum: Wir leben in der schlimmsten Phase der Menschheitsgeschichte. Stattdessen sagen Sie: Wir leben in der besten aller Zeiten. Wie kommen Sie darauf?

Ritchie: Unbestritten stehen wir vor großen Herausforderungen. Etwa jeder zehnte Mensch auf der Welt hat zu wenig Essen. Aber wenn wir 50 Jahre zurückblicken, waren es weitaus mehr. Die Luftverschmutzung ist ein unterschätztes Problem, sie kostet Millionen Menschen weltweit Jahre ihres Lebens. Aber in einigen Städten ist die Luft so sauber wie nie. Selbst die Luft in Delhi ist heute nicht so schlecht wie die in London vor hundert Jahren. Und ja, noch immer leben viele Menschen von weniger als 2,15 Dollar pro Tag. Gleichzeitig ist solch extreme Armut heute erheblich seltener als vor 20 Jahren.

SPIEGEL: Nur weil es besser als früher ist, ist es noch lange nicht gut.

Ritchie: Natürlich, und das mache ich in meinem Buch deutlich. Wir sind noch lange nicht da, wo wir sein wollen. Aber die Beispiele zeigen, was die Menschheit leisten kann.

»Ich bin keine selbstgefällige Optimistin, sondern eine effektive.«

SPIEGEL: Für unseren Fortschritt hat der Planet einen hohen ökologischen Preis gezahlt. Bis heute müssen Wälder für landwirtschaftliche Flächen weichen, die Meere werden verschmutzt, Arten verschwinden – Experten sprechen gar vom sechsten Massenaussterben. Sie und ich gehören zu den Privilegierten, deren Alltag das wenig beeinflusst. Ist es da nicht naiv, gar anmaßend, so optimistisch zu sein?

Ritchie: Es gibt enorme Ungleichheiten in der Welt. Das muss sich ändern. Trotzdem geht es nicht nur den oberen ein Prozent besser, sondern den meisten Menschen.

SPIEGEL: Wir könnten die erste Generation sein, die die Erde zu einem nachhaltigen Ort macht, sagen Sie. Vor allem junge Menschen sehen das anders. In einer weltweiten Umfrage  gab mehr als die Hälfte der befragten 16- bis 25-Jährigen an, die Welt sei wegen des Klimawandels dem Untergang geweiht. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Ritchie: Vielleicht wissen die Befragten nicht, welche Fortschritte wir bereits gemacht haben. Vielleicht wissen sie es, erwarten aber, der Klimawandel werde die Erfolge zunichtemachen. All diese Nachrichten über politische Querelen, Katastrophen und Gefechte vermitteln leicht den Eindruck einer zerstörten Welt. Ich hing selbst lange dieser Vorstellung an. Aber als die Datenwissenschaftlerin, die ich heute bin, kann ich Ihnen versichern: Wenn wir aus den Einzelereignissen herauszoomen, ergibt sich ein schöneres Bild. Deshalb bin ich heute vorsichtig optimistisch.

SPIEGEL: Im Jahr 2023 hat die Menschheit erlebt, was 1,5 Grad Erderwärmung bedeuten können: tödliche Hitze, verheerende Brände und katastrophale Überschwemmungen, während die Kohlendioxidemissionen weiter steigen. Beunruhigt Sie das nicht?

Ritchie: Doch. Sonst hätte ich dieses Buch nicht geschrieben. Die Durchschnittstemperatur von 2023 bedeutet allerdings nicht, dass wir das 1,5-Grad-Ziel verfehlt haben. Das kommt erst noch. Erst wenn die Erderwärmung im Schnitt über mehrere Jahre 1,5 Grad übersteigt, ist es so weit.

SPIEGEL: Jetzt klingen Sie nicht wie eine Optimistin.

Ritchie: Bin ich aber. Allerdings keine selbstgefällige Optimistin, sondern eine effektive.

