Samstag, 30. März 2024

UMWELTPOLITIK: Wer Naturschutz will, darf den Bauern nicht das Feld überlassen

Nicht die Bauern schlechthin, sondern die übergeordneten Bauernverbände mit ihren randalierenden Begleitern und der industriellen Landwirtschaft im Schlepptau  haben die Verhandlungen in eine Sackgasse geführt, die weder der Gegenwart noch der Zukunft angemessen scheint. Die wirklichen "Bauern", die mit Herzblut dabei sind und noch Bezug zur Umwelt haben, die werden diesen Sieg noch bitterlich bereuen, fürchte ich.


hier Spektrum der Wissenschaft   von Thomas Krumenacker

Einen Tag nachdem die EU ihr wegweisendes Naturschutzgesetz beerdigt, belohnt Brüssel die randalierenden Bauern mit noch laxeren Standards. Gegen die Angst vorm »Greenlash« helfen den Regierungen aber keine Zugeständnisse, sondern nur Mut zu den eigenen Werten, kommentiert Thomas Krumenacker.

Es wirkte wie das Pfeifen im Walde. »Ich kann bestätigen, dass das Renaturierungsgesetz noch lebt«, sagte Belgiens grüner Umweltminister Alain Maron am Montagabend in Brüssel. Das sollte Hoffnung machen, legt in Wahrheit aber offen, wie deprimierend weit die EU von einer wegweisenden Kurskorrektur in Sachen Naturschutz entfernt ist. Denn eigentlich hätten an diesem Tag die Bio-Sektkorken knallen sollen. Geplant war, dass die Umweltministerinnen und -minister der Mitgliedsländer nach mehr als zwei Jahren des intensiven Verhandelns endgültig grünes Licht für das Inkrafttreten des Renaturierungsgesetzes geben.

Es hätte dafür gesorgt, dass Flüsse sauberer, Moore nasser und Wälder älter werden dürfen. Dass Böden für die Landwirtschaft wieder fruchtbarer werden und Insekten und Vögel auf Wiesen, Weiden und Felder zurückkehren (mehr zu den Inhalten des Gesetzes lesen Sie hier). Es wäre das weltweit erste Gesetz gewesen, mit dem ein ganzer Staatenblock anerkennt, dass es eben nicht genügt, die kläglichen Überreste der Natur zu bewahren. Sondern dass es aktiver »Wiederherstellung« bedarf, um all die Früchte ernten zu könnten, die eine intakte Natur bietet: Hochwasserschutz, Klimaschutz, Bestäubung für Obst und Gemüse, Vorbeugung gegen Pandemien. Und nicht zuletzt: Lebensqualität.

Seit der Sitzung am Montag bekommt das alles wieder den Klang einer Zukunftsvision.

Dabei war die Umsetzung zum Greifen nahe gewesen. Vor fast genau einem Monat stimmte das EU-Parlament mit überraschend deutlicher Mehrheit für das Gesetz. Dann aber trat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán auf den Plan und kündigte in letzter Minute seine Unterstützung auf. Seitdem steht das Gesetz – denkbar knapp – ohne eine Mehrheit da. Zwar votieren mit 19 von 27 Mitgliedstaaten mehr als genug Länder für die Annahme, sie vereinen jedoch nicht die geforderte Bevölkerungsmehrheit von 65 Prozent der EU-Bevölkerung auf sich, sondern nur noch 64,05 Prozent. Um einer formellen Ablehnung zuvorzukommen, nahm die belgische Ratspräsidentschaft das Gesetz von der Tagesordnung.

