Es wäre ja auch viel zu schön gewesen....
Frankfurter Rundschau hier
Ein gutes Timing ist dem Umweltrat nicht abzusprechen. Vorletzte Woche kam von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die frohe Kunde, Deutschland werde sein Klimaziel für 2030 einhalten, vor allem dank des Umstands, dass die Ampel das Ruder beim Klimaschutz herumgerissen hat.
Besonders überraschend an der von Habeck präsentierten positiven Klimaprojektion für 2024 war: Deutschland erreicht nicht nur sein Ziel, die CO₂-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent zu senken, sondern hält auch das vom Klimaschutzgesetz für den Zeitraum vorgezeichnete CO₂-Budget ein. Ob das plausibel ist, prüft jetzt wie jedes Jahr der Klima-Expertenrat der Bundesregierung. Dessen Bericht wird für den Sommer erwartet.
Anfang dieser Woche, meldete sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) zu Wort und wies darauf hin: Die CO₂-Emissionen, die das Klimagesetz insgesamt gestattet, liegen deutlich über dem CO₂-Budget, das Deutschland als „fairer Beitrag“ zum Pariser 1,5-Grad-Ziel einzuhalten hat.
Der Umweltrat betonte erneut, dass er es für fair hält, jedem Menschen auf der Welt gleiche Emissionsrechte zuzubilligen und danach die nationalen Budgets aufzuteilen. Als Ausgangsgröße für diese Aufteilung nimmt der Rat dabei das CO₂-Budget, das der Menschheit 2016, also im Jahr nach dem Pariser Klimavertrag, global noch zur Verfügung stand. Im Unterschied dazu habe bisher noch keine Bundesregierung offengelegt, ob und wie der Reduktionspfad des Klimagesetzes mit dem Pariser Klimaziel im Einklang steht – hier gebe es eine „Transparenzlücke“, kritisierte der Umweltrat am Montag ebenso zum wiederholten Mal.
Urteil des Klimarats: Überschreiten der CO₂-Ausstoßgrenze Deutschlands „unausweichlich“
Die wirklich neue und für viele überraschende Nachricht aus dem Gremium ist aber: Deutschland hat seit Kurzem seinen fairen Anteil an einem 1,5-Grad-kompatiblen globalen CO₂-Budget überschritten. „Das noch verbleibende CO₂-Budget schmilzt rapide“, konstatiert Ratsmitglied Wolfgang Lucht, auch das nicht zum ersten Mal.
Die Klimawissenschaft habe stets gewarnt, dass sich für Deutschland das Fenster schließt, um einen angemessenen Beitrag zu leisten, ohne auf weitgehend spekulative Maßnahmen wie eine künftige Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre oder Budgetzukäufe im Ausland zurückzugreifen, so der Erdsystemforscher. Lucht weiter: „Inzwischen ist unausweichlich, dass wir mehr CO₂ ausstoßen als uns zusteht, wenn wir unseren Anteil an der Weltbevölkerung zugrunde legen.“
Gründe für das Überziehen des CO₂-Budgets: Veraltete Daten und weniger kühlende Aerosole
Das dramatische Dahinschmelzen des Klima-Polsters hat mehrere Gründe. So gehen die bisherigen Budgetberechnungen teilweise noch auf Daten des Weltklimarats aus dem Jahr 2018 zurück. Seitdem wurden weltweit deutlich mehr Klimagase emittiert, als die Projektionen damals annahmen – entsprechend schneller sinkt das Restbudget. Auch berücksichtigen die neuen Klimamodelle den kühlenden Effekt von Aerosolen besser. Weil der Einsatz fossiler Brennstoffe sinkt, geht der Eintrag von Aerosolen in die Atmosphäre zurück und damit auch deren Kühleffekt – und bei anhaltend hohen Emissionen verstärkt sich die Erwärmung.
Alles in allem schrumpfte das global noch verfügbare CO₂-Budget in den letzten Jahren von einst 377 Milliarden Tonnen um ein Drittel auf aktuell 231 Milliarden Tonnen. Das zieht auch einen mathematischen Effekt nach sich: Weil das Budget kleiner ist, wirken sich selbst kleinere Korrekturen in den Berechnungen, die früher noch im statistischen „Rauschen“ verschwanden, nunmehr spürbar aus.
Auch für Deutschland hat das gravierende Folgen: Würden die – bislang nicht ausreichend begründeten – Vorgaben des bis 2030 reichenden Klimagesetzes eingehalten und Deutschland erst 2045 klimaneutral, emittiert das Land laut Umweltrat von 2024 bis 2045 noch 4,8 Milliarden Tonnen allein vom wichtigsten Klimagas CO₂ – und überzieht insofern sein faires 1,5-Grad-Budget massiv.
Selbst 1,75-Grad-Limit würde Deutschland vor Herausforderungen stellen
Selbst wenn Deutschland das 1,5-Grad-Ziel aufgibt und sich für ein 1,75-Grad-Limit (mit Zwei-Drittel-Einhaltungswahrscheinlichkeit) entscheidet, verbliebe ihm nur noch ein CO₂-Budget von maximal 3,9 Milliarden Tonnen. Würden in diesem Szenario die Emissionen von heute an kontinuierlich auf null reduziert, müsste Deutschland spätestens 2037 CO₂-neutral sein, gibt der Umweltrat an. Anders gesagt: Selbst für einen fairen Beitrag zu einem 1,75-Grad-Limit muss Deutschland sich enorm anstrengen.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen plädiert aber dafür, dass sich die deutsche wie die internationale Klimapolitik weiter an der 1,5-Grad-Grenze orientiert. Wer es nicht so mit Zahlen hat, kann sich die Budget-Dramatik auch so erklären: Die Extrem-Temperaturen in den Meeren und über Land wie auch die Wetterextreme zeigen zusammen mit dem zeitweisen Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze offenbar an, dass die Menschheit ihr Klimabudget langsam ausgereizt hat, Deutschland eingeschlossen.
Vorschlag des Umweltrates: Zu Umwelt-Schäden bekennen und betroffene Staaten entschädigen
Der Umweltrat hält es angesichts des unvermeidlichen Überziehens des 1,5-Grad-Budgets für angezeigt, nicht mehr von „Restbudgets“, sondern von „Überschreitungsbudgets“ zu sprechen. Diese sollten so gering wie möglich gehalten werden, betont Wolfgang Lucht auf Nachfrage. Für den Klimaforscher beziffert so ein Budget transparent den deutschen Anteil an der Verantwortung für Schäden, die aus der Klimaerhitzung entstehen. Zwar wäre auch schon das Erreichen der Ziele des deutschen Klimagesetzes ein großer Erfolg, betont Lucht, diese führten jedoch nach der neuen Berechnungsweise schon in den Risikobereich oberhalb von 1,5 Grad Erwärmung.
Der Umweltrat plädiert auch dafür, dass sich Deutschland und die EU zu den mitverursachten Verlusten und Schäden infolge der Erwärmung bekennen und sich glaubwürdig der Diskussion zur Entschädigung betroffener Staaten stellen. Welche Staaten wie stark in der Verantwortung stehen, könne daran festgemacht werden, wie groß der bisherige Beitrag zur Erwärmung war, wie stark das Land profitiert hat und wie zahlungskräftig es ist. (jst)
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