SPIEGEL: Wie bitte?

Ritchie: Ein dummer Optimist würde sagen: Es ist noch immer gut gegangen, das wird also schon. Aber das ist nicht nur falsch, sondern gefährlich ignorant. Alle Trends, die ich beschrieben habe, gibt es, weil Menschen ein massives Problem erkannt haben und es lösen wollten. Sie alle waren und sind effektive Optimisten.

»Der Wandel mag sich je nach Regierung verzögern, aber er lässt sich nicht mehr stoppen, egal wer wo regiert.«

SPIEGEL: Sie plädieren für Maßnahmen, die Umweltschützer und Klimaforscher schon seit Jahrzehnten fordern: die rasche Abkehr von fossilen Brennstoffen, CO₂-Steuer, Elektroautos, Verzicht auf Fleisch und Milchprodukte. Warum sollte nun ausgerechnet Ihr Buch die Leute überzeugen?

Ritchie: Stimmt, die Maßnahmen sind bekannt. Aber lange hieß es: Weil die Auswirkungen des Klimawandels schlimm sein werden, müssen Menschen bestimmte Opfer bringen, um die Zukunft zu schützen. Leider verzichten wir nur ungern kurzfristig auf etwas, wenn wir von dem langfristigen Erfolg persönlich nichts haben. So funktionieren weder unser Verstand noch Gesellschaften und politische Systeme. Allerdings hat sich die Lage geändert. Ein Beispiel: Solar- und Windenergie sind mittlerweile billiger als fossile Brennstoffe. Damit ist es wirtschaftlich ohnehin sinnvoll, auf sie zu setzen. Der Wandel mag sich je nach Regierung verzögern, aber er lässt sich nicht mehr stoppen, egal wer wo regiert. Und es tut sich ja längst was. Während wir sprechen, werden Wälder aufgeforstet, manche Leute installieren Windparks, andere arbeiten in den Vorstandsetagen daran, die Strategien der Unternehmen zu ändern.

SPIEGEL: Welchen Wandel, der manch anderen bisher verborgen ist, sehen Sie noch in den Daten?

Ritchie: Da gibt es einige Beispiele. Der Anstieg der Weltbevölkerung verlangsamt sich seit Jahrzehnten, daher schwinden auch die gut 50 Jahre alten Sorgen vor einer Überbevölkerung. In vielen Ländern sterben immer weniger Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung. Oder, was viele überraschen dürfte: Der Verbrennungsmotor ist auf dem Rückzug. Zwar war im Jahr 2023 nur knapp eines von fünf der weltweit verkauften Autos elektrisch, aber nur darauf zu schauen, verzerrt das Bild. Wer weiter zurückblickt, entdeckt in der Statistik eine erfreuliche Entwicklung: 2020 waren es noch weniger als vier Prozent, 2019 knapp mehr als zwei Prozent. Es wird zwar noch etwas dauern, bis weniger Benziner als E-Autos auf den Straßen fahren, schließlich halten die, die es gibt, noch eine Weile. Aber es wird dazu kommen.

SPIEGEL: Einerseits sagen Sie: Jede und jeder von uns kann einen Beitrag leisten. Gleichzeitig fordern Sie, dass wir uns weniger um Plastikstrohhalme oder Einweg-Plastiktüten sorgen sollten. Was denn nun?

Ritchie: Mit einer Handvoll Verhaltensweisen können Sie die Umwelt umfassend schützen. Auf Strohhalme zu verzichten, gehört nicht dazu.

SPIEGEL: Sondern?