Landwirtschaft im Wandel

Nun soll eine Lösung noch vor der Europawahl Anfang Juni gefunden werden, doch den Ratsmitgliedern dürfte klar sein: Es geht längst nicht mehr um Inhalte. So gut wie alle Forderungen von Seiten der Gegner sind erfüllt worden. Der Agrarsektor hatte Zugeständnisse gefordert – er bekam sie. Das Gesetz solle nicht auf einen Schlag umgesetzt werden – es wurde ein phasenweises Inkrafttreten vereinbart. Die Regierungen fürchteten eine Überlastung der Landwirte – es wurde eine »Notbremse« für Ertragseinbrüche ins Gesetz geschrieben. Inzwischen darf sogar kein individueller Landwirt mehr durch die Renaturierungsvorhaben zu irgendetwas verpflichtet werden.

Jetzt wäre das politische Powerplay der Unterstützerländer gefragt, einen Blockierer wie Viktor Orbán umzustimmen. Das Gesetz wurde bis an die Grenzen seiner Wirksamkeit abgeschwächt. Damit gibt es de facto inhaltlich nichts mehr zu diskutieren.

Entsprechend brachten die Blockadeländer Niederlande, Italien, Schweden und jetzt Ungarn beim Ministerrat auch gar keine neuen Argumente mehr ein oder neue Forderungen. Es geht darum, das Naturgesetz zum Symbol einer angeblichen Überlastung der EU-Bürger und ihrer Landwirte durch die EU zu erheben.

Politisches Powerplay

Dabei dürfen die Staats- und Regierungschefs der Unterstützerländer sie nicht gewähren lassen. Jetzt wäre ihr politisches Powerplay gefragt, einen Blockierer wie Viktor Orbán umzustimmen. Der Ungar lenkte auch bei der Blockade der Finanzhilfen für die Ukraine, der Obstruktion beim EU-Haushalt oder dem Hinauszögern der NATO-Mitgliedschaften Schwedens und Finnlands am Ende stets in allen Punkten ein.

Doch beim Naturschutz sind auch sie offenbar erstarrt in der Dauerfurcht vor dem »Greenlash«, dem Aufschrei, der aktuell von rechten und konservativen Kreisen zu hören ist, wann immer es um neue Umweltschutzgesetzgebung geht. Dass etwa Bundeskanzler Olaf Scholz heute oder morgen die Wiederbelebung des Renaturierungsgesetzes zur Chefsache macht, erscheint praktisch ausgeschlossen. Er widersprach ja auch nicht, als die EU zuletzt mit der Pestizidverordnung einen weiteren Eckpfeiler ihres Green Deals zum Einsturz brachte.

Schlimmer noch ist der Versuch, aus den Protesten wahltaktische Vorteile zu saugen, auch gegen die eigenen politischen Werte. Man muss dafür nicht einmal hehre Ziele wie die Bewahrung der Natur bemühen: Von der Landwirtschaft über Energie- und Industriebranche bis zum Tourismus und dem Finanzsektor der EU sind alle zentralen Wirtschaftsbereiche abhängig von natürlichen Ökosystemen und Biodiversität – und damit von diesem Gesetz. Naturschutz könnte Herzstück einer konservativen Agenda sein.

Eskalation geht immer weiter

Doch lieber arbeitet Umweltminister Marons eigener Chef, der liberale belgische Ministerpräsident Alexander De Croo, hinter den Kulissen gegen das Vorhaben und zwingt sein Land zu einer Enthaltung. Und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fordert mit seiner »Protestnote«, kein Landwirt dürfe durch das Gesetz finanzielle Einbußen erleiden, in klassenkämpferischem Gestus längst Beschlossenes.

Dass dies der falsche Weg ist, kann man in der belgischen Hauptstadt erleben, wo sich die Bauern bei ihren gewalttätigen Traktorenproteste zusehends radikalisieren und dafür mit der nächsten Aushöhlung wichtiger Umweltauflagen belohnt werden. In der Hoffnung, dass danach Ruhe herrscht, treibt die Politik die Eskalationsspirale weiter an und wertet die faktenarme Öko-Feindlichkeit, die hinter vielen Bauernprotesten steckt, zu einem berechtigten Anliegen auf.

