Dienstag, 19. März 2024

Die seltsam aggressiven Botschaften des Bundesrechnungshofs

hier  DER SPIEGEL – Der Rationalist von Christian Stöcker  17.03.2024

Energiewende:  Der Bundesrechnungshof findet, die Energiewende funktioniere nicht richtig, die Versorgung sei »gefährdet«. Die eigentlichen Fachbehörden sehen das anders und erkennen Erfolge. Liegt das womöglich am Personal?

siehe dazu auch hier

Es gibt zwei Bundesbehörden, die für die Wende hin zu einem CO₂-neutralen Energiesystem wichtig sind: die Bundesnetzagentur und das Umweltbundesamt. Erstere ist unter anderem für Netze und Versorgungssicherheit zuständig, zweiteres unter anderem für die Frage, ob Deutschland seine Klimaziele einhalten kann.

Es gibt eine weitere Behörde, dem entsprechenden Gesetz zufolge ein »unabhängiges Organ der Finanzkontrolle«, also eigentlich zuständig fürs Geld: den Bundesrechnungshof (BRH). Er darf nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung aber auch über »Angelegenheiten von besonderer Bedeutung« den Bundestag »jederzeit unterrichten«.

Früher beschränkte sich der Rechnungshof in diesen Sonderberichten in der Regel auf Dinge, die mit Geld, Steuern und so weiter zu tun hatten

Seit Kay Scheller (CDU) 2014 Präsident wurde, hat sich das geändert: Drei der 16 seit seinem Amtsantritt erschienenen »Sonderberichte« betreffen die Energiewende, ein weiterer die »Steuerung des Klimaschutzes« in Deutschland. Man könnte sagen: Der BRH hat unter Kay Scheller eine gewisse Faszination für Klima und Energie entwickelt.

Politischer Kampfbegriff im Bericht

In manchen dieser Berichte ging der Rechnungshof erstaunlich weit, was politische Vorschläge anging. Ein Zitat von 2018: »Ergänzend käme als nicht ›planwirtschaftliches‹ Instrument eine allgemeine CO2-Bepreisung in Betracht.« Dass eine Bundesbehörde hier den politischen Kampfbegriff »planwirtschaftlich« in einem offiziellen Dokument aufgreift, erstaunt.

Fairerweise muss man sagen, dass der BRH die Wirtschafts- und Energieministerien in allen seinen Berichten für einen zu langsamen Ausbau der Erneuerbaren kritisierte. Der vorige Woche erschienene Bericht hat einen jedoch einen anderen Sound als die davor: »Deutschland verfolgt sehr ambitionierte Ziele für die Energiewende. Diese ist jedoch nicht auf Kurs, sie hinkt ihren Zielen hinterher.« Die Versorgungssicherheit sei gefährdet, der Strom teuer, dies berge »erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland«.

Der Bericht weist einmal mehr zu Recht darauf hin, dass der Netzausbau weit hinter Plan liegt – bis man aber erfährt, dass das vor allem den an den Ausbauschulden der Merkeljahre 2015 bis 2021 liegt, muss man bis Seite 23 blättern. Es gibt nämlich einen Plan (keine »Planwirtschaft«) für den Ausbau, an die sich die Kabinette Merkel III und IV leider nicht hielten.

Lobbyorganisation INSM zitiert

Im BRH-Energiewendebericht von 2018 kam das Wort »Netzausbau« nur einmal vor, ohne Kritik an den Verzögerungen. Im Bericht von 2021 ist viel vom Netzausbau die Rede, vor allem von den Maßnahmen, die die Regierung in diesem Bereich plante – und von den Kosten (der richtige Begriff wäre »Investitionen«). Zu diesem Punkt verwies der BRH damals erstaunlicherweise auf ein Gutachten im Auftrag der Industrielobbyorgansation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), statt eigene Zahlen vorzulegen. Auch damals steht aber schon im Text: »Der Fortschritt des Netzausbaus (…) bleibt bislang erheblich hinter den Planungen zurück.«

Der Bericht von 2024 enthält im Titel erstmals neben Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit auch das Wort »Umweltverträglichkeit«. Der entsprechende Abschnitt beschäftigt sich aber nicht etwa mit der Klimakrise, sondern mit Themen wie »negativen Umweltwirkungen der Energiewende«. Der BRH fasst erneuerbare Energien also nicht zuletzt als unzureichend gemanagtes Umweltproblem auf.

Seltsam tendenziös, Fakten weggelassen

Insgesamt seien die Maßnahmen der Bundesregierung zur Energiewende »ungenügend« und würden »gravierende Risiken« bergen, so der BRH. Diese Worte finden sich in den Berichten von 2021 und 2018 seltsamerweise nicht, obwohl der Ausbau der erneuerbaren Energien damals viel langsamer voranging als jetzt. Der Tonfall des jüngsten Berichts ist deutlich aggressiver, und er ist seltsam tendenziös.

Ein Beispiel: Der Bericht enthält zwar die Information, dass 2023 14,1 Gigawatt Fotovoltaik-Kapazität zugebaut wurden – aber nicht die Information, dass das 5,1 Gigawatt mehr waren als geplant . Stattdessen behauptet der BRH, das Wirtschaftsministerium habe festgestellt, »dass die Zubaudynamik bei Weitem noch nicht ausreiche, um auf den gesetzlichen Ausbaupfad (Zielpfad) des EEG 2023 für Windenergie- und Solaranlagen einzuschwenken«. Das ist für Windenergie korrekt , für Solarstrom aber falsch. Andere Fakten ignoriert der Bericht vollständig. Zum Beispiel, dass Fotovoltaik inzwischen immer öfter mit lokalen Speichern gekoppelt wird  und Sonnenstrom so auch nachts verfügbar ist.

»Scharfe Sprache und Lücken in der Argumentation«

Entsprechend viel Kritik  gab es am BRH-Bericht: »Überzogen« sei der, so die  »Süddeutsche Zeitung«. Der Energieversorger-Bundesverband BDEW – also die Branche, die für die Stromversorgung zuständig ist – erklärte , der BRH, »schießt mit seiner Generalkritik über das Ziel hinaus«. Energiemarktfachleute wie Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung  oder Christoph Maurer von der Universität Erlangen stimmten in die Kritik mit ein. Letzterer diagnostizierte im Gespräch mit der  »Wirtschaftswoche«, der Bericht sei »ein ziemlich redundantes Aufzählen und Summieren bekannter Tatsachen, vorgetragen in sehr scharfer Sprache und mit zahlreichen Lücken in der Argumentation.«

Zu einem anderen Schluss als Kay Schellers Behörde kam diese Woche auch das Bundesumweltamt. »Mit Blick auf das Jahr 2030 bin ich zuversichtlich, dass wir die nationalen Klimaziele einhalten können. Wir sind bereits ein großes Stück beim Klimaschutz vorangekommen«, erklärte UBA-Präsident Dirk Messner . In der Energiewirtschaft seien die CO₂-Emissionen von 2022 auf 2023 um 20,1 Prozent gesunken. Das hat auch mit gesunkener Nachfrage zu tun – aber eben auch mit dem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Anteil der Erneuerbaren an der Last beträgt mittlerweile über 60 Prozent  – mitten im Winter.

Auch die Bundesnetzagentur sieht das völlig anders

Auch die andere tatsächlich zuständige Behörde kam zu einem völlig anderen Schluss als der fachfremde BRH: »Dieser Bericht zeigt, dass in den gewählten Szenarien die sichere Versorgung mit Elektrizität im Zeitraum 2025 bis 2031 gewährleistet ist«, so die Bundesnetzagentur in ihrer jüngsten Publikation zum Thema . Auch an diesem Bericht gab es Kritik – aber nicht von Fachleuten, sondern vom sehr an russischem Gas interessierten sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer  (CDU).

Nun sollte man bei solchen Themen nicht primär auf Personalien schauen, sondern auf die tatsächliche Sachlage. Aber im konkreten Fall sind die Unterschiede zwischen den Bewertungen der Fachbehörden bemerkenswert – und die zwischen den handelnden Führungskräften auch.

Wer kommt woher?

Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, ist ein Grüner. Er leitete, bevor er dieses Amt 2022 übernahm, acht Jahre lang als Vorstand den Verbraucherzentrale Bundesverband – das Wohl der (Strom-)Verbraucher liegt ihm also mutmaßlich am Herzen.

Dirk Messner wurde 2019, also unter der sogenannten großen Koalition aus CDU/CSU und SPD zum Präsidenten des Bundesumweltamtes. Über eine Parteizugehörigkeit ist nichts bekannt, Messner schreibt allerdings in seiner Eigenschaft als Fachmann für internationale Umweltpolitik gelegentlich Texte für die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung.

Messner ist kein Politiker, sondern Wissenschaftler. Er saß von 2004 bis 2019  im wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU). 2013, unter einer schwarz-gelben Regierung, wurde er dessen Vorsitzender. Viel überparteilicher geht es kaum.

Der CDU-Mann im Bundesrechnungshof

Der Präsident des Bundesrechnungshofes Kay Scheller dagegen war von 2005 bis 2014 Fraktionsdirektor (nicht -vorsitzender) der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Also auch in der Phase ab 2011, in der Philip Rösler (FDP), Norbert Röttgen (CDU) und zuletzt Sigmar Gabriel (SPD) den Ausbau der Erneuerbaren Energien abwürgten und den Netzausbau verschleppten. Der in Sachen Energiewende ähnlich erfolglose spätere Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) freute sich 2012 öffentlich über den Erfolg bei der Zerstörung der heimischen Branche: »Das zeigt, dass unser gemeinsames Gesetz anfängt zu wirken«, kommentierte  er 2012 den Einbruch beim Ausbau von Fotovoltaikanlagen.

Das hatte sehr handfeste Konsequenzen, an denen wir bis heute leiden. Zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt: In der Solarbranche beispielsweise arbeiteten in Deutschland im Jahr 2011 über 156.000 Menschen. Zehn Jahre später, im Jahr 2021, waren es fast 100.000 weniger. In der Windenergiebranche gingen zwischen 2016 und 2021 37.000 Arbeitsplätze verloren.

CDU-Mann Kay Scheller gehört wie Altmaier zu den Leuten, die für die fehlgeleitete Energiepolitik der Ära Merkel Verantwortung tragen. Jetzt kritisiert seine Behörde die aktuelle Bundesregierung erstaunlich scharf: Es gehe nicht schnell genug, die Versorgungssicherheit sei gefährdet, es gebe zu wenig Alternativen zu den Erneuerbaren. Das ähnelt frappierend der Parteilinie der Union, die den BRH-Bericht denn auch dankbar aufnahm .

Die Gazprom-Lobbyistin aus dem Ministerium

Es gibt noch eine weitere Verbindung zwischen Kay Scheller und der Energiepolitik: Seine Ehefrau Marion Scheller arbeitete bis 2016, also unter dem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, als Referatsleiterin im Bereich Energiepolitik des Ministeriums. Von diesem Posten, darauf wies diese Woche der »Nordkurier« hin , wechselte Sie nahtlos auf einen anderen: den der deutschen Cheflobbyistin des russischen Energiekonzerns Gazprom, und zwar bis 2019. Den gleitenden Übergang fand damals sogar die fossilen Brennstoffen eher wohlgesonnene  »Welt« kritikwürdig . In Ihrer Eigenschaft als Gazprom-Lobbyistin hatte Marion Scheller auch mit Manuela Schwesig (SPD) zu tun – beide waren natürlich sehr für Nord Stream II.

Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die Verstrickungen der Ära Merkel mit Russlands Fossilindustrie vollständig aufgearbeitet sind. Und auch, bis die gewaltigen Versäumnisse dieser Regierungen bei Energiewende und Netzausbau ausgeglichen sind.

Und es scheint, als ob auch der Kampf um die Deutungshoheit in diesem Bereich nicht abgeschlossen ist – und jetzt auch über behördliche Berichte läuft. 

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