Ritchie: Also natürlich können Sie das mit den Strohhalmen sein lassen oder meinetwegen den Fernseher immer ausschalten statt im Stand-by-Modus haben. Aber zum einen braucht es Sie nicht zu stressen, wenn nicht, und zum anderen sollten Sie es keinesfalls als Ersatz für die großen Maßnahmen sehen. Dazu gehört zum Beispiel, weniger Fleisch und Milchprodukte zu konsumieren. Ich kann und möchte niemandem vorschreiben, was er essen oder trinken soll. Aber die Daten zeigen eben, dass es einen großen Unterschied macht. Sie müssen ja nicht gleich alles aufgeben. Wer viel Rindfleisch ist, könnte ab und an auf Huhn oder Fisch umsteigen. Wenn die Hälfte der Bevölkerung an zwei Tagen pro Woche auf Fleisch verzichten würde, sänken die Emissionen, Land- und Wasserverbrauch spürbar. Wenn Sie weniger Lebensmittel wegwerfen, hat das auch einen Effekt. Das Auto stehen lassen und mit Bus, Bahn oder Fahrrad fahren ist ebenfalls sehr effektiv, genau wie sparsames Heizen. Und: Kaufen Sie weniger Dinge!

SPIEGEL: Als die Welt 2015 auf der Pariser Klimakonferenz das 1,5-Grad-Ziel beschloss, hatten Sie die Aussicht, unter zwei Grad zu bleiben, bereits aufgegeben. Wie sieht Ihre Prognose als Optimistin jetzt aus?

Ritchie: Wenn wir uns sehr, sehr anstrengen, landen wir knapp unter zwei Grad. In Anbetracht der aktuellen Politik ist das ein ehrgeiziges Ziel, aber machbar. Sollten wir es verfehlen, ist nicht alles verloren, aber wir werden die Auswirkungen unangenehm spüren. Wir müssen also nicht nur in Klimaschutz, sondern auch in Klimaanpassung investieren, um Menschen zu schützen. Ich bin überzeugt: Wenn wir die richtigen Maßnahmen ergreifen, können wir auch bei 1,9 Grad eine bessere Welt haben als heute. Entscheidend ist, dass sie weltweit wirken. Wir dürfen die Ärmsten und Schwächsten nicht zurücklassen. 


hier Frankfurter Rundschau 29.03.2024,Von: Friederike Meier

Klima-Buch „Hoffnung für Verzweifelte: Kühler Blick auf heiße Zeiten

Die schottische Umweltforscherin Hannah Ritchie versucht mit ihrem Buch – allen katastrophalen Klimanews zum Trotz – Mut zu machen. Auch mit umstrittenen Forderungen.

Das heißeste Jahr, das heißeste Jahrzehnt, viel zu warme Weltmeere, die nächste Hitzewelle kommt bestimmt, und vielleicht kippt bald der Golfstrom ... Gleichzeitig sinken die Emissionen zu langsam, Klimagesetze werden nicht nur in Deutschland ausgehöhlt und es werden längst nicht genügend Windräder gebaut. Und wenn auf der ganzen Welt noch mehr Politiker:innen an die Macht kommen, die Kohle, Benzin und Schnitzel als identitätsstiftend ansehen, geht es erst recht noch tiefer in die Klimakrise.

Wer vor der Klimakrise nicht komplett die Augen verschließt, kann bei der Lektüre der Nachrichten leicht verzweifeln. Die schottische Umweltwissenschaftlerin Hannah Ritchie, Jahrgang 1993, von der Universität Oxford hat ein Buch veröffentlicht, das Abhilfe verspricht, es heißt: „Hoffnung für Verzweifelte“. In dieser Woche ist es in der deutschen Übersetzung erschienen. Nach ihrem Studium der Umweltgeowissenschaften sei sie selbst verzweifelt gewesen, schreibt sie darin zu Beginn: „Ich glaubte, in der schlimmsten Zeit der Menschheitsgeschichte zu leben“.

Ein schwedischer Bestseller-Autor als Inspiration

Durch einen Fernsehauftritt des schwedischen Arztes und Bestsellerautors Hans Rosling („Factfulness“, 2018 erschienen) änderte sie ihre Meinung. Er plädiert dafür, einen Schritt zurückzutreten und sich die langfristigen Daten-Entwicklungen anzuschauen. Zum Beispiel, dass die Kindersterblichkeit in den vergangenen 200 Jahren gesunken ist und die Lebenserwartung weltweit gestiegen.