Statt für Natur, Klima und die Glaubwürdigkeit Europas einzutreten, zieht man in den Regierungsvierteln lieber die Köpfe ein. Und wenn es mal wieder nach Gülle und Diesel stinkt, dann kann man sich ja immer noch die Nase zuhalten.


hier  von Ralf Stork  30.3.24

STORKS SPEZIALFUTTER: Mit dem Trecker in die falsche Richtung

Verständnis für unzufriedene Bauern hat unser Umweltkolumnist Ralf Stork durchaus. Aber die Rebellion gegen Umweltauflagen findet er trotz allem wenig zielführend.

Der Welt steht ein Umbruch bevor – ob die Menschheit will oder nicht: Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung müssen nachhaltig und fit für den Klimawandel werden, gleichzeitig gilt es, eine wachsende Weltbevölkerung mit wachsenden Ansprüchen zu versorgen. Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Und was für die Umwelt und die Lebewesen darin?

In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.

Zwischen protestierenden Bauern und den Klimaaktivisten der Letzten Generation gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als den Gruppen lieb sein dürfte: Beide haben als Mittel des Protestes den Verkehr lahmgelegt. Beide fühlen sich zu den Protesten regelrecht gezwungen. Die Letzte Generation sieht wegen des Klimawandels das Überleben der Menschheit als Ganzes in Gefahr, ihre Aktionen sind der Versuch, die lethargische Bevölkerung irgendwie aufzurütteln. Auch die Bauern haben ein nachvollziehbares Motiv: Zumindest vordergründig ging es ihnen ursprünglich einmal um die aus ihrer Sicht existenzgefährdenden Sparmaßnahmen der Bundesregierung.

Beiden Gruppen ist ein Hang zur Selbstgerechtigkeit nicht fremd. Vermutlich lappen auch deshalb die Protestformen mitunter ins Radikale. Beide Gruppierungen agieren in einem internationalen Kontext. In vielen europäischen Ländern gehen sowohl die Bauern auf die Barrikaden als auch die Klimaaktivisten der radikaleren Fraktionen. Bei beiden droht über die öffentlichkeitswirksamen Proteste manchmal das konkrete Anliegen etwas in Vergessenheit zu geraten.

Oder können Sie aus dem Stegreif sagen, was die Bauern genau mit ihrem Protest inzwischen erreichen wollen?

Unterschiede gibt es natürlich auch: Die Letzte Generation kommt vielleicht auf 1500 aktive Unterstützerinnen und Unterstützer, die Landwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig mit mehr als 500 000 Beschäftigten. Und während die Blockaden der Letzten Generation von großen Teilen der Bevölkerung grundsätzlich abgelehnt wurden, ist das Verständnis für die Blockaden der Landwirte ungleich größer.

Sympathie für Blockierer

Die öffentliche Meinung über die Bauern hat sich auch dann nicht grundlegend geändert, als sie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Schlütsiel bedrängten, oder das Treffen des Grünen-Kreisverbands im Bamberger Land blockierten oder den politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach oder den Besuch von Grünen-Chefin Ricarda Lang in Magdeburg. Oder als sie verschiedenen öffentlich-rechtlichen Sendern und Druckereien Besuche abstatteten, weil die Landwirte mit der Berichterstattung der Medien nicht so zufrieden waren. Selbst dann nicht, als Bauern auf der B 5 östlich von Berlin Mist und Gülle auf die Straße kippten und so mehrere Unfälle mit Verletzten verursachten.

Die Letzte Generation stellt auf ihrer Internetseite übrigens klar, dass alle an ihren Aktionen Beteiligten sich gewaltfrei und respektvoll zu verhalten haben. Etwas überspitzt kann man also formulieren, dass ein Unterschied zwischen Letzter Generation und Bauern die Einstellung zur Gewalt ist. Die eine Gruppierung lehnt sie kategorisch ab, die andere nicht.

Der Fairness halber muss man ins Feld führen, dass eine so große Gruppe wie die Bauern nicht so leicht zu disziplinieren ist wie die ungleich kleinere Letzte Generation. Der Bauernverband inklusive der betroffenen Landes- und Kreisverbände hat sich auch klar von den genannten Übergriffen distanziert.

Ein grundlegendes Problem der Bauern-Proteste bleibt trotzdem: Die Gruppe der Demonstrierenden ist unüberschaubar groß und heterogen, die Liste der Forderungen ist lang und vielfältig. Das macht die Proteste anfällig für Eskalationen. Bei gewerkschaftlich organisierten Streiks sind die Forderungen klar definiert. Gestreikt wird so lange, bis diese spezifischen Forderungen erfüllt sind oder ein gangbarer Kompromiss gefunden ist. Die Bauernproteste kommen mir dagegen vor wie eine Rebellion gegen das System. Das macht die Proteste auch anschlussfähig für Querdenker, Rechte und Wutbürger.

Forderungen, Überforderungen

Inzwischen gehen die Forderungen ohnehin weit über den Stopp der Agrardiesel-Subventionen hinaus, die die Protestwelle ursprünglich lostraten: Es geht um weniger Bürokratie, höhere Steuerentlastungen, die Wiederherstellung echter Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU und einen Auflagenstopp für die Landwirtschaft. Andere Verbände fordern auch noch den Abschuss von Wölfen, das Ende von Freihandelsabkommen und der Düngeverordnung. Da wird dann auch schon mal in Abrede gestellt, dass das wissenschaftlich vielfach belegte Insektensterben tatsächlich etwas mit der Intensivierung der Landwirtschaft zu tun haben könnte. Bei der Vielzahl der Forderungen ist es gar nicht so leicht zu sagen, unter welchem Umständen die Bauern eigentlich wieder von ihren Protesttreckern runter klettern wollen.

Auch, wie eine Rücknahme der gesetzlich verankerten Auflagen überhaupt vonstatten gehen sollte. Es gibt solche Vorschriften unter anderem in den Bereichen Gewässerschutz, Pflanzenschutz, Tierschutz und Düngemittelverordnung. Die Auflagen sind der Versuch, in der Landwirtschaft höhere Umwelt- und Naturschutzstandards durchzusetzen. Ein Auflagenstopp wäre also so etwas wie eine bäuerliche Konterrevolution auf Kosten der Natur.

Grundsätzlich habe ich Verständnis dafür, dass Landwirte unzufrieden sind. Ihre berufliche Situation ist schwierig: Der Job ist hart, in Europa gibt es höhere Auflagen als in vielen anderen Ländern, das ist ein Wettbewerbsnachteil. Molkereien und der Einzelhandel zahlen zu wenig für landwirtschaftliche Erzeugnisse, und der Klimawandel mit steigenden Temperaturen, mit Starkregenereignissen und Dürre ist eine Realität, von der die Landwirte als allererste betroffen sind. Aber gerade letzteres zeigt doch: Landwirte sind Naturwirte, sie brauchen eine gesunde Natur, um mit ihr zu wirtschaften. Dass ausgerechnet die Rücknahme jener Maßnahmen, die die Landwirtschaft umweltfreundlicher, klimaresilienter und damit auch zukunftsfähiger machen, die Lösung sein soll, will mir partout nicht einleuchten.

Die Regierung sollte vor den Trecker-Blockaden nicht einknicken. Ernst nehmen sollte sie die Unzufriedenheit der Bauern aber in jeden Fall. Wenn die deutsche Politik wirklich und ernsthaft einen Umbau der Landwirtschaft unter ökologischen Gesichtspunkten erreichen will, dann sollte sie ein stimmiges Bild entwerfen, warum sie eine solche Transformation für nötig hält und wie sie gelingen könnte. Und sie sollte dieses Bild klar kommunizieren, auch an die wütenden Männer und Frauen in ihren Traktoren. Das würde dann vielleicht auch ein bisschen gegen die Unzufriedenheit helfen.

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