Donnerstag, 7. März 2024

Berlin will Vorgaben für Klimaziele entschärfen




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Süddeutsche Zeitung hier  5. März 2024, Von Michael Bauchmüller, Berlin

Ein Gesetz legt fest, wie viele Emissionen Verkehr, Gebäude und Industrie ausstoßen dürfen. Bei Überschreitung der Grenzwerte müsste die Bundesregierung handeln. Tatsächlich versucht sie, die Regeln aufzuweichen.

Das deutsche Klimaschutzgesetz ist schlank, aber mächtig. Nur 15 Paragrafen hat es, sie greifen ineinander wie die Zahnräder eines Schweizer Uhrwerks. Jährlich muss der Bund demnach eine Klimabilanz aufstellen, haarklein geordnet nach den einzelnen Bereichen, in denen Emissionen anfallen. Für jeden dieser Bereiche, ob Verkehr, Gebäude oder Industrie, sind im Gesetz Klimaziele vorgegeben. Werden die Ziele verfehlt, muss der Bund handeln. Genauer: die zuständigen Ministerien. Doch damit hat die Bundesregierung nichts als Ärger.

Zwei Umweltverbände haben sie nämlich verklagt, die Deutsche Umwelthilfe und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Bilanzen habe die Regierung zwar aufgestellt, auch Ziele seien darin gerissen worden. Nur geschehen sei nichts. Die Verbände zogen damit vor das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg - und bekamen recht. Ende November verurteilte es die Bundesregierung zum Handeln. Sofortprogramme für die Bereiche Verkehr und Gebäude müssten her, verlangten die Richterinnen - und mussten das gar nicht umständlich begründen. Genau so steht es im Gesetz, Paragraf 8. Für den Bund war die ganze Angelegenheit eher peinlich.

Doch die Sache ist noch nicht zu Ende. Rechtzeitig vor Ablauf der Frist hat das federführende Bundeswirtschaftsministerium nun Revision eingelegt. Für den Bund sei es wichtig, die offenen Fragen höchstrichterlich klären zu lassen, erklärte das Ministerium, "um eine möglichst große Rechtssicherheit zu erreichen". Schließlich müsse der Rahmen für den Klimaschutz "klar und rechtssicher abgesteckt werden". Es gibt also ein Wiedersehen - diesmal vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Lästige Sofortprogramme sollen entfallen

Ob die Angelegenheit dort besser läuft, ist allerdings nicht gesagt. Viel Spielraum nämlich dürfte das schlanke Gesetzeswerk auch den Leipziger Richtern nicht lassen - es sei denn, es wird noch rechtzeitig geändert.

Schon im vergangenen Juni hatte die Bundesregierung eine Novelle des Klimaschutzgesetzes auf den Weg gebracht, es würde die Gesetzeslage an entscheidenden Stellen entschärfen. Denn ob die Regierung handeln muss oder nicht, soll sich nicht mehr an Bilanzen der Vorjahre entscheiden, sondern an der Vorausschau. Der Bund soll dafür "Projektionsberichte" fertigen lassen, die auf drohende Lücken beim Klimaschutz hinweisen. Erst wenn solche Lücken wiederholt in den Berichten auftauchen, muss die Regierung handeln. Die lästigen Sofortprogramme würden entfallen, ebenso der genaue Blick auf die Performance einzelner Sektoren. Im Lichte dieser Novelle stünden die Chancen des Bundes vor Gericht deutlich besser.

Nur: Bis zum heutigen Tag ist das Gesetz nicht geändert. Seit gut einem halben Jahr hängt es im Bundestag fest. Bei den Grünen gibt es Vorbehalte, das scharfe Schwert des Gesetzes nachträglich stumpfer zu machen - sie bangen um den Klimaschutz im Land. Und die SPD hatte das Gesetz in der alten Koalition mühsam erkämpft. Ob und wie schnell die Novelle wirklich kommen wird, darüber gehen die Meinungen innerhalb der Koalition auseinander.

Die Umweltverbände wollen "die Ampel damit nicht durchkommen lassen"

Solange dies aber nicht der Fall ist, kann sich die Bundesregierung auch vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht auf eine veränderte Rechtslage berufen. Angesichts der bevorstehenden höchstrichterlichen Bewertung der Angelegenheit würde sich die Koalition mit einer eiligen Novelle sogar dem Verdacht aussetzen, sie wolle noch rechtzeitig passend machen, was bisher nicht passt. Das macht die ganze Angelegenheit nicht weniger pikant.

Den Ärger der Umweltverbände erntet sie aber auch so schon. Schließlich hat der Bund mit der Revision nun vereitelt, dass das Urteil rechtskräftig wird. "Unverantwortlich und skandalös" sei die Entscheidung, findet Umwelthilfe-Geschäftsführerin Barbara Metz. "Wir werden die Ampel damit nicht durchkommen lassen." Der BUND, der zweite Kläger, warf der Bundesregierung vor, auf Zeit zu spielen. "Der Handlungsdruck wird dadurch nicht geringer, er steigt", sagt dessen Chef Olaf Bandt.

Aber derlei Kritik ficht das Wirtschafts- und Klimaministerium nicht an. Die Bundesregierung stehe in der Verantwortung, "der Klimakrise mit der größtmöglichen Entschlossenheit entgegenzutreten", erklärte ein Sprecher, "auch um die Freiheit zukünftiger Generationen zu schützen".

Was das konkret bedeutet, wird sich ab Ende kommender Woche zeigen. Dann wird, wie an jedem 15. März, das Umweltbundesamt die vorläufige Klimabilanz für das Vorjahr vorlegen. Schon jetzt ist sicher, dass die Ziele mindestens im Verkehrsbereich gerissen werden, wahrscheinlich auch bei Gebäuden. Danach hat ein von der Bundesregierung eingesetzter Expertenrat für Klimafragen einen Monat lang Zeit, die Daten zu überprüfen. Bestätigt er sie, müssen die betreffenden Ministerien handeln. Drei Monate, also bis Mitte Juli, haben sie dann Zeit für Sofortprogramme. Für Verkehrs-, Bau- und Wirtschaftsministerium ist das nichts Neues. Nur waren sie ausreichende Sofortprogramme zuletzt schuldig geblieben. Darauf bezog sich auch die Klage der Umweltverbände.

Auch in diesem Jahr werde man auf das Gesetz und die Sofortprogramme pochen, sagt der Berliner Umweltrechtler Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe in dem Verfahren vertritt. "Die Einlegung der Revision bedeutet nicht, dass man von der Befolgung geltenden Rechts entbunden ist."

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