Einen ähnlichen Versuch unternimmt Ritchie in ihrem Buch für sieben Umweltprobleme: Luftverschmutzung, Klimawandel, Entwaldung, Ernährung, Biodiversität, Plastik im Meer und Überfischung. Sie arbeitet eine Argumentation heraus, derzufolge wir die erste Generation sind, die beide Teile der „Nachhaltigkeitsgleichung“ erfüllen kann – sowohl den Ansprüchen der Gegenwart gerecht zu werden, als auch zukünftigen Generationen die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. „Wir haben die Chance, als erste Generation Nachhaltigkeit zu erreichen. Nutzen wir sie!“, appelliert sie schon zu Beginn.

„Früher alles besser“ gilt hier nicht

Gelingt es ihr also, Hoffnung zu verbreiten? Einerseits ja, denn der Schritt zurück hilft tatsächlich. Zum Beispiel: Die Pro-Kopf-Emissionen an CO2-haben schon im Jahr 2012 ihren Höhepunkt erreicht und sind seitdem leicht gesunken. Ritchie wertet das als Anzeichen dafür, dass die Gesamtemissionen auch bald anfangen werden zu sinken. Auch der Siegeszug der Erneuerbaren macht Mut, denn sie wurden sehr viel schneller, als man gedacht hat, billiger als fossile Energie.

Und sogar der Blick in die entferntere Vergangenheit ist hilfreich, zum Beispiel beim Thema Luftverschmutzung. Denn schon in den Lungen ägyptischer Mumien wurden Schadstoffe gefunden. Wer der Meinung war, dass „früher alles besser“ war, wird hier eines Besseren belehrt.

Kontroverse Meinung in Sachen Atom-Energie

Mit zahlreichen Grafiken gibt Ritchie zudem teils überraschende Antworten auf die vielfach aufgeworfene Frage, was Einzelpersonen tun können.

Andererseits dürfte viele ihr großes Vertrauen in neue und alte Technik – darunter auch die Kernkraft – zur Lösung der Probleme irritieren. Ritchie argumentiert zudem, dass grünes Wachstum in Zukunft weiter möglich sein wird, weil es in der Vergangenheit schon einmal funktioniert hat. Eine Annahme, die nicht alle Forschenden teilen.

Deutschlands Klimageld als mögliches Positiv-Beispiel

Und in einem weiteren Punkt schafft sie es nicht, den Pessimismus zu durchbrechen. Denn ja, sie zeigt Lösungen, doch das Problem ist derzeit eher die Umsetzung als das fehlende Wissen. Die Idee eines CO2-Preises beispielsweise, die sie im Kapitel zum Klimawandel vorstellt, wird teilweise schon umgesetzt – nur nicht effektiv genug. Ritchie wünscht sich des Weiteren einen sozialen Ausgleichsmechanismus zum CO2-Preis. Der steht etwa in Deutschland als Klimageld sogar im Koalitionsvertrag – mehr wird aber vermutlich nicht daraus.

Die zerstrittene Klima-Szene

Für alle Probleme hat Ritchie also keine bahnbrechende Lösung, das wäre aber wohl auch zu viel verlangt. Ihr Buch und die darin versammelten positiven Entwicklungen können trotzdem Mut machen. Und ihr Plädoyer für mehr Kooperation und weniger Streit innerhalb der Klimaszene (Debatten wie: Vegan leben oder nicht? Kernkraft oder nicht?) ist ebenfalls sinnvoll.

Letztendlich ist es eben Hoffnung auf eine nachhaltigere Zukunft, die sie verspricht, und nicht den Beweis dafür, dass diese auch erreicht wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen